Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.wirken werden. Das Schicksal Polens ist im vorigen Jahrhundert durch die Wir haben schon gesehen, daß die Unterscheidung zwischen türkenfreund¬ Demgemäß ist weder zwischen Nußland und Oestreich, noch zwischen Eng¬ wirken werden. Das Schicksal Polens ist im vorigen Jahrhundert durch die Wir haben schon gesehen, daß die Unterscheidung zwischen türkenfreund¬ Demgemäß ist weder zwischen Nußland und Oestreich, noch zwischen Eng¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188409"/> <p xml:id="ID_1205" prev="#ID_1204"> wirken werden. Das Schicksal Polens ist im vorigen Jahrhundert durch die<lb/> Verwickelungen wegen der orientalischen Frage beschleunigt worden. Die Ver¬<lb/> wickelungen wegen Polen dürften dazu beitragen, die Losung der orientalischen<lb/> Frage zu reifen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1206"> Wir haben schon gesehen, daß die Unterscheidung zwischen türkenfreund¬<lb/> lichen und türkenfeindlichcn Mächten nicht mehr so zutreffend ist, wie sie es<lb/> noch in der durch Mehemed Ali herbeigeführten Krise des ottomanischen Rei¬<lb/> ches war, daß vielmehr alle Mächte sich auf den Augenblick vorbereiten, wo<lb/> keine Kunst der Aerzte mehr im Stande ist den Zerfall des alternden Körpers<lb/> länger aufzuhalten. Indessen wenn so auch das innere Verhältniß der alten<lb/> Beschützer des osmanischen Reiches zu ihrem Schützlinge ein anderes geworden<lb/> ist, so bleibt doch ihr Gegensatz gegen die begehrlichen Elemente des europäi¬<lb/> schen Staatensystems, Nußland und Frankreich, nach wie vor in seiner vollen<lb/> Schärfe bestehen, da die Interessen einerseits Rußlands und Oestreichs, anderer¬<lb/> seits Frankreichs und Englands in allen den Orient betreffenden Fragen in dem<lb/> Grade mit einander cvllidircn, daß eine Ausgleichung unmöglich scheint. So¬<lb/> bald Oestreich zu der Erkenntniß kommt, daß es die Türkei nicht länger gegen<lb/> die Machinationen Rußlands zu schützen im Stande ist, kann es nur das eine<lb/> Ziel verfolgen, die Donaufürstenthümer für sich zu erwerben, schon aus dem<lb/> Grunde, weil dies das einzige Mittel ist, sie der russischen Herrschaft zu ent¬<lb/> ziehen. Auch England hat wohlbegründete Ursache, das Vorschreiten Rußlands<lb/> gegen Konstantinopel zu fürchten, mit viel größerem Mißtrauen aber noch hat<lb/> es die Pläne Frankreichs zu überwachen, die auf nichts Anderes als auf die<lb/> Beherrschung des mittelländischen Meeres gerichtet sind: Pläne, die für Eng¬<lb/> lands Machtstellung eine noch viel weiter reichende Bedeutung gewonnen haben,<lb/> seit die Aussicht auf eine Verbindung des mittelländischen Meeres mit dem<lb/> rothen Meere eröffnet ist. Während die Augen von ganz Europa auf Kon-<lb/> stantinopel gerichtet sind, ist der specielle Angelpunkt der orientalischen Frage<lb/> für England und Frankreich Alexandrien und die Landenge von Suez. Wie<lb/> vorsorglich England sich rüstet, im Voraus jeden Erfolg Frankreichs in dieser<lb/> Richtung zu neutralisiren, zeigt sich in der anscheinend harmlosen Besetzung der<lb/> Insel Perim, die zugleich wieder einen glänzenden Beweis für den unvergleich¬<lb/> lichen Scharfblick der englischen Politik im Ausspähen mecrbeherrschender<lb/> Stellungen bietet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1207" next="#ID_1208"> Demgemäß ist weder zwischen Nußland und Oestreich, noch zwischen Eng¬<lb/> land und Frankreich eine Verständigung möglich, wohl aber zwischen England<lb/> und Oestreich. Eine Ausbreitung Oestreichs die Donau abwärts hat für Eng¬<lb/> lands Interesse nichts Bedenkliches; Oestreich aber muß es geradezu erwünscht<lb/> sein, die beiden großen Seemächte im Mittelmeer möglichst im Gleichgewicht<lb/> zu erhalten. Ist nun eine Alliance Englands und Oestreichs durch die Ver-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0382]
wirken werden. Das Schicksal Polens ist im vorigen Jahrhundert durch die
Verwickelungen wegen der orientalischen Frage beschleunigt worden. Die Ver¬
wickelungen wegen Polen dürften dazu beitragen, die Losung der orientalischen
Frage zu reifen.
