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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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nicht in Abrede gestellt werden. Wohl aber darf es bezweifelt werden, daß der¬
artige Concessionen, namentlich von Rußland, ohne den Vorbehalt, sie im ge¬
eigneten Augenblicke zurückzunehmen, gemacht werben würden. Für Nußland
haben die londoner Festsetzungen nicht blos eine dynastische Bedeutung. Denn
es läßt sich nicht verkennen, daß jede Schwächung Dänemarks, jede Verminde¬
rung seines Territorialbestandes diesen Staat dem Skandinavismus in die
Arme werfen würde, und ebenso wenig läßt sich verkennen, daß jede engere
Vereinigung der skandinavischen Staaten, deren Leitung natürlich Schweden
zufallen würde, nicht wie Dänemark gegenwärtig in Deutschland, sondern in
Nußland seinen natürlichen Gegner sehen würde. Rußland hat ein Interesse
daran, den Schwerpunkt der skandinavischen Macht nach Kopenhagen, Deutsch¬
land ihn nach Stockholm verlegt zu sehen"), Es ist also fast undenkbar, daß
Rußland aufrichtig seine Zustimmung geben sollte zu einer Schwächung Däne¬
marks und einer dadurch angebahnten Machterweiterung Schwedens, durch die
nicht allein seiner maritimen Entwickelung in der Ostsee die Lebensader unter¬
bunden werden, sondern die auch die Integrität seines Ländcrbestandes unaus¬
gesetzt bedrohen würde. -- Ferner würde, und dies ist ein sehr wesentlicher
Umstand, ein Einschreiten für die Herzogthümer. wenn es infolge eines
Bündnisses mit Frankreich und Nußland geschähe, ganz den nationalen Cha¬
rakter einbüßen, dessen es bedarf, um zu einem glücklichen, die Nation erheben¬
den und einigenden Ziele zu führen. Die Sache der Herzogthümer ist das
Banner, um das die Nation sich schaaren soll; wie das Reichsbanner muß sie
rein gehalten werden von jedem Flecken, ja von jedem Schein eines Fleckens.
Die Bedeutung dieser Frage ist für Deutschland und für Preußen zu groß, als
daß sie ohne zwingende Nothwendigkeit den Chancen eines Bündnisses preis¬
gegeben werden dürfte, welches unter allen Umständen von der ganzen Nation,
nicht blos von der Partei,, die aus Princip jeden Schritt Preußens verdächtigt,
mit Mißtrauen und Uebelwollen aufgenommen werden würde.

Da nun aber unter gewissen Umständen ein Anschluß Preußens an Nu߬
land und Frankreich unvermeidlich sein würde, so ist es eine unerläßliche Auf¬
gabe der preußischen Politik, mit der äußersten Umsicht und Voraussicht allen



-) Die wohlfeilen Sympathien des schwedische" Publicums für Dänemark in seinem Streit
mit Deutschland beweisen nichts gegen die aufgestellte Ansicht. Die Idee des Standinavis-
mus ist noch in den Anfängen der Entwickelung begriffen und ringt danach, sich ihrer Ziele
bewußt zu werden. Ehe ihr dies gelungen ist, kann von einer einheitlichen skandinavischen
Politik nicht die Rede sein; ein jeder der nordischen Staaten wird sich für die Sache des an-
dern begeistern, wen" auch nicht handeln. Mit dem gesteigerten Bewußtsein der Zusammen¬
gehörigkeit wird auch die Nothwendigkeit einer einheitliche" Politik sich geltend "rächen, für
deren Richtung dann die Interessen des mächtigeren der einzelne" Staaten, also Schwedens,
maßgebend sein werden.

nicht in Abrede gestellt werden. Wohl aber darf es bezweifelt werden, daß der¬
artige Concessionen, namentlich von Rußland, ohne den Vorbehalt, sie im ge¬
eigneten Augenblicke zurückzunehmen, gemacht werben würden. Für Nußland
haben die londoner Festsetzungen nicht blos eine dynastische Bedeutung. Denn
es läßt sich nicht verkennen, daß jede Schwächung Dänemarks, jede Verminde¬
rung seines Territorialbestandes diesen Staat dem Skandinavismus in die
Arme werfen würde, und ebenso wenig läßt sich verkennen, daß jede engere
Vereinigung der skandinavischen Staaten, deren Leitung natürlich Schweden
zufallen würde, nicht wie Dänemark gegenwärtig in Deutschland, sondern in
Nußland seinen natürlichen Gegner sehen würde. Rußland hat ein Interesse
daran, den Schwerpunkt der skandinavischen Macht nach Kopenhagen, Deutsch¬
land ihn nach Stockholm verlegt zu sehen"), Es ist also fast undenkbar, daß
Rußland aufrichtig seine Zustimmung geben sollte zu einer Schwächung Däne¬
marks und einer dadurch angebahnten Machterweiterung Schwedens, durch die
nicht allein seiner maritimen Entwickelung in der Ostsee die Lebensader unter¬
bunden werden, sondern die auch die Integrität seines Ländcrbestandes unaus¬
gesetzt bedrohen würde. — Ferner würde, und dies ist ein sehr wesentlicher
Umstand, ein Einschreiten für die Herzogthümer. wenn es infolge eines
Bündnisses mit Frankreich und Nußland geschähe, ganz den nationalen Cha¬
rakter einbüßen, dessen es bedarf, um zu einem glücklichen, die Nation erheben¬
den und einigenden Ziele zu führen. Die Sache der Herzogthümer ist das
Banner, um das die Nation sich schaaren soll; wie das Reichsbanner muß sie
rein gehalten werden von jedem Flecken, ja von jedem Schein eines Fleckens.
Die Bedeutung dieser Frage ist für Deutschland und für Preußen zu groß, als
daß sie ohne zwingende Nothwendigkeit den Chancen eines Bündnisses preis¬
gegeben werden dürfte, welches unter allen Umständen von der ganzen Nation,
nicht blos von der Partei,, die aus Princip jeden Schritt Preußens verdächtigt,
mit Mißtrauen und Uebelwollen aufgenommen werden würde.

