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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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lassen) der selbstgefällige, marktschreierische Werner von 1830 an in Dresden,
später in Dessau eine Anzahl von Kunststückchen lehrte, die ungefähr wie Tur¬
nern aussahen.

Erst Ende der dreißiger Jahre trat ein Umschwung zum Bessern ein, indem
1838 den preußischen Prvvinzialschulcollegien freigestellt wurde, das Turnen
in den Schulen einzuführen. Rechtes inneres Leben aber gewann die Sache
erst, als im August 1841 Maßmann aus München zum Organisator der Tur-
ncrei in Preußen nach Berlin berufen wurde, und als im Juni des nächsten
Jahres eine königliche Cabinetsordre bestimmte, "daß die Leibesübungen fortan
als nothwendiger unentbehrlicher Bestandtheil der Erziehung in den Kreis der
letzteren aufgenommen und zunächst mit den Gymnasien, höhern Stadtschulen.
Schullehrerseminarien und Militärschulen verbunden werden sollten." Dieser
Ordre folgte die Ministerialverfügung vom 7. Februar 1844. welche die Ein¬
führung des Turnens in den preußischen Lehranstalten vollends sicher stellte.
Preußens Beispiel wurde von fast allen deutschen Staaten nachgeahmt, und zu
gleicher Zeit fand die in den meisten hierauf bezüglichen Regierungsverordnun¬
gen ausgedrückte Idee einer Neugestaltung des Schulturnens in Spieß einen
der Aufgabe wohlgewachsener Vertreter, dessen Anschauungen aus der Schweiz
sich nach Deutschland verpflanzten und hier weithin die verdiente Anerkennung
erwarben.

Daß vom Volke diese Umkehr der Regierungen freudig begrüßt und unge¬
säumt benutzt wurde, zeigen die zahlreich in jenen Jahren neubegründeten
Turnvereine. Die ersten derselben waren der Männcrturnvercin in Frankfurt
a. M., welcher 1833, und der in Plauen, welcher im Jahre darauf entstand.
Dann folgten verschiedene sächsische, mittelrheinische und schwäbische Städte,
und das Jahr 1846 fand schon ein über das ganze Vaterland verbreitetes Netz
von Turnvereinen Erwachsener vor, die sich gruppenweise zu gemeinsamen Turn¬
festen zusammenschlossen. Das erste dieser Feste wurde von den Turngemeinden
Frankfurts und Haltaus 1841 in Frankfurt, das zweite 1842 zu Mainz, das
dritte 1843 in Hanau abgehalten. Ihnen folgten die schwäbischen Turnfeste:
1844 in Gmünd, 1843 in Reutlingcn. 1846 in Heilbronn sowie die auf dem
Fcldberg bei Homburg. Am 31. October 1846 vereinigte ein Turntag zu
Dresden 54 Vereine des Königreichs Sachsen, und wenn die Regierung ein
aus Pfingsten 1847 nach Leipzig angesetztes Turnfest verbot, so fand Anfangs
August desselben Jahres ein solches in Frankfurt a. M. statt, und ein ähnliches
versammelte im October zu Iserlohn die Turngcnvssen des Niederrheins.

Die Jahre 1848 bis 1850 brachten wieder einen Rückschlag. Die meisten
Turnvereine gaben sich rücksichtslos den Strömungen der Erhebung hin. Unklar
über das, was zu erstreben , befangen in Beurtheilung ihrer materiellen Mittel,
im Irrthum über die Bedeutung des Turnens selbst, wurden sie, namentlich in


lassen) der selbstgefällige, marktschreierische Werner von 1830 an in Dresden,
später in Dessau eine Anzahl von Kunststückchen lehrte, die ungefähr wie Tur¬
nern aussahen.

Erst Ende der dreißiger Jahre trat ein Umschwung zum Bessern ein, indem
1838 den preußischen Prvvinzialschulcollegien freigestellt wurde, das Turnen
in den Schulen einzuführen. Rechtes inneres Leben aber gewann die Sache
erst, als im August 1841 Maßmann aus München zum Organisator der Tur-
ncrei in Preußen nach Berlin berufen wurde, und als im Juni des nächsten
Jahres eine königliche Cabinetsordre bestimmte, „daß die Leibesübungen fortan
als nothwendiger unentbehrlicher Bestandtheil der Erziehung in den Kreis der
letzteren aufgenommen und zunächst mit den Gymnasien, höhern Stadtschulen.
Schullehrerseminarien und Militärschulen verbunden werden sollten." Dieser
Ordre folgte die Ministerialverfügung vom 7. Februar 1844. welche die Ein¬
führung des Turnens in den preußischen Lehranstalten vollends sicher stellte.
Preußens Beispiel wurde von fast allen deutschen Staaten nachgeahmt, und zu
gleicher Zeit fand die in den meisten hierauf bezüglichen Regierungsverordnun¬
gen ausgedrückte Idee einer Neugestaltung des Schulturnens in Spieß einen
der Aufgabe wohlgewachsener Vertreter, dessen Anschauungen aus der Schweiz
sich nach Deutschland verpflanzten und hier weithin die verdiente Anerkennung
erwarben.

