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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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eine vermittelnde Richtung vor. man wollte weder die Auswüchse der Roman¬
tiker billigen, noch sich von den Nachbetern der alten Schule den Weg vor¬
schreiben lassen. neigte Niccolo Tommasco mehr zu den Mailänder Roman¬
tikern, wie er auch im Politischen zu der neuguclfischcn Richtung zu zählen war,
so besaß die Anthologie dagegen an Mvntani und Giordani Vertheidiger der
classischen Principien und an Fr. Forel aus Pescia, dem Schwiegersohn Sis-
mondis. einen warmen Ghibellinen, der einerseits den Päpstlichen, andrerseits
einer bereits auftauchenden radicalen Schule gegenüber aus Piemont als den
italienischen Hoffnungsstaat hinwies, unbeirrt durch die noch für lange Zeit
daselbst herrschende Reaction. Je mehr die Anthologie eine einseitige Richtung
zu vermeiden wußte, um so größer war ihr Einfluß. Sie hatte damit nicht
blos ein echt tosccmisches Gepräge -- denn eine verständige harmonische Mi¬
schung der Kräfte trug hier meist den Sieg über die Extreme davon -- son¬
dern es breitete sich in diesen Kreisen auch am frühesten jene politische Denk¬
weise aus, welche später die guelsische und ghibellinische Partei zu gemeinschaft¬
licher Thätigkeit versöhnend zur Bildung einer Nationalpartei führte.

Zunächst freilich standen neue Prüfungen bevor. Der Rückschlag, der auf
die Bewegungen von 1830 und 1831 folgte, verschonte diesmal auch Toscana
nicht und machte dem ungezwungenen literarischen Treiben daselbst -- zumeist
durch fremde Einwirkung -- ein Ende. Mehre der Emigrirten, die bisher
hier ein Asyl gefunden hatten, mußten jetzt das Land verlassen, ein Loos, dem
andere durch den Tod entzogen wurden. Das patriarchalische Negierungs-
svstem Fossombrones enthüllte jetzt die andere Seite seines Wesens, deren
einzelne Züge in Giustis Satiren ihre Verewigung fanden. Im Jahre 1832
mußte auch die Anthologie aufhören zu erscheinen, eine Lücke lassend, die schmerz¬
lich empfunden und nicht so schnell ausgefüllt wurde, als damals die Antho¬
logie die Erbschaft des Conciliatore angetreten hatte. Erst im Jahre 1846
konnte wieder ein ähnliches Organ, diesmal in Turin, auftauchen, worin im
Gegensatz zu den rein literarischen Bestrebungen die politischen und national-
ökonomischen Fragen schon deutlicher in den Vordergrund traten. Der Fort¬
schritt vom Conciliatore zur florentiner Anthologie und von dieser zur ^.rrto-
logig, iwliavu, ist in die Augen fallend; die ganze literarisch-politische Entwicke¬
lung des neueren Italiens ist darin abgespiegelt.

Gerade in dieser Zeit, da dem gedruckten Wort engere Grenzen gesteckt
wurden, erlangten nun jene vieusseuxschen Abende um so größere Bedeutung.
Es war eine Art geistige Verschwörung, an der die Besten des Landes sich be¬
theiligten; ihr Inhalt war derselbe, der die Gebildeten der ganzen Halbinsel zu
Verschworenen machte, aber dort besaß die Conspiration einen angesehenen
Mittelpunkt, der. auf wissenschaftlicher Tüchtigkeit beruhend und bedeutend durch
Rang und Verdienst der Verbundenen, im Stillen seine Strahlen weithin aus-


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eine vermittelnde Richtung vor. man wollte weder die Auswüchse der Roman¬
tiker billigen, noch sich von den Nachbetern der alten Schule den Weg vor¬
schreiben lassen. neigte Niccolo Tommasco mehr zu den Mailänder Roman¬
tikern, wie er auch im Politischen zu der neuguclfischcn Richtung zu zählen war,
so besaß die Anthologie dagegen an Mvntani und Giordani Vertheidiger der
classischen Principien und an Fr. Forel aus Pescia, dem Schwiegersohn Sis-
mondis. einen warmen Ghibellinen, der einerseits den Päpstlichen, andrerseits
einer bereits auftauchenden radicalen Schule gegenüber aus Piemont als den
italienischen Hoffnungsstaat hinwies, unbeirrt durch die noch für lange Zeit
daselbst herrschende Reaction. Je mehr die Anthologie eine einseitige Richtung
zu vermeiden wußte, um so größer war ihr Einfluß. Sie hatte damit nicht
blos ein echt tosccmisches Gepräge — denn eine verständige harmonische Mi¬
schung der Kräfte trug hier meist den Sieg über die Extreme davon — son¬
dern es breitete sich in diesen Kreisen auch am frühesten jene politische Denk¬
weise aus, welche später die guelsische und ghibellinische Partei zu gemeinschaft¬
licher Thätigkeit versöhnend zur Bildung einer Nationalpartei führte.

