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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Die hohen Kirchenfenster sind ihrer Breite nach durch je drei oder zwei
senkrechte Pfosten gleicher Stärke getheilt, weiche den Säulchen der öderen und
unteren kleinen Arkaden entsprechen, so daß die ganze Fayade über dem Erd¬
geschosse wie eine Vergitterung zwischen schmalen Pfeilern durch senkrechte
Stäbe, welche sich oben spitzbogig zusammenschließen, erscheint. Dieses eigen¬
thümliche Ansehen hat einem Kritiker Veranlassung gegeben, das Ganze nicht
unpassend mit einem aus Rohr geflochtenen Ephcugesiellc zu vergleichen; man
mag auch an einen Bogelkäfig denken, um so mehr, als der schmale Raum
zwischen den senkrechten Fensterstäben selbst einen schmächtigen Körper nicht
durchlassen zu wollen scheint. Der Einfall des neuen Stiles, die Fenster durch
mehre Stockwerke zu führen, um sie gehörig strecken zu können und die Decken
der Stockwerke hinter dünnen Fenstcrsprvssen zu verstecken, erscheint -- einige ver¬
schwindende Ausnahmen abgerechnet, in denen zudem diese Anordnung sich offen
aussprichi, -- allerdings neu, aber ebenso unpassend als geschmacklos. Hat denn
unsere Zeit die Aufgabe, durch die Maske hoher Kirchenfenster mit dem kirchlichen
Geist des Mittelalters zu totettnen? Oder sollten etwa die Rcgicrungsräthe
dem Bolle als höhere Wesen erscheinen, indem sie auf einem schmalen "laufen¬
den Hund", hinter welchem der Fußboden verborgen ist, sich in der Mitte der
Fenster schwebend bewegen? Sie werden eher das Aussehen von Seiltänzern
haben. Welch eine Architektur, die statt den ernsten Eindruck eines monumen¬
talen, für einen großen Zweck bestimmten Baues hervorzurufen, nur den Spott
muthwillig herauszufordern vermag! -- Den Zimmern übrigens, deren Decken
an die Fcnstcrflächen stoßen, wird es an Licht nicht fehlen, da ja ihre Fenster
vom Fußboden bis zur Decke reichen. Dagegen sehen wir noch ein ganzes
Stockwerk von ziemlicher Höhe, in das wohl nur ein geheimnißvolles Dämmer¬
licht fallen kann; denn es befindet sich in der Höhenrcgion, welche das Bogen-
feld der Kirchenfenster einnimmt, das lediglich durch ein kleines, kreisrundes
Fenster durchbrochen ist. Es ist dies eine rohe und armselige Form aus der
ersten Entwicklungszeit des Spitzbogenfensters: weshalb gerade eine solche nach¬
ahmen ?

Die Anordnung der Fa^abe der Höhe nach erinnert indessen nicht sowohl
an das Aeußere einer gothischen Kirche, als an den Längenschnitt des Haupt¬
schiffes, in welchem sie in der That ihr Vorbild gesucht zu haben scheint.
Denn durch die offenen Arkaden der unteren Region sieht man wie in das
Seitenschiff, über demselben erscheinen die kleinen Spitzbogcnarkaden gerade so,
wie die Trifvriengallerien, hinter welchen das Pultdach des Seitenschiffes liegt,
und darüber erheben sich dann die hochgcstreckten Fenster des Mittelschiffs. Je¬
dem unbefangenen Architekten wird sich dieser Vergleich aufdrängen und der
Widersinn dieser Anordnung für die Faxade zu einem Regierungsgebäude in
die Augen springen. '


Die hohen Kirchenfenster sind ihrer Breite nach durch je drei oder zwei
senkrechte Pfosten gleicher Stärke getheilt, weiche den Säulchen der öderen und
unteren kleinen Arkaden entsprechen, so daß die ganze Fayade über dem Erd¬
geschosse wie eine Vergitterung zwischen schmalen Pfeilern durch senkrechte
Stäbe, welche sich oben spitzbogig zusammenschließen, erscheint. Dieses eigen¬
thümliche Ansehen hat einem Kritiker Veranlassung gegeben, das Ganze nicht
unpassend mit einem aus Rohr geflochtenen Ephcugesiellc zu vergleichen; man
mag auch an einen Bogelkäfig denken, um so mehr, als der schmale Raum
zwischen den senkrechten Fensterstäben selbst einen schmächtigen Körper nicht
durchlassen zu wollen scheint. Der Einfall des neuen Stiles, die Fenster durch
mehre Stockwerke zu führen, um sie gehörig strecken zu können und die Decken
der Stockwerke hinter dünnen Fenstcrsprvssen zu verstecken, erscheint — einige ver¬
schwindende Ausnahmen abgerechnet, in denen zudem diese Anordnung sich offen
aussprichi, — allerdings neu, aber ebenso unpassend als geschmacklos. Hat denn
unsere Zeit die Aufgabe, durch die Maske hoher Kirchenfenster mit dem kirchlichen
Geist des Mittelalters zu totettnen? Oder sollten etwa die Rcgicrungsräthe
dem Bolle als höhere Wesen erscheinen, indem sie auf einem schmalen „laufen¬
den Hund", hinter welchem der Fußboden verborgen ist, sich in der Mitte der
Fenster schwebend bewegen? Sie werden eher das Aussehen von Seiltänzern
haben. Welch eine Architektur, die statt den ernsten Eindruck eines monumen¬
talen, für einen großen Zweck bestimmten Baues hervorzurufen, nur den Spott
muthwillig herauszufordern vermag! — Den Zimmern übrigens, deren Decken
an die Fcnstcrflächen stoßen, wird es an Licht nicht fehlen, da ja ihre Fenster
vom Fußboden bis zur Decke reichen. Dagegen sehen wir noch ein ganzes
Stockwerk von ziemlicher Höhe, in das wohl nur ein geheimnißvolles Dämmer¬
licht fallen kann; denn es befindet sich in der Höhenrcgion, welche das Bogen-
feld der Kirchenfenster einnimmt, das lediglich durch ein kleines, kreisrundes
Fenster durchbrochen ist. Es ist dies eine rohe und armselige Form aus der
ersten Entwicklungszeit des Spitzbogenfensters: weshalb gerade eine solche nach¬
ahmen ?

