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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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schon sich zur Seeschlange verkörpert hat, so geschieht es durchaus nicht, weil
wir die verdammenden Urtheile, die in dem gegnerischen Lager laut werden
könnten, scheuen, sondern weil in der That gewichtige Gründe Preußen auf
andere Wege hinweisen. Zunächst ist hervorzuheben, daß, wenn Preußen
in Verbindung mit Frankreich eine Erweiterung seines Einflusses in Deutschland
erstreben wollte, es unvermeidlich zur Anwendung gewaltsamer Mittel gezwungen
werden würde. Das Werk der Einigung würde sich in ein Werk der Eroberung
verwandeln, die Idee des Bundesstaats würde dem Einheitsstaate w.eichen.
Der Cavvurismus ist aber sür Deutschland deshalb nicht geeignet, weil in
den im Ganzen befriedigenden inneren Verhältnissen der einzelnen Staaten keine
Nöthigung, selbst kein Motiv liegt, die einzelnen Dynastien zu beseitigen.
Welche Forderungen die Zukunft stellen wird, das vermag heut Niemand zu
ermessen. Für die Gegenwart aber würde jedes Streben über den Bundes¬
staat hinaus zum Einheitsstaate die nationale Idee verfälschen und ver¬
stümmeln und dabei sich ausschließlich aus den gewaltsamsten und rücksichts¬
losesten Theil der revolutionären Partei zu stützen haben.

Ferner aber hat Preußen zu berücksichtigen, daß ein Anschluß an das
franco-russische System die Integrität des deutschen Gebietes mit sehr ernst¬
lichen Gefahren bedrohen würde. Setzen wir den Fall, daß die Alliance aus
einem orientalischen Kriege mit entscheidenden und unbedingtem Erfolge hervor¬
ginge, so würde selbstverständlich Frankreich Rußland bei der Vertheilung der
Beute über die anfänglich verabredeten Bedingungen hinausgehende Concessio¬
nen zu machen geneigt sein, um sich für seine Großmuth im Osten am Rhein
zu entschädigen. Für Preußen aber würde es schwer, unter Umständen un¬
möglich sein, dem Andringen der beiden Bundesgenossen zu widerstehen. Die
Gefahr würde nur noch gesteigert werden, wenn der Kampf nicht mit einem
entscheidenden Siege der Koalition oder gar mit einer Niederlage derselben
endete.

Indessen liegt die Gefahr einer Schmälerung deutschen Besitzes westlich
vom Rhein doch nur im Gebiete der Möglichkeit. Eine geschickte Lenkung der
preußischen Politik, von bedeutenden militärischen Leistungen unterstützt, würde
immerhin in der Lage sein, den Anforderungen der Verbündeten sich nicht ohne
Weiteres zu ergeben: überdies muß man bei jeder Alliance darauf gefaßt sein, nach
dem Siege sich der Ansprüche unbescheidener Alliirten zu erwehren. Dagegen fällt
absolut entscheidend gegen den Anschluß an das franco-russische System die
Rücksicht auf Preußens Stellung zu der Frage der nordischen Herzogthümer
ins Gewicht. Daß Preußen auch in dieser Frage von Nußland und Frankreich
in dem Augenblicke, wo diese Mächte seines Beistandes bedürfen, nicht blos in
Bezug auf Holstein, sondern auch, worauf es gerade ankommt, in Bezug auf
Schleswig wahrscheinlich die ausgedehntesten Concessionen erhalten würde, soll


schon sich zur Seeschlange verkörpert hat, so geschieht es durchaus nicht, weil
wir die verdammenden Urtheile, die in dem gegnerischen Lager laut werden
könnten, scheuen, sondern weil in der That gewichtige Gründe Preußen auf
andere Wege hinweisen. Zunächst ist hervorzuheben, daß, wenn Preußen
in Verbindung mit Frankreich eine Erweiterung seines Einflusses in Deutschland
erstreben wollte, es unvermeidlich zur Anwendung gewaltsamer Mittel gezwungen
werden würde. Das Werk der Einigung würde sich in ein Werk der Eroberung
verwandeln, die Idee des Bundesstaats würde dem Einheitsstaate w.eichen.
Der Cavvurismus ist aber sür Deutschland deshalb nicht geeignet, weil in
den im Ganzen befriedigenden inneren Verhältnissen der einzelnen Staaten keine
Nöthigung, selbst kein Motiv liegt, die einzelnen Dynastien zu beseitigen.
Welche Forderungen die Zukunft stellen wird, das vermag heut Niemand zu
ermessen. Für die Gegenwart aber würde jedes Streben über den Bundes¬
staat hinaus zum Einheitsstaate die nationale Idee verfälschen und ver¬
stümmeln und dabei sich ausschließlich aus den gewaltsamsten und rücksichts¬
losesten Theil der revolutionären Partei zu stützen haben.

Ferner aber hat Preußen zu berücksichtigen, daß ein Anschluß an das
franco-russische System die Integrität des deutschen Gebietes mit sehr ernst¬
lichen Gefahren bedrohen würde. Setzen wir den Fall, daß die Alliance aus
einem orientalischen Kriege mit entscheidenden und unbedingtem Erfolge hervor¬
ginge, so würde selbstverständlich Frankreich Rußland bei der Vertheilung der
Beute über die anfänglich verabredeten Bedingungen hinausgehende Concessio¬
nen zu machen geneigt sein, um sich für seine Großmuth im Osten am Rhein
zu entschädigen. Für Preußen aber würde es schwer, unter Umständen un¬
möglich sein, dem Andringen der beiden Bundesgenossen zu widerstehen. Die
Gefahr würde nur noch gesteigert werden, wenn der Kampf nicht mit einem
entscheidenden Siege der Koalition oder gar mit einer Niederlage derselben
endete.

Indessen liegt die Gefahr einer Schmälerung deutschen Besitzes westlich
vom Rhein doch nur im Gebiete der Möglichkeit. Eine geschickte Lenkung der
preußischen Politik, von bedeutenden militärischen Leistungen unterstützt, würde
immerhin in der Lage sein, den Anforderungen der Verbündeten sich nicht ohne
Weiteres zu ergeben: überdies muß man bei jeder Alliance darauf gefaßt sein, nach
dem Siege sich der Ansprüche unbescheidener Alliirten zu erwehren. Dagegen fällt
absolut entscheidend gegen den Anschluß an das franco-russische System die
Rücksicht auf Preußens Stellung zu der Frage der nordischen Herzogthümer
ins Gewicht. Daß Preußen auch in dieser Frage von Nußland und Frankreich
in dem Augenblicke, wo diese Mächte seines Beistandes bedürfen, nicht blos in
Bezug auf Holstein, sondern auch, worauf es gerade ankommt, in Bezug auf
Schleswig wahrscheinlich die ausgedehntesten Concessionen erhalten würde, soll


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/386>, abgerufen am 20.10.2024.