Daß vom Volke diese Umkehr der Regierungen freudig begrüßt und unge¬
säumt benutzt wurde, zeigen die zahlreich in jenen Jahren neubegründeten
Turnvereine. Die ersten derselben waren der Männcrturnvercin in Frankfurt
a. M., welcher 1833, und der in Plauen, welcher im Jahre darauf entstand.
Dann folgten verschiedene sächsische, mittelrheinische und schwäbische Städte,
und das Jahr 1846 fand schon ein über das ganze Vaterland verbreitetes Netz
von Turnvereinen Erwachsener vor, die sich gruppenweise zu gemeinsamen Turn¬
festen zusammenschlossen. Das erste dieser Feste wurde von den Turngemeinden
Frankfurts und Haltaus 1841 in Frankfurt, das zweite 1842 zu Mainz, das
dritte 1843 in Hanau abgehalten. Ihnen folgten die schwäbischen Turnfeste:
1844 in Gmünd, 1843 in Reutlingcn. 1846 in Heilbronn sowie die auf dem
Fcldberg bei Homburg. Am 31. October 1846 vereinigte ein Turntag zu
Dresden 54 Vereine des Königreichs Sachsen, und wenn die Regierung ein
aus Pfingsten 1847 nach Leipzig angesetztes Turnfest verbot, so fand Anfangs
August desselben Jahres ein solches in Frankfurt a. M. statt, und ein ähnliches
versammelte im October zu Iserlohn die Turngcnvssen des Niederrheins.

Die Jahre 1848 bis 1850 brachten wieder einen Rückschlag. Die meisten
Turnvereine gaben sich rücksichtslos den Strömungen der Erhebung hin. Unklar
über das, was zu erstreben , befangen in Beurtheilung ihrer materiellen Mittel,
im Irrthum über die Bedeutung des Turnens selbst, wurden sie, namentlich in


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[0459] lassen) der selbstgefällige, marktschreierische Werner von 1830 an in Dresden, später in Dessau eine Anzahl von Kunststückchen lehrte, die ungefähr wie Tur¬ nern aussahen. Erst Ende der dreißiger Jahre trat ein Umschwung zum Bessern ein, indem 1838 den preußischen Prvvinzialschulcollegien freigestellt wurde, das Turnen in den Schulen einzuführen. Rechtes inneres Leben aber gewann die Sache erst, als im August 1841 Maßmann aus München zum Organisator der Tur- ncrei in Preußen nach Berlin berufen wurde, und als im Juni des nächsten Jahres eine königliche Cabinetsordre bestimmte, „daß die Leibesübungen fortan als nothwendiger unentbehrlicher Bestandtheil der Erziehung in den Kreis der letzteren aufgenommen und zunächst mit den Gymnasien, höhern Stadtschulen. Schullehrerseminarien und Militärschulen verbunden werden sollten." Dieser Ordre folgte die Ministerialverfügung vom 7. Februar 1844. welche die Ein¬ führung des Turnens in den preußischen Lehranstalten vollends sicher stellte. Preußens Beispiel wurde von fast allen deutschen Staaten nachgeahmt, und zu gleicher Zeit fand die in den meisten hierauf bezüglichen Regierungsverordnun¬ gen ausgedrückte Idee einer Neugestaltung des Schulturnens in Spieß einen der Aufgabe wohlgewachsener Vertreter, dessen Anschauungen aus der Schweiz sich nach Deutschland verpflanzten und hier weithin die verdiente Anerkennung erwarben. Daß vom Volke diese Umkehr der Regierungen freudig begrüßt und unge¬ säumt benutzt wurde, zeigen die zahlreich in jenen Jahren neubegründeten Turnvereine. Die ersten derselben waren der Männcrturnvercin in Frankfurt a. M., welcher 1833, und der in Plauen, welcher im Jahre darauf entstand. Dann folgten verschiedene sächsische, mittelrheinische und schwäbische Städte, und das Jahr 1846 fand schon ein über das ganze Vaterland verbreitetes Netz von Turnvereinen Erwachsener vor, die sich gruppenweise zu gemeinsamen Turn¬ festen zusammenschlossen. Das erste dieser Feste wurde von den Turngemeinden Frankfurts und Haltaus 1841 in Frankfurt, das zweite 1842 zu Mainz, das dritte 1843 in Hanau abgehalten. Ihnen folgten die schwäbischen Turnfeste: 1844 in Gmünd, 1843 in Reutlingcn. 1846 in Heilbronn sowie die auf dem Fcldberg bei Homburg. Am 31. October 1846 vereinigte ein Turntag zu Dresden 54 Vereine des Königreichs Sachsen, und wenn die Regierung ein aus Pfingsten 1847 nach Leipzig angesetztes Turnfest verbot, so fand Anfangs August desselben Jahres ein solches in Frankfurt a. M. statt, und ein ähnliches versammelte im October zu Iserlohn die Turngcnvssen des Niederrheins. Die Jahre 1848 bis 1850 brachten wieder einen Rückschlag. Die meisten Turnvereine gaben sich rücksichtslos den Strömungen der Erhebung hin. Unklar über das, was zu erstreben , befangen in Beurtheilung ihrer materiellen Mittel, im Irrthum über die Bedeutung des Turnens selbst, wurden sie, namentlich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/459>, abgerufen am 27.09.2024.