Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Preußens nationale Ausgabe und Oestreich.
,!N'°^.'

In dem Aufsatz "Oestreich und die orientalische Frage"*) haben wir den
Gedanken durchzuführen gesucht, daß Oestreich, um im Orient eine wirk¬
same Rolle Nußland gegenüber zu spielen, auf das Bündniß, mindestens
auf die wohlwollende Freundschaft der Mächte angewiesen ist, die an der be¬
treffenden Frage selbst kein unmittelbares Interesse haben, deren Entwürfe
sich aber auf anderem Gebiete mit denen Oestreichs kreuzen. Unter diesen
Mächten steht in erster Linie Preußen, in zweiter Italien, dessen Verhältniß
zu der hier behandelten Frage wir in einem andern Zusammenhange besprechen
werden. Für den preußischen Staat hat die Gestaltung der Dinge im Orient
nur eine mittelbare Bedeutung, d. h. es hat als Großmacht in dieser Angelegen¬
heit Partei zu ergreifen, ohne jedoch durch seine Beziehungen zum Orient ge¬
nöthigt zu sein, diese oder jene bestimmte Lösung der Frage zu erstreben; viel¬
mehr wird es derselben nur deshalb näher zu treten haben, um sie zum Hebel
für seine besondern Ziele zu benutzen. Diese Ziele können aber nur auf die
Einigung Deutschlands gerichtet sein, zu der der erste und entscheidende Schritt
ein kräftiges Ergreifen der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit im nationalen
Sinne ist. Wir haben darauf hingewiesen, wie Oestreich in dieser Frage den
Antrieben Preußens folgen muß; wir glauben hinzufügen zu können, daß es
genöthigt sein wird, nicht nur seine Abneigung gegen Preußens Führerschaft,
sondern auch gegen die nationale Ausfassung der Frage, die nicht vor der Linie
der Eider Halt macht, zu überwinden und so selbst die preußischen Bestre¬
bungen zu fördern, vorausgesetzt jedoch, daß Preußen stark genug ist, Oestreichs
Beistand nicht suchen zu müssen.

Die erste Bedingung zu einem erfolgreichen Fortschritt in dieser Richtung
ist. daß wir vor einem Conflicte mit dem Auslande nicht zurückzuweichen ent¬
schlossen sind. Denn die Gefahr einer auswärtigen Intervention tritt unmittel¬
bar ein, sobald die Bestrebungen der deutschen Politik über das durch eine
Bundesexccutivn in Betreff Holsteins zu erreichende Ziel hinausgehen, sobald
die Verbindung Schleswigs mit Holstein als Forderung hingestellt wird. Sobald
die Frage, allerdings sehr gegen die Wünsche Oestreichs, einen Charakter an¬
nimmt, der sie der Competenz des Bundestages entzieht, wird sie zu einer



") Ur. 19.
Preußens nationale Ausgabe und Oestreich.
,!N'°^.'

In dem Aufsatz „Oestreich und die orientalische Frage"*) haben wir den
Gedanken durchzuführen gesucht, daß Oestreich, um im Orient eine wirk¬
same Rolle Nußland gegenüber zu spielen, auf das Bündniß, mindestens
auf die wohlwollende Freundschaft der Mächte angewiesen ist, die an der be¬
treffenden Frage selbst kein unmittelbares Interesse haben, deren Entwürfe
sich aber auf anderem Gebiete mit denen Oestreichs kreuzen. Unter diesen
Mächten steht in erster Linie Preußen, in zweiter Italien, dessen Verhältniß
zu der hier behandelten Frage wir in einem andern Zusammenhange besprechen
werden. Für den preußischen Staat hat die Gestaltung der Dinge im Orient
nur eine mittelbare Bedeutung, d. h. es hat als Großmacht in dieser Angelegen¬
heit Partei zu ergreifen, ohne jedoch durch seine Beziehungen zum Orient ge¬
nöthigt zu sein, diese oder jene bestimmte Lösung der Frage zu erstreben; viel¬
mehr wird es derselben nur deshalb näher zu treten haben, um sie zum Hebel
für seine besondern Ziele zu benutzen. Diese Ziele können aber nur auf die
Einigung Deutschlands gerichtet sein, zu der der erste und entscheidende Schritt
ein kräftiges Ergreifen der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit im nationalen
Sinne ist. Wir haben darauf hingewiesen, wie Oestreich in dieser Frage den
Antrieben Preußens folgen muß; wir glauben hinzufügen zu können, daß es
genöthigt sein wird, nicht nur seine Abneigung gegen Preußens Führerschaft,
sondern auch gegen die nationale Ausfassung der Frage, die nicht vor der Linie
der Eider Halt macht, zu überwinden und so selbst die preußischen Bestre¬
bungen zu fördern, vorausgesetzt jedoch, daß Preußen stark genug ist, Oestreichs
Beistand nicht suchen zu müssen.

