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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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mark. Eine unerwartete günstige Wendung nahm die Sache der Herzogthümer,
als Graf Russell offen und scharf gegen die dänischen Prätensionen sich aus¬
sprach. Des Grafen Bernstorff gerade in dieser Angelegenheit bewährter ener¬
gischer Wille schien eine rasche und glückliche Lösung zu versprechen. Der ge¬
steigerte innere Conflict in Preußen, die hinzugekommenen diplomatischen Ver¬
wickelungen Preußens in der polnischen Frage ließen alsbald alle Hoffnungen
schwinden, die man mit Recht auf die günstige Umgestaltung der diplomatischen
Konstellation gesetzt hatte. Die Anmaßungen Dänemarks stehen genau im
umgekehrten Verhältnisse zu dem Maße von Kraft, mit welchem Preußen die
Sache der Herzogthümer vertritt. Um die Entrüstung, die seine Schritte in
Deutschland hervorrufen, kümmert sich das dänische Cabinet gar nicht, wenn es
sich der Lähmung Preußens sicher glaubt; und mit Recht, denn nur unter
Preußens Vorgehen vermag die patriotische Thatenlust Deutschlands zur That
gesteigert zu werden.

Hier tritt die Bedeutung der Schleswig-holsteinischen Frage für Deutschland
in ihrer ganzen Wichtigkeit hervor. Ein glücklich durchgeführter Krieg für ein
specifisch deutsches Interesse unter Preußens politischer und militärischer Lei¬
tung, ein Krieg, der auch in Bezug auf Schleswig von vornherein die Ansprüche
verfolgt, zu denen das Vorgehen Dänemarks uns das Recht zurückgegeben hat,
ist die Lösung der deutschen Frage. Sie ist es deshalb, weil auch die Gegner
Preußens in Deutschland jedes Vorgehen desselben gegen Dänemark mit alle
Kraft zu unterstützen genöthigt sein würden, weil selbst Oestreich nicht umhinr
könnte, in dieser Angelegenheit die Führerschaft Preußens thatsächlich anzu¬
erkennen und somit, wenn auch sehr wider Willen, zu einer Verwirklichung des
nationalen Programms beizutragen. Und zwar sehr zu seinem eignen Gewinn.
Denn den Stützpunkt', den es vergebens sucht, den Stützpunkt, dessen es
nothwendig bedarf, um seine Kräfte frei nach einer andern Richtung spielen zu
lassen, den wird es in dem Augenblicke gefunden haben, wo es als Preußens
Bundesgenosse an dem. Kampfe um Deutschlands Zukunft Theil nimmt.

Mit dem angedeuteten Gesichtspunkte ist indessen die Bedeutung der
Schleswig-holsteinischen Frage, insbesondere für Preußen, keineswegs erschöpft.
Preußen hat in Folge einer langjährigen Neutralität den maßgebenden Ein¬
fluß, den es in gewissen Zeiten in Europa ausübte, zum großen Theil ein¬
gebüßt und steht den- großen europäischen Fragen verhältnißmäßig fern und
fremd gegenüber. Es ist ein großer Fortschritt, daß das Gefühl des Mi߬
behagens über eine Stellung, die den glänzenden Erinnerungen der preußischen
Geschichte so wenig entspricht, ziemlich allgemein im Lande verbreitet ist. Auch
die preußische Staatskunst ist von diesem Gefühle keineswegs unberührt Le¬
blieben. Sie sucht seit längerer Zeit die Wege, um aus der bisherigen Pas¬
sivität zu einer activen Politik zurückzukehren. Man lebt in einer Uebergangs-


mark. Eine unerwartete günstige Wendung nahm die Sache der Herzogthümer,
als Graf Russell offen und scharf gegen die dänischen Prätensionen sich aus¬
sprach. Des Grafen Bernstorff gerade in dieser Angelegenheit bewährter ener¬
gischer Wille schien eine rasche und glückliche Lösung zu versprechen. Der ge¬
steigerte innere Conflict in Preußen, die hinzugekommenen diplomatischen Ver¬
wickelungen Preußens in der polnischen Frage ließen alsbald alle Hoffnungen
schwinden, die man mit Recht auf die günstige Umgestaltung der diplomatischen
Konstellation gesetzt hatte. Die Anmaßungen Dänemarks stehen genau im
umgekehrten Verhältnisse zu dem Maße von Kraft, mit welchem Preußen die
Sache der Herzogthümer vertritt. Um die Entrüstung, die seine Schritte in
Deutschland hervorrufen, kümmert sich das dänische Cabinet gar nicht, wenn es
sich der Lähmung Preußens sicher glaubt; und mit Recht, denn nur unter
Preußens Vorgehen vermag die patriotische Thatenlust Deutschlands zur That
gesteigert zu werden.

Hier tritt die Bedeutung der Schleswig-holsteinischen Frage für Deutschland
in ihrer ganzen Wichtigkeit hervor. Ein glücklich durchgeführter Krieg für ein
specifisch deutsches Interesse unter Preußens politischer und militärischer Lei¬
tung, ein Krieg, der auch in Bezug auf Schleswig von vornherein die Ansprüche
verfolgt, zu denen das Vorgehen Dänemarks uns das Recht zurückgegeben hat,
ist die Lösung der deutschen Frage. Sie ist es deshalb, weil auch die Gegner
Preußens in Deutschland jedes Vorgehen desselben gegen Dänemark mit alle
Kraft zu unterstützen genöthigt sein würden, weil selbst Oestreich nicht umhinr
könnte, in dieser Angelegenheit die Führerschaft Preußens thatsächlich anzu¬
erkennen und somit, wenn auch sehr wider Willen, zu einer Verwirklichung des
nationalen Programms beizutragen. Und zwar sehr zu seinem eignen Gewinn.
Denn den Stützpunkt', den es vergebens sucht, den Stützpunkt, dessen es
nothwendig bedarf, um seine Kräfte frei nach einer andern Richtung spielen zu
lassen, den wird es in dem Augenblicke gefunden haben, wo es als Preußens
Bundesgenosse an dem. Kampfe um Deutschlands Zukunft Theil nimmt.

Mit dem angedeuteten Gesichtspunkte ist indessen die Bedeutung der
Schleswig-holsteinischen Frage, insbesondere für Preußen, keineswegs erschöpft.
Preußen hat in Folge einer langjährigen Neutralität den maßgebenden Ein¬
fluß, den es in gewissen Zeiten in Europa ausübte, zum großen Theil ein¬
gebüßt und steht den- großen europäischen Fragen verhältnißmäßig fern und
fremd gegenüber. Es ist ein großer Fortschritt, daß das Gefühl des Mi߬
behagens über eine Stellung, die den glänzenden Erinnerungen der preußischen
Geschichte so wenig entspricht, ziemlich allgemein im Lande verbreitet ist. Auch
die preußische Staatskunst ist von diesem Gefühle keineswegs unberührt Le¬
blieben. Sie sucht seit längerer Zeit die Wege, um aus der bisherigen Pas¬
sivität zu einer activen Politik zurückzukehren. Man lebt in einer Uebergangs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/362>, abgerufen am 27.09.2024.