Die Anordnung der Fa^abe der Höhe nach erinnert indessen nicht sowohl
an das Aeußere einer gothischen Kirche, als an den Längenschnitt des Haupt¬
schiffes, in welchem sie in der That ihr Vorbild gesucht zu haben scheint.
Denn durch die offenen Arkaden der unteren Region sieht man wie in das
Seitenschiff, über demselben erscheinen die kleinen Spitzbogcnarkaden gerade so,
wie die Trifvriengallerien, hinter welchen das Pultdach des Seitenschiffes liegt,
und darüber erheben sich dann die hochgcstreckten Fenster des Mittelschiffs. Je¬
dem unbefangenen Architekten wird sich dieser Vergleich aufdrängen und der
Widersinn dieser Anordnung für die Faxade zu einem Regierungsgebäude in
die Augen springen. '


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[0418] Die hohen Kirchenfenster sind ihrer Breite nach durch je drei oder zwei senkrechte Pfosten gleicher Stärke getheilt, weiche den Säulchen der öderen und unteren kleinen Arkaden entsprechen, so daß die ganze Fayade über dem Erd¬ geschosse wie eine Vergitterung zwischen schmalen Pfeilern durch senkrechte Stäbe, welche sich oben spitzbogig zusammenschließen, erscheint. Dieses eigen¬ thümliche Ansehen hat einem Kritiker Veranlassung gegeben, das Ganze nicht unpassend mit einem aus Rohr geflochtenen Ephcugesiellc zu vergleichen; man mag auch an einen Bogelkäfig denken, um so mehr, als der schmale Raum zwischen den senkrechten Fensterstäben selbst einen schmächtigen Körper nicht durchlassen zu wollen scheint. Der Einfall des neuen Stiles, die Fenster durch mehre Stockwerke zu führen, um sie gehörig strecken zu können und die Decken der Stockwerke hinter dünnen Fenstcrsprvssen zu verstecken, erscheint — einige ver¬ schwindende Ausnahmen abgerechnet, in denen zudem diese Anordnung sich offen aussprichi, — allerdings neu, aber ebenso unpassend als geschmacklos. Hat denn unsere Zeit die Aufgabe, durch die Maske hoher Kirchenfenster mit dem kirchlichen Geist des Mittelalters zu totettnen? Oder sollten etwa die Rcgicrungsräthe dem Bolle als höhere Wesen erscheinen, indem sie auf einem schmalen „laufen¬ den Hund", hinter welchem der Fußboden verborgen ist, sich in der Mitte der Fenster schwebend bewegen? Sie werden eher das Aussehen von Seiltänzern haben. Welch eine Architektur, die statt den ernsten Eindruck eines monumen¬ talen, für einen großen Zweck bestimmten Baues hervorzurufen, nur den Spott muthwillig herauszufordern vermag! — Den Zimmern übrigens, deren Decken an die Fcnstcrflächen stoßen, wird es an Licht nicht fehlen, da ja ihre Fenster vom Fußboden bis zur Decke reichen. Dagegen sehen wir noch ein ganzes Stockwerk von ziemlicher Höhe, in das wohl nur ein geheimnißvolles Dämmer¬ licht fallen kann; denn es befindet sich in der Höhenrcgion, welche das Bogen- feld der Kirchenfenster einnimmt, das lediglich durch ein kleines, kreisrundes Fenster durchbrochen ist. Es ist dies eine rohe und armselige Form aus der ersten Entwicklungszeit des Spitzbogenfensters: weshalb gerade eine solche nach¬ ahmen ? Die Anordnung der Fa^abe der Höhe nach erinnert indessen nicht sowohl an das Aeußere einer gothischen Kirche, als an den Längenschnitt des Haupt¬ schiffes, in welchem sie in der That ihr Vorbild gesucht zu haben scheint. Denn durch die offenen Arkaden der unteren Region sieht man wie in das Seitenschiff, über demselben erscheinen die kleinen Spitzbogcnarkaden gerade so, wie die Trifvriengallerien, hinter welchen das Pultdach des Seitenschiffes liegt, und darüber erheben sich dann die hochgcstreckten Fenster des Mittelschiffs. Je¬ dem unbefangenen Architekten wird sich dieser Vergleich aufdrängen und der Widersinn dieser Anordnung für die Faxade zu einem Regierungsgebäude in die Augen springen. '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/418>, abgerufen am 27.09.2024.