Die erste Bedingung zu einem erfolgreichen Fortschritt in dieser Richtung
ist. daß wir vor einem Conflicte mit dem Auslande nicht zurückzuweichen ent¬
schlossen sind. Denn die Gefahr einer auswärtigen Intervention tritt unmittel¬
bar ein, sobald die Bestrebungen der deutschen Politik über das durch eine
Bundesexccutivn in Betreff Holsteins zu erreichende Ziel hinausgehen, sobald
die Verbindung Schleswigs mit Holstein als Forderung hingestellt wird. Sobald
die Frage, allerdings sehr gegen die Wünsche Oestreichs, einen Charakter an¬
nimmt, der sie der Competenz des Bundestages entzieht, wird sie zu einer



") Ur. 19.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188407"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Preußens nationale Ausgabe und Oestreich.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> ,!N'°^.'</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1200"> In dem Aufsatz &#x201E;Oestreich und die orientalische Frage"*) haben wir den<lb/>
Gedanken durchzuführen gesucht, daß Oestreich, um im Orient eine wirk¬<lb/>
same Rolle Nußland gegenüber zu spielen, auf das Bündniß, mindestens<lb/>
auf die wohlwollende Freundschaft der Mächte angewiesen ist, die an der be¬<lb/>
treffenden Frage selbst kein unmittelbares Interesse haben, deren Entwürfe<lb/>
sich aber auf anderem Gebiete mit denen Oestreichs kreuzen. Unter diesen<lb/>
Mächten steht in erster Linie Preußen, in zweiter Italien, dessen Verhältniß<lb/>
zu der hier behandelten Frage wir in einem andern Zusammenhange besprechen<lb/>
werden. Für den preußischen Staat hat die Gestaltung der Dinge im Orient<lb/>
nur eine mittelbare Bedeutung, d. h. es hat als Großmacht in dieser Angelegen¬<lb/>
heit Partei zu ergreifen, ohne jedoch durch seine Beziehungen zum Orient ge¬<lb/>
nöthigt zu sein, diese oder jene bestimmte Lösung der Frage zu erstreben; viel¬<lb/>
mehr wird es derselben nur deshalb näher zu treten haben, um sie zum Hebel<lb/>
für seine besondern Ziele zu benutzen. Diese Ziele können aber nur auf die<lb/>
Einigung Deutschlands gerichtet sein, zu der der erste und entscheidende Schritt<lb/>
ein kräftiges Ergreifen der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit im nationalen<lb/>
Sinne ist. Wir haben darauf hingewiesen, wie Oestreich in dieser Frage den<lb/>
Antrieben Preußens folgen muß; wir glauben hinzufügen zu können, daß es<lb/>
genöthigt sein wird, nicht nur seine Abneigung gegen Preußens Führerschaft,<lb/>
sondern auch gegen die nationale Ausfassung der Frage, die nicht vor der Linie<lb/>
der Eider Halt macht, zu überwinden und so selbst die preußischen Bestre¬<lb/>
bungen zu fördern, vorausgesetzt jedoch, daß Preußen stark genug ist, Oestreichs<lb/>
Beistand nicht suchen zu müssen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1201" next="#ID_1202"> Die erste Bedingung zu einem erfolgreichen Fortschritt in dieser Richtung<lb/>
ist. daß wir vor einem Conflicte mit dem Auslande nicht zurückzuweichen ent¬<lb/>
schlossen sind. Denn die Gefahr einer auswärtigen Intervention tritt unmittel¬<lb/>
