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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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und ausgelassen aus der Mauerfläche hervorspringen, das goldene Zeitalter der
Kunst. Und solche Bildwerke, wie sie schon aus Rücksicht für die körperliche
Bildung des kommenden Geschlechtes nicht geduldet werden sollten, finden sich
an einem Nationalmuseum!

Aus dem Centrum des Mittelbaues springt ein Balkon mit einer sehr dün¬
nen Brüstung, die natürlich wieder aus siligranartigem gothischen Maßwerk
besteht, nicht weit vor. Welche Anstrengungen werden hier gemacht, um
diese augenscheinlich so geringe Last zu tragen! Drei massive Tonnengewölbe
von der Tudorform sind auf horizontal aus der Mauer vorspringenden starken
Steinbalken gelagert, die vorn in übertrieben starker Kämpferfvrm enden. Die
Köpfe dieser Balken werden getragen von kolossalen ungeschlachten männlichen
Figuren, die sich mit demselben Rechte für Atlanten geben, als jene Weiber mit
Ammenbrüsten für Karyatiden; auch stehen sie diesen an Form- und Charakter¬
losigkeit um nichts nach und sind überdies durch eine eigene Stilisirung aus¬
gezeichnet, die sich vornehmlich in gezirkelten Knieen und Brustkasten kundgibt.
Ein solches massives Untergestell hätte vermuthen lassen, daß statt eines leich¬
ten Ballönchens ein hoher, kräftiger Portalbau sich hier zu erheben hätte.
Aber diese neue Architektur weiß nun und nimmer den Anfang mit dem Ende
zusammenzureimen, das structive Wesen des Baues in den äußeren Formen
auszudrücken, die richtige Mitte zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig einzu¬
halten. Sie gebraucht diese Formen überall nur als inhaltlose Verzierung, die
nicht lebendig von innen herauswächst, sondern willkürlich von außen angeheftet
wird, um dem Baue irgendein, wer weiß welches Ansehen zu geben.

Dieser gänzliche Mangel an Gestaltungsvermögen, dem Alles willkommen
ist, was ihm ein augenblicklicher Einfall in die Hand spielt, zeigt sich in der
ganzen Ausstaffirung des Baues. Es wird genügen, darauf hinzudeuten, wie
die Hängplatte des Hauptgesimses auf Trägern der hölzernsten Tischlererfindung
aufsitzt, wie das Gesimse plötzlich in der Mitte des Baues aufhört, um durch
die Aufschrift unterbrochen zu werden, auf häßlichen Trägerbündeln sich um die
Polygonen Pfeiler, welche die Gebäudetheile trennen, herumkröpft und wie
diese Pfeiler selber in höchst seltsame, stark an türkische Architektur erinnernde
krautkopfähnliche Aufsätze über der Höhe der Attiken endigen. So kläglich ist .
der ganze Eindruck, daß ihn die unschöne Form der über den niedrigeren At¬
tiken aufgestellten Mischnäpfe nicht noch vermehren kann. Wir haben genug
und verzichten deshalb vorläufig, über die abgeschmackte Decoration der Vor¬
halle und des Treppenhauses zu sprechen. Vielleicht findet sich später einmal
Gelegenheit, auf die innere Ausschmückung dieser Gebäude zu kommen und
dabei das Verhältniß, in dem moderne Plastik und Malerei zu dieser neuesten
Architektur stehen, näher zu betrachten.

Nur ein Wort noch über das Material. Alles ist Verputz, der ganze


und ausgelassen aus der Mauerfläche hervorspringen, das goldene Zeitalter der
Kunst. Und solche Bildwerke, wie sie schon aus Rücksicht für die körperliche
Bildung des kommenden Geschlechtes nicht geduldet werden sollten, finden sich
an einem Nationalmuseum!

Aus dem Centrum des Mittelbaues springt ein Balkon mit einer sehr dün¬
nen Brüstung, die natürlich wieder aus siligranartigem gothischen Maßwerk
besteht, nicht weit vor. Welche Anstrengungen werden hier gemacht, um
diese augenscheinlich so geringe Last zu tragen! Drei massive Tonnengewölbe
von der Tudorform sind auf horizontal aus der Mauer vorspringenden starken
Steinbalken gelagert, die vorn in übertrieben starker Kämpferfvrm enden. Die
Köpfe dieser Balken werden getragen von kolossalen ungeschlachten männlichen
Figuren, die sich mit demselben Rechte für Atlanten geben, als jene Weiber mit
Ammenbrüsten für Karyatiden; auch stehen sie diesen an Form- und Charakter¬
losigkeit um nichts nach und sind überdies durch eine eigene Stilisirung aus¬
gezeichnet, die sich vornehmlich in gezirkelten Knieen und Brustkasten kundgibt.
Ein solches massives Untergestell hätte vermuthen lassen, daß statt eines leich¬
ten Ballönchens ein hoher, kräftiger Portalbau sich hier zu erheben hätte.
Aber diese neue Architektur weiß nun und nimmer den Anfang mit dem Ende
zusammenzureimen, das structive Wesen des Baues in den äußeren Formen
auszudrücken, die richtige Mitte zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig einzu¬
halten. Sie gebraucht diese Formen überall nur als inhaltlose Verzierung, die
nicht lebendig von innen herauswächst, sondern willkürlich von außen angeheftet
wird, um dem Baue irgendein, wer weiß welches Ansehen zu geben.