Da nun aber unter gewissen Umständen ein Anschluß Preußens an Nu߬
land und Frankreich unvermeidlich sein würde, so ist es eine unerläßliche Auf¬
gabe der preußischen Politik, mit der äußersten Umsicht und Voraussicht allen



-) Die wohlfeilen Sympathien des schwedische» Publicums für Dänemark in seinem Streit
mit Deutschland beweisen nichts gegen die aufgestellte Ansicht. Die Idee des Standinavis-
mus ist noch in den Anfängen der Entwickelung begriffen und ringt danach, sich ihrer Ziele
bewußt zu werden. Ehe ihr dies gelungen ist, kann von einer einheitlichen skandinavischen
Politik nicht die Rede sein; ein jeder der nordischen Staaten wird sich für die Sache des an-
dern begeistern, wen» auch nicht handeln. Mit dem gesteigerten Bewußtsein der Zusammen¬
gehörigkeit wird auch die Nothwendigkeit einer einheitliche» Politik sich geltend »rächen, für
deren Richtung dann die Interessen des mächtigeren der einzelne» Staaten, also Schwedens,
maßgebend sein werden.
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[0387] nicht in Abrede gestellt werden. Wohl aber darf es bezweifelt werden, daß der¬ artige Concessionen, namentlich von Rußland, ohne den Vorbehalt, sie im ge¬ eigneten Augenblicke zurückzunehmen, gemacht werben würden. Für Nußland haben die londoner Festsetzungen nicht blos eine dynastische Bedeutung. Denn es läßt sich nicht verkennen, daß jede Schwächung Dänemarks, jede Verminde¬ rung seines Territorialbestandes diesen Staat dem Skandinavismus in die Arme werfen würde, und ebenso wenig läßt sich verkennen, daß jede engere Vereinigung der skandinavischen Staaten, deren Leitung natürlich Schweden zufallen würde, nicht wie Dänemark gegenwärtig in Deutschland, sondern in Nußland seinen natürlichen Gegner sehen würde. Rußland hat ein Interesse daran, den Schwerpunkt der skandinavischen Macht nach Kopenhagen, Deutsch¬ land ihn nach Stockholm verlegt zu sehen"), Es ist also fast undenkbar, daß Rußland aufrichtig seine Zustimmung geben sollte zu einer Schwächung Däne¬ marks und einer dadurch angebahnten Machterweiterung Schwedens, durch die nicht allein seiner maritimen Entwickelung in der Ostsee die Lebensader unter¬ bunden werden, sondern die auch die Integrität seines Ländcrbestandes unaus¬ gesetzt bedrohen würde. — Ferner würde, und dies ist ein sehr wesentlicher Umstand, ein Einschreiten für die Herzogthümer. wenn es infolge eines Bündnisses mit Frankreich und Nußland geschähe, ganz den nationalen Cha¬ rakter einbüßen, dessen es bedarf, um zu einem glücklichen, die Nation erheben¬ den und einigenden Ziele zu führen. Die Sache der Herzogthümer ist das Banner, um das die Nation sich schaaren soll; wie das Reichsbanner muß sie rein gehalten werden von jedem Flecken, ja von jedem Schein eines Fleckens. Die Bedeutung dieser Frage ist für Deutschland und für Preußen zu groß, als daß sie ohne zwingende Nothwendigkeit den Chancen eines Bündnisses preis¬ gegeben werden dürfte, welches unter allen Umständen von der ganzen Nation, nicht blos von der Partei,, die aus Princip jeden Schritt Preußens verdächtigt, mit Mißtrauen und Uebelwollen aufgenommen werden würde. Da nun aber unter gewissen Umständen ein Anschluß Preußens an Nu߬ land und Frankreich unvermeidlich sein würde, so ist es eine unerläßliche Auf¬ gabe der preußischen Politik, mit der äußersten Umsicht und Voraussicht allen -) Die wohlfeilen Sympathien des schwedische» Publicums für Dänemark in seinem Streit mit Deutschland beweisen nichts gegen die aufgestellte Ansicht. Die Idee des Standinavis- mus ist noch in den Anfängen der Entwickelung begriffen und ringt danach, sich ihrer Ziele bewußt zu werden. Ehe ihr dies gelungen ist, kann von einer einheitlichen skandinavischen Politik nicht die Rede sein; ein jeder der nordischen Staaten wird sich für die Sache des an- dern begeistern, wen» auch nicht handeln. Mit dem gesteigerten Bewußtsein der Zusammen¬ gehörigkeit wird auch die Nothwendigkeit einer einheitliche» Politik sich geltend »rächen, für deren Richtung dann die Interessen des mächtigeren der einzelne» Staaten, also Schwedens, maßgebend sein werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/387>, abgerufen am 20.10.2024.