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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Aber wie drohend die äußern Gefahren auch sind, bevor sie einen heil¬
samen Einfluß auf den Verfassungskampf in Preußen ausüben, müßten die
Niederlagen der Jahre 1806 und 1807 sich wiederholen. Es wäre für die
Preußen ebenso frevelhaft als unsicher, von einer solchen Eventualität Besse¬
rung der innern Zustände zu erwarten.

Das unheimliche Bangen, welches die Reactionspartei vor der Zukunft
empfindet, verräth^ sich noch nach anderer Seite auffallend. Es liegt im Plane,
auch die Person des Kronprinzen in der öffentlichen Meinung als dem gegen¬
wärtigen System befreundet darzustellen. Immer wieder kamen erfundene Mit¬
theilungen von Unterredungen, welche der Thronfolger mit Herrn von Bismarck
gehabt, von seiner Theilnahme an den Sitzungen des Staatsministeriums und
Aehnliches. Die Kölnische Zeitung hat, offenbar aus guter Quelle, diese aus¬
gestreuten Notizen als Unwahrheiten dementirt. Es ist den Kreisen der Ab¬
geordneten so gut bekannt, als der fremden Diplomatie Berlins, daß die reser-
virte und schweigsame Haltung des Thronfolgers der feudalen Partei nicht nur
unbequem ist, sondern daß dieselbe von dem Erben des preußischen Thrones
nichts für sich hofft und Alles fürchtet. Und es ist wohlbekannt, daß die
abenteuerlichsten Combinationen ersonnen werden, um die etwa in seiner Zu¬
kunft drohende Gefahr zu beseitigen. Aber wenn auch in Preußen die Hoff¬
nung auf eine bessere Zeit unter neuer Regierung wieder ein Dämmerlicht über
die schlechte Gegenwart wirft, das Volk soll nicht der Zukunft und
fürstlicher Hilfe überlassen, was ihm jetzt für sich selbst zu ge¬
winnen Pflicht ist. Möglich, daß für den Thronfolger der Tag nahe liegt,
wo er veranlaßt ist, seine Ueberzeugungen offen auszusprechen, aber auch dar¬
auf' hat die Opposition nichtzu warten.

Das preußische Volk muß sich selbst helfen. Die nächste Aufgabe
liegt in der Hand der Communen; wo die Kraft der einzelnen Gemeinden
nicht ausreicht, steht ihnen frei, gemeinsam die Schritte zu berathen. Die grö¬
ßeren und mittleren Städte sind es, von deren Bürgerkraft die nächsten Ma߬
nahmen zu erwarten sind.

Eines aber mögen die Bürger Preußens bedenken, daß die Zeit der Peti¬
tionen und kleinen Demonstrationen vorüber ist.

Das Haus der Abgeordneten hat durch seine Majorität eine schwere Auf¬
gabe mit Hingebung und Pflichttreue erfüllt. Es hat auf dem Grunde einer
Verfassung, welche ihm nur ungenügende Mittel des Widerstandes in die Hand
gibt, einer feindseligen Regierungsgewalt mannhaft widerstanden. Die Session
dieses Winters ist eine Schule geworden, in welcher mehr als ein kräftiges Ta¬
lent sich Achtung und Vertrauen, die gute Meinung für die Zukunft gewonnen
hat. Es ist ihr Schicksal gewesen, in einem sehr bittern und herznagenden
Kampfe Erfahrung und Sicherheit zu gewinnen. Der Presse wird zunächst die


Grenzboten II. 1L63. 60

Aber wie drohend die äußern Gefahren auch sind, bevor sie einen heil¬
samen Einfluß auf den Verfassungskampf in Preußen ausüben, müßten die
Niederlagen der Jahre 1806 und 1807 sich wiederholen. Es wäre für die
Preußen ebenso frevelhaft als unsicher, von einer solchen Eventualität Besse¬
rung der innern Zustände zu erwarten.

Das unheimliche Bangen, welches die Reactionspartei vor der Zukunft
empfindet, verräth^ sich noch nach anderer Seite auffallend. Es liegt im Plane,
auch die Person des Kronprinzen in der öffentlichen Meinung als dem gegen¬
wärtigen System befreundet darzustellen. Immer wieder kamen erfundene Mit¬
theilungen von Unterredungen, welche der Thronfolger mit Herrn von Bismarck
gehabt, von seiner Theilnahme an den Sitzungen des Staatsministeriums und
Aehnliches. Die Kölnische Zeitung hat, offenbar aus guter Quelle, diese aus¬
gestreuten Notizen als Unwahrheiten dementirt. Es ist den Kreisen der Ab¬
geordneten so gut bekannt, als der fremden Diplomatie Berlins, daß die reser-
virte und schweigsame Haltung des Thronfolgers der feudalen Partei nicht nur
unbequem ist, sondern daß dieselbe von dem Erben des preußischen Thrones
nichts für sich hofft und Alles fürchtet. Und es ist wohlbekannt, daß die
abenteuerlichsten Combinationen ersonnen werden, um die etwa in seiner Zu¬
kunft drohende Gefahr zu beseitigen. Aber wenn auch in Preußen die Hoff¬
nung auf eine bessere Zeit unter neuer Regierung wieder ein Dämmerlicht über
die schlechte Gegenwart wirft, das Volk soll nicht der Zukunft und
fürstlicher Hilfe überlassen, was ihm jetzt für sich selbst zu ge¬
winnen Pflicht ist. Möglich, daß für den Thronfolger der Tag nahe liegt,
wo er veranlaßt ist, seine Ueberzeugungen offen auszusprechen, aber auch dar¬
auf' hat die Opposition nichtzu warten.