Wir haben schon gesehen, daß die Unterscheidung zwischen türkenfreund¬
lichen und türkenfeindlichcn Mächten nicht mehr so zutreffend ist, wie sie es
noch in der durch Mehemed Ali herbeigeführten Krise des ottomanischen Rei¬
ches war, daß vielmehr alle Mächte sich auf den Augenblick vorbereiten, wo
keine Kunst der Aerzte mehr im Stande ist den Zerfall des alternden Körpers
länger aufzuhalten. Indessen wenn so auch das innere Verhältniß der alten
Beschützer des osmanischen Reiches zu ihrem Schützlinge ein anderes geworden
ist, so bleibt doch ihr Gegensatz gegen die begehrlichen Elemente des europäi¬
schen Staatensystems, Nußland und Frankreich, nach wie vor in seiner vollen
Schärfe bestehen, da die Interessen einerseits Rußlands und Oestreichs, anderer¬
seits Frankreichs und Englands in allen den Orient betreffenden Fragen in dem
Grade mit einander cvllidircn, daß eine Ausgleichung unmöglich scheint. So¬
bald Oestreich zu der Erkenntniß kommt, daß es die Türkei nicht länger gegen
die Machinationen Rußlands zu schützen im Stande ist, kann es nur das eine
Ziel verfolgen, die Donaufürstenthümer für sich zu erwerben, schon aus dem
Grunde, weil dies das einzige Mittel ist, sie der russischen Herrschaft zu ent¬
ziehen. Auch England hat wohlbegründete Ursache, das Vorschreiten Rußlands
gegen Konstantinopel zu fürchten, mit viel größerem Mißtrauen aber noch hat
es die Pläne Frankreichs zu überwachen, die auf nichts Anderes als auf die
Beherrschung des mittelländischen Meeres gerichtet sind: Pläne, die für Eng¬
lands Machtstellung eine noch viel weiter reichende Bedeutung gewonnen haben,
seit die Aussicht auf eine Verbindung des mittelländischen Meeres mit dem
rothen Meere eröffnet ist. Während die Augen von ganz Europa auf Kon-
stantinopel gerichtet sind, ist der specielle Angelpunkt der orientalischen Frage
für England und Frankreich Alexandrien und die Landenge von Suez. Wie
vorsorglich England sich rüstet, im Voraus jeden Erfolg Frankreichs in dieser
Richtung zu neutralisiren, zeigt sich in der anscheinend harmlosen Besetzung der
Insel Perim, die zugleich wieder einen glänzenden Beweis für den unvergleich¬
lichen Scharfblick der englischen Politik im Ausspähen mecrbeherrschender
Stellungen bietet.
Demgemäß ist weder zwischen Nußland und Oestreich, noch zwischen Eng¬
land und Frankreich eine Verständigung möglich, wohl aber zwischen England
und Oestreich. Eine Ausbreitung Oestreichs die Donau abwärts hat für Eng¬
lands Interesse nichts Bedenkliches; Oestreich aber muß es geradezu erwünscht
sein, die beiden großen Seemächte im Mittelmeer möglichst im Gleichgewicht
zu erhalten. Ist nun eine Alliance Englands und Oestreichs durch die Ver-
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