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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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natürlich so dünn als möglich sein, um an den schwachen Lisenen sich todt
laufen zu können; denn über dieselben hinüber zuschneiden, machen nur einige
einen zudem äußerst schüchternen Versuch. Hier und da sind einige Füllungen
etwas breiter, so daß zwei oder drei gekuppelte schmale Fenster darin Platz
haben, die sich dann öfter in Spitzbogenform oben schließen; hart daneben stehen
viel breitere Oeffnungen mit horizontalem Abschluß. Daß den breiteren Oeff-
nungen eher die Bogenform zukommt und die schmalen besser dem scheitrechten
Abschluß sich bequemen können, sieht wohl, wenn sie nebeneinander stehen,
jedes statische und künstlerische Auge. Allerdings finden sich in Venedig, welches
in einer gewissen Periode dem Islam das Eine und Andere von seiner phan¬
tastischen Architektur entnahm, auch solche Zusammenstellungen; und so mag
sich die neue Architektur mit Vielem, was uns verkehrt scheint, auf Vorbilder
aus anderen Ländern und Zeiten berufen. Gut; wenn sie nur auch die Fülle
und Zierlichkeit der Formen, die jenen Vorbildern eigen ist, beachtet und eben¬
falls copirt hätte, statt blos von ihren besonderen launenhaften Zügen auf¬
zunehmen, um der kläglichen Dürftigkeit ihrer eigenen Phantasie damit aufzu¬
helfen. -- Wohl wagen sich da und dort auch einige kleine Balkone vor die
Umfassungsmauern hinaus, um der Plattheit der Flächeneintheilung einiges
Relief zu geben. Ganz brav; wenn sie nur etwas muthiger aufgetreten wären
und dem Eisengusse bessere Formen für die Geländcrbrüstungen geliefert hätten.

Die Gesimsgliederung und Profilirung, welche den Bau wagrecht scheidet,
die Theile trennt und verbindet, die Oeffnungen umrahmt und krönt, liefert
eine Scala von so unendlich vielen Ausdrücken, daß der Architekt, welcher dieses
Mittel zu beherrschen weiß, schon damit der äußeren Erscheinung des Baues
ein seinem Wesen entsprechendes Gepräge zu geben vermag. Die neue Archi-
etektur macht durchgängig -- auch in den öffentlichen Bauten -- von diesem
Mittel nur einen furchtsamen, ausdruckslosen, zudem fast niemals richtigen
Gebrauch. Man scheint sich vor dem Geständnis), daß das Wohnhaus seinem
Wesen nach wagrecht in Stockwerke gegliedert sei, förmlich zu scheuen; man
scheint vielmehr der Neuheit wegen einmal den Eindruck machen zu wollen, als
lägen hier die Stockwerke senkrecht neben einander. Und überall zeigen die
Gliederungen dieselbe gleichgiltige Magerkeit und Schwäche, ob sie nun Haupt¬
oder Nebentheile, einen kleinen Theil oder das Ganze einschließen und begrenzen.
Deshalb spricht sich auch nirgends ein kräftiger Unterbau aus, den doch die
hohen Gebäude vor Allem verlangen; und in derselben Weise sind die Kämpfer
der Pfeiler und die Archivolten der großen Oeffnungen so dünn profitirt und
so schwächlich eingefaßt, daß diese Theile, welche die größte Widerstandskraft
zeigen müßten, durch ihre scheinbare Gebrechlichkeit das Auge vielmehr be¬
ängstigen.

Auch von der Natur des Ornaments, das die Gliederungen, wie über-


natürlich so dünn als möglich sein, um an den schwachen Lisenen sich todt
laufen zu können; denn über dieselben hinüber zuschneiden, machen nur einige
einen zudem äußerst schüchternen Versuch. Hier und da sind einige Füllungen
etwas breiter, so daß zwei oder drei gekuppelte schmale Fenster darin Platz
haben, die sich dann öfter in Spitzbogenform oben schließen; hart daneben stehen
viel breitere Oeffnungen mit horizontalem Abschluß. Daß den breiteren Oeff-
nungen eher die Bogenform zukommt und die schmalen besser dem scheitrechten
Abschluß sich bequemen können, sieht wohl, wenn sie nebeneinander stehen,
jedes statische und künstlerische Auge. Allerdings finden sich in Venedig, welches
in einer gewissen Periode dem Islam das Eine und Andere von seiner phan¬
tastischen Architektur entnahm, auch solche Zusammenstellungen; und so mag
sich die neue Architektur mit Vielem, was uns verkehrt scheint, auf Vorbilder
aus anderen Ländern und Zeiten berufen. Gut; wenn sie nur auch die Fülle
und Zierlichkeit der Formen, die jenen Vorbildern eigen ist, beachtet und eben¬
falls copirt hätte, statt blos von ihren besonderen launenhaften Zügen auf¬
zunehmen, um der kläglichen Dürftigkeit ihrer eigenen Phantasie damit aufzu¬
helfen. — Wohl wagen sich da und dort auch einige kleine Balkone vor die
Umfassungsmauern hinaus, um der Plattheit der Flächeneintheilung einiges
Relief zu geben. Ganz brav; wenn sie nur etwas muthiger aufgetreten wären
und dem Eisengusse bessere Formen für die Geländcrbrüstungen geliefert hätten.