Zunächst freilich standen neue Prüfungen bevor. Der Rückschlag, der auf
die Bewegungen von 1830 und 1831 folgte, verschonte diesmal auch Toscana
nicht und machte dem ungezwungenen literarischen Treiben daselbst — zumeist
durch fremde Einwirkung — ein Ende. Mehre der Emigrirten, die bisher
hier ein Asyl gefunden hatten, mußten jetzt das Land verlassen, ein Loos, dem
andere durch den Tod entzogen wurden. Das patriarchalische Negierungs-
svstem Fossombrones enthüllte jetzt die andere Seite seines Wesens, deren
einzelne Züge in Giustis Satiren ihre Verewigung fanden. Im Jahre 1832
mußte auch die Anthologie aufhören zu erscheinen, eine Lücke lassend, die schmerz¬
lich empfunden und nicht so schnell ausgefüllt wurde, als damals die Antho¬
logie die Erbschaft des Conciliatore angetreten hatte. Erst im Jahre 1846
konnte wieder ein ähnliches Organ, diesmal in Turin, auftauchen, worin im
Gegensatz zu den rein literarischen Bestrebungen die politischen und national-
ökonomischen Fragen schon deutlicher in den Vordergrund traten. Der Fort¬
schritt vom Conciliatore zur florentiner Anthologie und von dieser zur ^.rrto-
logig, iwliavu, ist in die Augen fallend; die ganze literarisch-politische Entwicke¬
lung des neueren Italiens ist darin abgespiegelt.

Gerade in dieser Zeit, da dem gedruckten Wort engere Grenzen gesteckt
wurden, erlangten nun jene vieusseuxschen Abende um so größere Bedeutung.
Es war eine Art geistige Verschwörung, an der die Besten des Landes sich be¬
theiligten; ihr Inhalt war derselbe, der die Gebildeten der ganzen Halbinsel zu
Verschworenen machte, aber dort besaß die Conspiration einen angesehenen
Mittelpunkt, der. auf wissenschaftlicher Tüchtigkeit beruhend und bedeutend durch
Rang und Verdienst der Verbundenen, im Stillen seine Strahlen weithin aus-


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[0431] eine vermittelnde Richtung vor. man wollte weder die Auswüchse der Roman¬ tiker billigen, noch sich von den Nachbetern der alten Schule den Weg vor¬ schreiben lassen. neigte Niccolo Tommasco mehr zu den Mailänder Roman¬ tikern, wie er auch im Politischen zu der neuguclfischcn Richtung zu zählen war, so besaß die Anthologie dagegen an Mvntani und Giordani Vertheidiger der classischen Principien und an Fr. Forel aus Pescia, dem Schwiegersohn Sis- mondis. einen warmen Ghibellinen, der einerseits den Päpstlichen, andrerseits einer bereits auftauchenden radicalen Schule gegenüber aus Piemont als den italienischen Hoffnungsstaat hinwies, unbeirrt durch die noch für lange Zeit daselbst herrschende Reaction. Je mehr die Anthologie eine einseitige Richtung zu vermeiden wußte, um so größer war ihr Einfluß. Sie hatte damit nicht blos ein echt tosccmisches Gepräge — denn eine verständige harmonische Mi¬ schung der Kräfte trug hier meist den Sieg über die Extreme davon — son¬ dern es breitete sich in diesen Kreisen auch am frühesten jene politische Denk¬ weise aus, welche später die guelsische und ghibellinische Partei zu gemeinschaft¬ licher Thätigkeit versöhnend zur Bildung einer Nationalpartei führte. Zunächst freilich standen neue Prüfungen bevor. Der Rückschlag, der auf die Bewegungen von 1830 und 1831 folgte, verschonte diesmal auch Toscana nicht und machte dem ungezwungenen literarischen Treiben daselbst — zumeist durch fremde Einwirkung — ein Ende. Mehre der Emigrirten, die bisher hier ein Asyl gefunden hatten, mußten jetzt das Land verlassen, ein Loos, dem andere durch den Tod entzogen wurden. Das patriarchalische Negierungs- svstem Fossombrones enthüllte jetzt die andere Seite seines Wesens, deren einzelne Züge in Giustis Satiren ihre Verewigung fanden. Im Jahre 1832 mußte auch die Anthologie aufhören zu erscheinen, eine Lücke lassend, die schmerz¬ lich empfunden und nicht so schnell ausgefüllt wurde, als damals die Antho¬ logie die Erbschaft des Conciliatore angetreten hatte. Erst im Jahre 1846 konnte wieder ein ähnliches Organ, diesmal in Turin, auftauchen, worin im Gegensatz zu den rein literarischen Bestrebungen die politischen und national- ökonomischen Fragen schon deutlicher in den Vordergrund traten. Der Fort¬ schritt vom Conciliatore zur florentiner Anthologie und von dieser zur ^.rrto- logig, iwliavu, ist in die Augen fallend; die ganze literarisch-politische Entwicke¬ lung des neueren Italiens ist darin abgespiegelt. Gerade in dieser Zeit, da dem gedruckten Wort engere Grenzen gesteckt wurden, erlangten nun jene vieusseuxschen Abende um so größere Bedeutung. Es war eine Art geistige Verschwörung, an der die Besten des Landes sich be¬ theiligten; ihr Inhalt war derselbe, der die Gebildeten der ganzen Halbinsel zu Verschworenen machte, aber dort besaß die Conspiration einen angesehenen Mittelpunkt, der. auf wissenschaftlicher Tüchtigkeit beruhend und bedeutend durch Rang und Verdienst der Verbundenen, im Stillen seine Strahlen weithin aus- 54*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/431>, abgerufen am 27.09.2024.