bar ein, sobald die Bestrebungen der deutschen Politik über das durch eine<lb/>
Bundesexccutivn in Betreff Holsteins zu erreichende Ziel hinausgehen, sobald<lb/>
die Verbindung Schleswigs mit Holstein als Forderung hingestellt wird. Sobald<lb/>
die Frage, allerdings sehr gegen die Wünsche Oestreichs, einen Charakter an¬<lb/>
nimmt, der sie der Competenz des Bundestages entzieht, wird sie zu einer</p><lb/>
            <note xml:id="FID_14" place="foot"> ") Ur. 19.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0380] Preußens nationale Ausgabe und Oestreich. ,!N'°^.' In dem Aufsatz „Oestreich und die orientalische Frage"*) haben wir den Gedanken durchzuführen gesucht, daß Oestreich, um im Orient eine wirk¬ same Rolle Nußland gegenüber zu spielen, auf das Bündniß, mindestens auf die wohlwollende Freundschaft der Mächte angewiesen ist, die an der be¬ treffenden Frage selbst kein unmittelbares Interesse haben, deren Entwürfe sich aber auf anderem Gebiete mit denen Oestreichs kreuzen. Unter diesen Mächten steht in erster Linie Preußen, in zweiter Italien, dessen Verhältniß zu der hier behandelten Frage wir in einem andern Zusammenhange besprechen werden. Für den preußischen Staat hat die Gestaltung der Dinge im Orient nur eine mittelbare Bedeutung, d. h. es hat als Großmacht in dieser Angelegen¬ heit Partei zu ergreifen, ohne jedoch durch seine Beziehungen zum Orient ge¬ nöthigt zu sein, diese oder jene bestimmte Lösung der Frage zu erstreben; viel¬ mehr wird es derselben nur deshalb näher zu treten haben, um sie zum Hebel für seine besondern Ziele zu benutzen. Diese Ziele können aber nur auf die Einigung Deutschlands gerichtet sein, zu der der erste und entscheidende Schritt ein kräftiges Ergreifen der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit im nationalen Sinne ist. Wir haben darauf hingewiesen, wie Oestreich in dieser Frage den Antrieben Preußens folgen muß; wir glauben hinzufügen zu können, daß es genöthigt sein wird, nicht nur seine Abneigung gegen Preußens Führerschaft, sondern auch gegen die nationale Ausfassung der Frage, die nicht vor der Linie der Eider Halt macht, zu überwinden und so selbst die preußischen Bestre¬ bungen zu fördern, vorausgesetzt jedoch, daß Preußen stark genug ist, Oestreichs Beistand nicht suchen zu müssen. Die erste Bedingung zu einem erfolgreichen Fortschritt in dieser Richtung ist. daß wir vor einem Conflicte mit dem Auslande nicht zurückzuweichen ent¬ schlossen sind. Denn die Gefahr einer auswärtigen Intervention tritt unmittel¬ bar ein, sobald die Bestrebungen der deutschen Politik über das durch eine Bundesexccutivn in Betreff Holsteins zu erreichende Ziel hinausgehen, sobald die Verbindung Schleswigs mit Holstein als Forderung hingestellt wird. Sobald die Frage, allerdings sehr gegen die Wünsche Oestreichs, einen Charakter an¬ nimmt, der sie der Competenz des Bundestages entzieht, wird sie zu einer ") Ur. 19.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/380
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/380>, abgerufen am 27.09.2024.