Dieser gänzliche Mangel an Gestaltungsvermögen, dem Alles willkommen
ist, was ihm ein augenblicklicher Einfall in die Hand spielt, zeigt sich in der
ganzen Ausstaffirung des Baues. Es wird genügen, darauf hinzudeuten, wie
die Hängplatte des Hauptgesimses auf Trägern der hölzernsten Tischlererfindung
aufsitzt, wie das Gesimse plötzlich in der Mitte des Baues aufhört, um durch
die Aufschrift unterbrochen zu werden, auf häßlichen Trägerbündeln sich um die
Polygonen Pfeiler, welche die Gebäudetheile trennen, herumkröpft und wie
diese Pfeiler selber in höchst seltsame, stark an türkische Architektur erinnernde
krautkopfähnliche Aufsätze über der Höhe der Attiken endigen. So kläglich ist .
der ganze Eindruck, daß ihn die unschöne Form der über den niedrigeren At¬
tiken aufgestellten Mischnäpfe nicht noch vermehren kann. Wir haben genug
und verzichten deshalb vorläufig, über die abgeschmackte Decoration der Vor¬
halle und des Treppenhauses zu sprechen. Vielleicht findet sich später einmal
Gelegenheit, auf die innere Ausschmückung dieser Gebäude zu kommen und
dabei das Verhältniß, in dem moderne Plastik und Malerei zu dieser neuesten
Architektur stehen, näher zu betrachten.

Nur ein Wort noch über das Material. Alles ist Verputz, der ganze


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[0424] und ausgelassen aus der Mauerfläche hervorspringen, das goldene Zeitalter der Kunst. Und solche Bildwerke, wie sie schon aus Rücksicht für die körperliche Bildung des kommenden Geschlechtes nicht geduldet werden sollten, finden sich an einem Nationalmuseum! Aus dem Centrum des Mittelbaues springt ein Balkon mit einer sehr dün¬ nen Brüstung, die natürlich wieder aus siligranartigem gothischen Maßwerk besteht, nicht weit vor. Welche Anstrengungen werden hier gemacht, um diese augenscheinlich so geringe Last zu tragen! Drei massive Tonnengewölbe von der Tudorform sind auf horizontal aus der Mauer vorspringenden starken Steinbalken gelagert, die vorn in übertrieben starker Kämpferfvrm enden. Die Köpfe dieser Balken werden getragen von kolossalen ungeschlachten männlichen Figuren, die sich mit demselben Rechte für Atlanten geben, als jene Weiber mit Ammenbrüsten für Karyatiden; auch stehen sie diesen an Form- und Charakter¬ losigkeit um nichts nach und sind überdies durch eine eigene Stilisirung aus¬ gezeichnet, die sich vornehmlich in gezirkelten Knieen und Brustkasten kundgibt. Ein solches massives Untergestell hätte vermuthen lassen, daß statt eines leich¬ ten Ballönchens ein hoher, kräftiger Portalbau sich hier zu erheben hätte. Aber diese neue Architektur weiß nun und nimmer den Anfang mit dem Ende zusammenzureimen, das structive Wesen des Baues in den äußeren Formen auszudrücken, die richtige Mitte zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig einzu¬ halten. Sie gebraucht diese Formen überall nur als inhaltlose Verzierung, die nicht lebendig von innen herauswächst, sondern willkürlich von außen angeheftet wird, um dem Baue irgendein, wer weiß welches Ansehen zu geben. Dieser gänzliche Mangel an Gestaltungsvermögen, dem Alles willkommen ist, was ihm ein augenblicklicher Einfall in die Hand spielt, zeigt sich in der ganzen Ausstaffirung des Baues. Es wird genügen, darauf hinzudeuten, wie die Hängplatte des Hauptgesimses auf Trägern der hölzernsten Tischlererfindung aufsitzt, wie das Gesimse plötzlich in der Mitte des Baues aufhört, um durch die Aufschrift unterbrochen zu werden, auf häßlichen Trägerbündeln sich um die Polygonen Pfeiler, welche die Gebäudetheile trennen, herumkröpft und wie diese Pfeiler selber in höchst seltsame, stark an türkische Architektur erinnernde krautkopfähnliche Aufsätze über der Höhe der Attiken endigen. So kläglich ist . der ganze Eindruck, daß ihn die unschöne Form der über den niedrigeren At¬ tiken aufgestellten Mischnäpfe nicht noch vermehren kann. Wir haben genug und verzichten deshalb vorläufig, über die abgeschmackte Decoration der Vor¬ halle und des Treppenhauses zu sprechen. Vielleicht findet sich später einmal Gelegenheit, auf die innere Ausschmückung dieser Gebäude zu kommen und dabei das Verhältniß, in dem moderne Plastik und Malerei zu dieser neuesten Architektur stehen, näher zu betrachten. Nur ein Wort noch über das Material. Alles ist Verputz, der ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/424>, abgerufen am 27.09.2024.