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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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zu fassen, da die Charakterisirung der beiden Mächte als Rivalen zwar voll¬
kommen richtig, aber doch viel zu allgemein ist, um ein klares Bild von den
eigenthümlichen Schwierigkeiten zu geben, die jedem Vorgehen Preußens in
Deutschland in den Weg treten, so wie von der zähen Widerstandskraft, mit
der die bestehenden Verhältnisse noch stets über alle Reformversuche trium-
phirt haben.

Es ist von Seiten der nationalen Partei Preußen vielfach der Vorwurf
gemacht worden, daß es die überaus günstige Stellung, die es nach dem Ein¬
tritt der Regentschaft einnahm, nicht zu einer entscheidenden That in den
deutschen Angelegenheiten benutzt habe. In Preußen selbst trug die Mißstim¬
mung über diese Versäumnis; des Ministeriums Auerswald-Schwerin mit dazu
bei, daß die ungeduldigeren liberalen Elemente sich mit der gemäßigten Demo¬
kratie coalisirten, um durch einen verstärkten Druck auf das liberale Cabinet in
dieser wie in andern Fragen raschere Resultate zu erzielen. Wir können uns
hier natürlich nicht der Aufgabe unterziehen, die Berechtigung der Entstehung
der Fortschrittspartei einer Kritik zu unterwerfen, möchten aber behaupten,
daß die dem Ministerium wegen seines unsichern Verhaltens in den deut¬
schen Fragen gemachten Vorwürfe zum Theil übertrieben waren. Es fehlte die
Voraussetzung, die ein energisches Handeln möglich machte, d. h. eine feste
und klare Stellung Preußens zu den europäischen Fragen. Daß eine solche
noch nicht eingenommen war, hatte seinen Grund hauptsächlich in dem Ver¬
hältniß zu Oestreich. Dies trägt einen Widerspruch in sich, der die preußische
Politik ziellos in einem Cirkel herumtreibt. Leider wird dieser innere Wider¬
spruch, der um so gefährlicher ist, da er nicht etwa aus willkürlichen Bestre¬
bungen dieses oder jenes Staatsmanns hervorgegangen ist. sondern tief in den
realen Verhältnissen begründet liegt, selten erkannt und noch seltener seiner
ganzen durchgreifenden Bedeutung entsprechend gewürdigt. Die Natur dieses
Widerspruches wird uns klar werden, wenn wir sehen, wie die nationale Par¬
tei sich ihm gegenüber verhält. Das Programm der Partei fordert den Anta¬
gonismus Preußens und Oestreichs in allen deutschen Angelegenheiten; denn
daß der engere Bundesstaat nur im Gegensatze zu Oestreich hergestellt werden
kann, ist an sich klar und bedarf nicht des Beweises. Das Programm fordert
aber zugleich eine dauernde Verbindung zwischen dem engern Bundesstaate und
Oestreich, d. h. ein Zusammengehen der beiden Großmächte in der allgemeinen
europäischen Politik. Nun ist es aber klar, daß streng genommen nur der eine
Theil des Programms, der den engeren Bundesstaat betreffende, eine absolute
Forderung enthalten kann, daß dagegen der auf die Stellung zu Oestreich be¬
zügliche Theil nur die Ueberzeugung von einem rein thatsächlichen Verhältnisse
ausspricht, die ohne Weiteres als Forderung formulirt worden ist; die Form
der Idee entspricht ihrem Inhalte nicht. Wenn das Programm, nachdem es


Grenzboten II. 1863. 45

zu fassen, da die Charakterisirung der beiden Mächte als Rivalen zwar voll¬
kommen richtig, aber doch viel zu allgemein ist, um ein klares Bild von den
eigenthümlichen Schwierigkeiten zu geben, die jedem Vorgehen Preußens in
Deutschland in den Weg treten, so wie von der zähen Widerstandskraft, mit
der die bestehenden Verhältnisse noch stets über alle Reformversuche trium-
phirt haben.

Es ist von Seiten der nationalen Partei Preußen vielfach der Vorwurf
gemacht worden, daß es die überaus günstige Stellung, die es nach dem Ein¬
tritt der Regentschaft einnahm, nicht zu einer entscheidenden That in den
deutschen Angelegenheiten benutzt habe. In Preußen selbst trug die Mißstim¬
mung über diese Versäumnis; des Ministeriums Auerswald-Schwerin mit dazu
bei, daß die ungeduldigeren liberalen Elemente sich mit der gemäßigten Demo¬
kratie coalisirten, um durch einen verstärkten Druck auf das liberale Cabinet in
dieser wie in andern Fragen raschere Resultate zu erzielen. Wir können uns
hier natürlich nicht der Aufgabe unterziehen, die Berechtigung der Entstehung
der Fortschrittspartei einer Kritik zu unterwerfen, möchten aber behaupten,
daß die dem Ministerium wegen seines unsichern Verhaltens in den deut¬
schen Fragen gemachten Vorwürfe zum Theil übertrieben waren. Es fehlte die
Voraussetzung, die ein energisches Handeln möglich machte, d. h. eine feste
und klare Stellung Preußens zu den europäischen Fragen. Daß eine solche
noch nicht eingenommen war, hatte seinen Grund hauptsächlich in dem Ver¬
hältniß zu Oestreich. Dies trägt einen Widerspruch in sich, der die preußische
Politik ziellos in einem Cirkel herumtreibt. Leider wird dieser innere Wider¬
spruch, der um so gefährlicher ist, da er nicht etwa aus willkürlichen Bestre¬
bungen dieses oder jenes Staatsmanns hervorgegangen ist. sondern tief in den
realen Verhältnissen begründet liegt, selten erkannt und noch seltener seiner
ganzen durchgreifenden Bedeutung entsprechend gewürdigt. Die Natur dieses
Widerspruches wird uns klar werden, wenn wir sehen, wie die nationale Par¬
tei sich ihm gegenüber verhält. Das Programm der Partei fordert den Anta¬
gonismus Preußens und Oestreichs in allen deutschen Angelegenheiten; denn
daß der engere Bundesstaat nur im Gegensatze zu Oestreich hergestellt werden
kann, ist an sich klar und bedarf nicht des Beweises. Das Programm fordert
aber zugleich eine dauernde Verbindung zwischen dem engern Bundesstaate und
Oestreich, d. h. ein Zusammengehen der beiden Großmächte in der allgemeinen
europäischen Politik. Nun ist es aber klar, daß streng genommen nur der eine
Theil des Programms, der den engeren Bundesstaat betreffende, eine absolute
Forderung enthalten kann, daß dagegen der auf die Stellung zu Oestreich be¬
zügliche Theil nur die Ueberzeugung von einem rein thatsächlichen Verhältnisse
ausspricht, die ohne Weiteres als Forderung formulirt worden ist; die Form
der Idee entspricht ihrem Inhalte nicht. Wenn das Programm, nachdem es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/357>, abgerufen am 27.09.2024.