Die Gesimsgliederung und Profilirung, welche den Bau wagrecht scheidet,
die Theile trennt und verbindet, die Oeffnungen umrahmt und krönt, liefert
eine Scala von so unendlich vielen Ausdrücken, daß der Architekt, welcher dieses
Mittel zu beherrschen weiß, schon damit der äußeren Erscheinung des Baues
ein seinem Wesen entsprechendes Gepräge zu geben vermag. Die neue Archi-
etektur macht durchgängig — auch in den öffentlichen Bauten — von diesem
Mittel nur einen furchtsamen, ausdruckslosen, zudem fast niemals richtigen
Gebrauch. Man scheint sich vor dem Geständnis), daß das Wohnhaus seinem
Wesen nach wagrecht in Stockwerke gegliedert sei, förmlich zu scheuen; man
scheint vielmehr der Neuheit wegen einmal den Eindruck machen zu wollen, als
lägen hier die Stockwerke senkrecht neben einander. Und überall zeigen die
Gliederungen dieselbe gleichgiltige Magerkeit und Schwäche, ob sie nun Haupt¬
oder Nebentheile, einen kleinen Theil oder das Ganze einschließen und begrenzen.
Deshalb spricht sich auch nirgends ein kräftiger Unterbau aus, den doch die
hohen Gebäude vor Allem verlangen; und in derselben Weise sind die Kämpfer
der Pfeiler und die Archivolten der großen Oeffnungen so dünn profitirt und
so schwächlich eingefaßt, daß diese Theile, welche die größte Widerstandskraft
zeigen müßten, durch ihre scheinbare Gebrechlichkeit das Auge vielmehr be¬
ängstigen.

Auch von der Natur des Ornaments, das die Gliederungen, wie über-


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[0449] natürlich so dünn als möglich sein, um an den schwachen Lisenen sich todt laufen zu können; denn über dieselben hinüber zuschneiden, machen nur einige einen zudem äußerst schüchternen Versuch. Hier und da sind einige Füllungen etwas breiter, so daß zwei oder drei gekuppelte schmale Fenster darin Platz haben, die sich dann öfter in Spitzbogenform oben schließen; hart daneben stehen viel breitere Oeffnungen mit horizontalem Abschluß. Daß den breiteren Oeff- nungen eher die Bogenform zukommt und die schmalen besser dem scheitrechten Abschluß sich bequemen können, sieht wohl, wenn sie nebeneinander stehen, jedes statische und künstlerische Auge. Allerdings finden sich in Venedig, welches in einer gewissen Periode dem Islam das Eine und Andere von seiner phan¬ tastischen Architektur entnahm, auch solche Zusammenstellungen; und so mag sich die neue Architektur mit Vielem, was uns verkehrt scheint, auf Vorbilder aus anderen Ländern und Zeiten berufen. Gut; wenn sie nur auch die Fülle und Zierlichkeit der Formen, die jenen Vorbildern eigen ist, beachtet und eben¬ falls copirt hätte, statt blos von ihren besonderen launenhaften Zügen auf¬ zunehmen, um der kläglichen Dürftigkeit ihrer eigenen Phantasie damit aufzu¬ helfen. — Wohl wagen sich da und dort auch einige kleine Balkone vor die Umfassungsmauern hinaus, um der Plattheit der Flächeneintheilung einiges Relief zu geben. Ganz brav; wenn sie nur etwas muthiger aufgetreten wären und dem Eisengusse bessere Formen für die Geländcrbrüstungen geliefert hätten. Die Gesimsgliederung und Profilirung, welche den Bau wagrecht scheidet, die Theile trennt und verbindet, die Oeffnungen umrahmt und krönt, liefert eine Scala von so unendlich vielen Ausdrücken, daß der Architekt, welcher dieses Mittel zu beherrschen weiß, schon damit der äußeren Erscheinung des Baues ein seinem Wesen entsprechendes Gepräge zu geben vermag. Die neue Archi- etektur macht durchgängig — auch in den öffentlichen Bauten — von diesem Mittel nur einen furchtsamen, ausdruckslosen, zudem fast niemals richtigen Gebrauch. Man scheint sich vor dem Geständnis), daß das Wohnhaus seinem Wesen nach wagrecht in Stockwerke gegliedert sei, förmlich zu scheuen; man scheint vielmehr der Neuheit wegen einmal den Eindruck machen zu wollen, als lägen hier die Stockwerke senkrecht neben einander. Und überall zeigen die Gliederungen dieselbe gleichgiltige Magerkeit und Schwäche, ob sie nun Haupt¬ oder Nebentheile, einen kleinen Theil oder das Ganze einschließen und begrenzen. Deshalb spricht sich auch nirgends ein kräftiger Unterbau aus, den doch die hohen Gebäude vor Allem verlangen; und in derselben Weise sind die Kämpfer der Pfeiler und die Archivolten der großen Oeffnungen so dünn profitirt und so schwächlich eingefaßt, daß diese Theile, welche die größte Widerstandskraft zeigen müßten, durch ihre scheinbare Gebrechlichkeit das Auge vielmehr be¬ ängstigen. Auch von der Natur des Ornaments, das die Gliederungen, wie über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/449>, abgerufen am 27.09.2024.