Das preußische Volk muß sich selbst helfen. Die nächste Aufgabe
liegt in der Hand der Communen; wo die Kraft der einzelnen Gemeinden
nicht ausreicht, steht ihnen frei, gemeinsam die Schritte zu berathen. Die grö¬
ßeren und mittleren Städte sind es, von deren Bürgerkraft die nächsten Ma߬
nahmen zu erwarten sind.

Eines aber mögen die Bürger Preußens bedenken, daß die Zeit der Peti¬
tionen und kleinen Demonstrationen vorüber ist.

Das Haus der Abgeordneten hat durch seine Majorität eine schwere Auf¬
gabe mit Hingebung und Pflichttreue erfüllt. Es hat auf dem Grunde einer
Verfassung, welche ihm nur ungenügende Mittel des Widerstandes in die Hand
gibt, einer feindseligen Regierungsgewalt mannhaft widerstanden. Die Session
dieses Winters ist eine Schule geworden, in welcher mehr als ein kräftiges Ta¬
lent sich Achtung und Vertrauen, die gute Meinung für die Zukunft gewonnen
hat. Es ist ihr Schicksal gewesen, in einem sehr bittern und herznagenden
Kampfe Erfahrung und Sicherheit zu gewinnen. Der Presse wird zunächst die


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[0397] Aber wie drohend die äußern Gefahren auch sind, bevor sie einen heil¬ samen Einfluß auf den Verfassungskampf in Preußen ausüben, müßten die Niederlagen der Jahre 1806 und 1807 sich wiederholen. Es wäre für die Preußen ebenso frevelhaft als unsicher, von einer solchen Eventualität Besse¬ rung der innern Zustände zu erwarten. Das unheimliche Bangen, welches die Reactionspartei vor der Zukunft empfindet, verräth^ sich noch nach anderer Seite auffallend. Es liegt im Plane, auch die Person des Kronprinzen in der öffentlichen Meinung als dem gegen¬ wärtigen System befreundet darzustellen. Immer wieder kamen erfundene Mit¬ theilungen von Unterredungen, welche der Thronfolger mit Herrn von Bismarck gehabt, von seiner Theilnahme an den Sitzungen des Staatsministeriums und Aehnliches. Die Kölnische Zeitung hat, offenbar aus guter Quelle, diese aus¬ gestreuten Notizen als Unwahrheiten dementirt. Es ist den Kreisen der Ab¬ geordneten so gut bekannt, als der fremden Diplomatie Berlins, daß die reser- virte und schweigsame Haltung des Thronfolgers der feudalen Partei nicht nur unbequem ist, sondern daß dieselbe von dem Erben des preußischen Thrones nichts für sich hofft und Alles fürchtet. Und es ist wohlbekannt, daß die abenteuerlichsten Combinationen ersonnen werden, um die etwa in seiner Zu¬ kunft drohende Gefahr zu beseitigen. Aber wenn auch in Preußen die Hoff¬ nung auf eine bessere Zeit unter neuer Regierung wieder ein Dämmerlicht über die schlechte Gegenwart wirft, das Volk soll nicht der Zukunft und fürstlicher Hilfe überlassen, was ihm jetzt für sich selbst zu ge¬ winnen Pflicht ist. Möglich, daß für den Thronfolger der Tag nahe liegt, wo er veranlaßt ist, seine Ueberzeugungen offen auszusprechen, aber auch dar¬ auf' hat die Opposition nichtzu warten. Das preußische Volk muß sich selbst helfen. Die nächste Aufgabe liegt in der Hand der Communen; wo die Kraft der einzelnen Gemeinden nicht ausreicht, steht ihnen frei, gemeinsam die Schritte zu berathen. Die grö¬ ßeren und mittleren Städte sind es, von deren Bürgerkraft die nächsten Ma߬ nahmen zu erwarten sind. Eines aber mögen die Bürger Preußens bedenken, daß die Zeit der Peti¬ tionen und kleinen Demonstrationen vorüber ist. Das Haus der Abgeordneten hat durch seine Majorität eine schwere Auf¬ gabe mit Hingebung und Pflichttreue erfüllt. Es hat auf dem Grunde einer Verfassung, welche ihm nur ungenügende Mittel des Widerstandes in die Hand gibt, einer feindseligen Regierungsgewalt mannhaft widerstanden. Die Session dieses Winters ist eine Schule geworden, in welcher mehr als ein kräftiges Ta¬ lent sich Achtung und Vertrauen, die gute Meinung für die Zukunft gewonnen hat. Es ist ihr Schicksal gewesen, in einem sehr bittern und herznagenden Kampfe Erfahrung und Sicherheit zu gewinnen. Der Presse wird zunächst die Grenzboten II. 1L63. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/397>, abgerufen am 27.09.2024.