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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Fall denkbar, daß Frankreich unter der Herrschaft einer eroberungslustigen
Politik den deutschen Unionsbestrebungen bis zu einem gewissen Punkte sich
günstig erweist, um bei dem ersten Erfolge im Namen des gestörten Gleich¬
gewichts die Forderung der natürlichen Grenzen zu erheben. Es wäre von
Interesse, das Verhalten der verschiedenen Richtungen der französischen Politik
zu den nationalen Bestrebungen der Nachbarvölker eingehend zu erörtern. Für
unsern gegenwärtigen Zweck genügt die Hinweisung, daß keine französische Ne¬
gierung sich gleichartig gegen die innere Erstarkung der Nachbarn jenseits des
Rheins und der Alpen verhalten wird. Unter allen Umständen würden also
die einheitlichen Bestrebungen der deutschen Nation sich darauf gefaßt machen
müssen, daß sie, an einem gewissen Punkte angelangt, dem bewaffneten Wider¬
stande Frankreichs zu begegnen haben werden.

Es ergibt sich hieraus, daß, je mehr der nationale Gedanke sich vertieft
und läutert, je nachhaltiger und thatkräftiger die Begeisterung ist, die er in
der Nation weckt, um so ernster die Verpflichtung an die Leiter der Bewegung
herantritt, die deutsche Frage in den großen Zusammenhang der europäischen
Politik einzureihen, d. h. zu erwägen, in welcher Weise die allgemeinen Con-
stellationen der internationalen Verhältnisse hindernd und fördernd auf die
deutschen Unionsbestrebungen einzuwirken im Stande sind. Wir verkennen
nicht, daß die Abneigung, diese Seite der Frage vorzugsweise ins Auge zu fassen,
aus edlen Motiven hervorgeht, und daß ein sehr achtungswerthes Selbstgefühl
dem Bestreben zu Grunde liegt, jede Beziehung zwischen einer inneren Frage
und den Gelüsten des Auslandes kurzweg abzuleugnen: wenn man nur eine
Thatsache dadurch beseitigen könnte, daß man sie ableugnet.

Es wird also zu untersuchen sein, ob eine politische Combination mög¬
lich ist, die es Preußen gestattet, Oestreich in einer activen Politik im Osten zu
unterstützen und als Entgelt dafür Oestreichs Neutralität und eventuell bei
einem Conflicte mit dem Auslande, seine Unterstützung in den deutschen An¬
gelegenheiten zu gewinnen, wobei wir uns ausdrücklich dagegen verwahren,
als ob wir meinten, Oestreich werde je freiwillig und förmlich aus seine Stel¬
lung in Deutschland verzichten. Es wäre ein sehr unfruchtbares Bemühen,
wenn Preußen auf dem Wege der Verhandlungen sich mit Oestreich über ti^
deutschen Angelegenheiten auseinandersetzen wollte. Das Ziel Preußens kann
nur sein, vor allen Verhandlungen eine vollendete Thatsache zu schaffen. Nur
was der Anerkennung nicht bedarf, kann auf Anerkennung des Rivalen rechnen.
Diese That kann aber nur eine solche sein, die vor allen Rcsormverhandlungen
Deutschland als politisch geeinigte Macht dem Auslande gegenüberstellt. Nur
eine nationale That wird uns die nationale Einigung bringen. Ehe wir aber
auf diesen Punkt eingehen, ist es nothwendig, das Verhältniß Preußens zu
Oestreich in Bezug auf die deutschen Angelegenheiten noch schärfer ins Auge


Fall denkbar, daß Frankreich unter der Herrschaft einer eroberungslustigen
Politik den deutschen Unionsbestrebungen bis zu einem gewissen Punkte sich
günstig erweist, um bei dem ersten Erfolge im Namen des gestörten Gleich¬
gewichts die Forderung der natürlichen Grenzen zu erheben. Es wäre von
Interesse, das Verhalten der verschiedenen Richtungen der französischen Politik
zu den nationalen Bestrebungen der Nachbarvölker eingehend zu erörtern. Für
unsern gegenwärtigen Zweck genügt die Hinweisung, daß keine französische Ne¬
gierung sich gleichartig gegen die innere Erstarkung der Nachbarn jenseits des
Rheins und der Alpen verhalten wird. Unter allen Umständen würden also
die einheitlichen Bestrebungen der deutschen Nation sich darauf gefaßt machen
müssen, daß sie, an einem gewissen Punkte angelangt, dem bewaffneten Wider¬
stande Frankreichs zu begegnen haben werden.

Es ergibt sich hieraus, daß, je mehr der nationale Gedanke sich vertieft
und läutert, je nachhaltiger und thatkräftiger die Begeisterung ist, die er in
der Nation weckt, um so ernster die Verpflichtung an die Leiter der Bewegung
herantritt, die deutsche Frage in den großen Zusammenhang der europäischen
Politik einzureihen, d. h. zu erwägen, in welcher Weise die allgemeinen Con-
stellationen der internationalen Verhältnisse hindernd und fördernd auf die
deutschen Unionsbestrebungen einzuwirken im Stande sind. Wir verkennen
nicht, daß die Abneigung, diese Seite der Frage vorzugsweise ins Auge zu fassen,
aus edlen Motiven hervorgeht, und daß ein sehr achtungswerthes Selbstgefühl
dem Bestreben zu Grunde liegt, jede Beziehung zwischen einer inneren Frage
und den Gelüsten des Auslandes kurzweg abzuleugnen: wenn man nur eine
Thatsache dadurch beseitigen könnte, daß man sie ableugnet.

Es wird also zu untersuchen sein, ob eine politische Combination mög¬
lich ist, die es Preußen gestattet, Oestreich in einer activen Politik im Osten zu
unterstützen und als Entgelt dafür Oestreichs Neutralität und eventuell bei
einem Conflicte mit dem Auslande, seine Unterstützung in den deutschen An¬
gelegenheiten zu gewinnen, wobei wir uns ausdrücklich dagegen verwahren,
als ob wir meinten, Oestreich werde je freiwillig und förmlich aus seine Stel¬
lung in Deutschland verzichten. Es wäre ein sehr unfruchtbares Bemühen,
wenn Preußen auf dem Wege der Verhandlungen sich mit Oestreich über ti^
deutschen Angelegenheiten auseinandersetzen wollte. Das Ziel Preußens kann
nur sein, vor allen Verhandlungen eine vollendete Thatsache zu schaffen. Nur
was der Anerkennung nicht bedarf, kann auf Anerkennung des Rivalen rechnen.
Diese That kann aber nur eine solche sein, die vor allen Rcsormverhandlungen
Deutschland als politisch geeinigte Macht dem Auslande gegenüberstellt. Nur
eine nationale That wird uns die nationale Einigung bringen. Ehe wir aber
auf diesen Punkt eingehen, ist es nothwendig, das Verhältniß Preußens zu
Oestreich in Bezug auf die deutschen Angelegenheiten noch schärfer ins Auge


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[0356] Fall denkbar, daß Frankreich unter der Herrschaft einer eroberungslustigen Politik den deutschen Unionsbestrebungen bis zu einem gewissen Punkte sich günstig erweist, um bei dem ersten Erfolge im Namen des gestörten Gleich¬ gewichts die Forderung der natürlichen Grenzen zu erheben. Es wäre von Interesse, das Verhalten der verschiedenen Richtungen der französischen Politik zu den nationalen Bestrebungen der Nachbarvölker eingehend zu erörtern. Für unsern gegenwärtigen Zweck genügt die Hinweisung, daß keine französische Ne¬ gierung sich gleichartig gegen die innere Erstarkung der Nachbarn jenseits des Rheins und der Alpen verhalten wird. Unter allen Umständen würden also die einheitlichen Bestrebungen der deutschen Nation sich darauf gefaßt machen müssen, daß sie, an einem gewissen Punkte angelangt, dem bewaffneten Wider¬ stande Frankreichs zu begegnen haben werden. Es ergibt sich hieraus, daß, je mehr der nationale Gedanke sich vertieft und läutert, je nachhaltiger und thatkräftiger die Begeisterung ist, die er in der Nation weckt, um so ernster die Verpflichtung an die Leiter der Bewegung herantritt, die deutsche Frage in den großen Zusammenhang der europäischen Politik einzureihen, d. h. zu erwägen, in welcher Weise die allgemeinen Con- stellationen der internationalen Verhältnisse hindernd und fördernd auf die deutschen Unionsbestrebungen einzuwirken im Stande sind. Wir verkennen nicht, daß die Abneigung, diese Seite der Frage vorzugsweise ins Auge zu fassen, aus edlen Motiven hervorgeht, und daß ein sehr achtungswerthes Selbstgefühl dem Bestreben zu Grunde liegt, jede Beziehung zwischen einer inneren Frage und den Gelüsten des Auslandes kurzweg abzuleugnen: wenn man nur eine Thatsache dadurch beseitigen könnte, daß man sie ableugnet. Es wird also zu untersuchen sein, ob eine politische Combination mög¬ lich ist, die es Preußen gestattet, Oestreich in einer activen Politik im Osten zu unterstützen und als Entgelt dafür Oestreichs Neutralität und eventuell bei einem Conflicte mit dem Auslande, seine Unterstützung in den deutschen An¬ gelegenheiten zu gewinnen, wobei wir uns ausdrücklich dagegen verwahren, als ob wir meinten, Oestreich werde je freiwillig und förmlich aus seine Stel¬ lung in Deutschland verzichten. Es wäre ein sehr unfruchtbares Bemühen, wenn Preußen auf dem Wege der Verhandlungen sich mit Oestreich über ti^ deutschen Angelegenheiten auseinandersetzen wollte. Das Ziel Preußens kann nur sein, vor allen Verhandlungen eine vollendete Thatsache zu schaffen. Nur was der Anerkennung nicht bedarf, kann auf Anerkennung des Rivalen rechnen. Diese That kann aber nur eine solche sein, die vor allen Rcsormverhandlungen Deutschland als politisch geeinigte Macht dem Auslande gegenüberstellt. Nur eine nationale That wird uns die nationale Einigung bringen. Ehe wir aber auf diesen Punkt eingehen, ist es nothwendig, das Verhältniß Preußens zu Oestreich in Bezug auf die deutschen Angelegenheiten noch schärfer ins Auge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/356>, abgerufen am 27.09.2024.