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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Das Werk zerfiel. Um eine große Erkenntniß aber sind wir bereichert worden,
daß nicht die Vielstaaterei, die vielfach lästig, aber auch ohnmächtig ist, sondern
daß der Dualismus das Hinderniß der Neugestaltung Deutschlands und daß
die deutsche Einheit in erster Linie eins zwischen Oestreich und Preußen
schwebende Machtfrage ist. Aus der Erkenntniß dieser Thatsache ist das Pro¬
gramm der deutschen Nationalpartei hervorgegangen, und in den jetzigen Ver¬
hältnissen liegt kein Grund, weshalb sie von ihrem Programm abweichen und
die aus einem wahrhaft staatsmännischen Voltsinstintt hervorgegangen Ueber¬
zeugung, auf der dasselbe begründet ist, aufgeben sollte. Der ausdauernden
Festigkeit, mit der die nationale Partei, unbeirrt von den jetzi¬
gen scheinbar verzweifelten Cvnjuncturen in Preußen an ihren
Grundsätzen festhält, wird das Maß von Kraft entsprechen,
das sie unter günstigern Umständen für die Verwirklichung ihrer
Idee einzusetzen hat.

Vor Allem aber (und es ist wichtig, diesen Punkt aufs schärfste ins Auge
zu fassen) kommt es darauf an, sich des Zusammenhanges bewußt zu werden,
in dem die deutsche Frage mit der Gestaltung der allgemeinen europäischen
Verhältnisse steht. So unbestreitbar die Frage der deutschen Einigung vom
Völkerrechtlichen Standpunkte aus eine ausschließlich deutsche Frage ist, so ist
es doch eine Thatsache, daß, da jeder Schritt zur Einheit die Macht Deutsch¬
lands vermehrt und also das relative Machtverhältniß im europäischen Staaten¬
system verändert, die Nachbarn die deutsche Einheitsbewegung mit entschiedenem
Uebelwollen und Mißtrauen ansehen. Ebenso ist es unzweifelhaft, daß sie sich
durch völkerrechtliche Bedenken nicht werden abhalten lassen, ihr Uebelwollen
Vorkommenden Falls zur That werden zu lassen. Es ist ein altes Princip der
französischen Politik, in erster Linie jede Machtconsvlidirung an Frankreichs
Grenzen zu verhindern, in zweiter Linie, wenn eine derartige Consolidirung sich
nicht hindern läßt, Alles aufzubieten, um das dadurch verschobene Machtverhält-
niß durch eine Gebietserweiterung Frankreichs zu compensiren. Der Kaufpreis
für die Einigung Italiens war Nizza und Savoyen, die schon Lamartine als
Pfänder mit Beschlag belegt haben wollte, wenn die italienische Bewegung des
Jahres 1848 einen centralistischcn Charakter angenommen haben würde. Nicht
anders sah die republikanische Regierung Frankreichs das linke Rheinufer als
Compensationsobject gegen eine durch Centralisation gesteigerte Machtentwickc-
lung Deutschlands an. Von dieser Anschauung werden alle französischen
Regierungen beherrscht, mögen ihre Richtungen und Neigungen sonst auch weit
auseinandergehen. Gerade eine friedlichen Tendenzen hingegebene Regierung
wird am eifrigsten auf diplomatischem Wege die Spaltung Deutschlands zu er¬
halten suchen, weil sie weiß, daß jeder reelle Erfolg der Nationalpartei ihr
eine kriegerische Haltung aufnöthigen würde. Und umgekehrt ist sehr wohl der


Das Werk zerfiel. Um eine große Erkenntniß aber sind wir bereichert worden,
daß nicht die Vielstaaterei, die vielfach lästig, aber auch ohnmächtig ist, sondern
daß der Dualismus das Hinderniß der Neugestaltung Deutschlands und daß
die deutsche Einheit in erster Linie eins zwischen Oestreich und Preußen
schwebende Machtfrage ist. Aus der Erkenntniß dieser Thatsache ist das Pro¬
gramm der deutschen Nationalpartei hervorgegangen, und in den jetzigen Ver¬
hältnissen liegt kein Grund, weshalb sie von ihrem Programm abweichen und
die aus einem wahrhaft staatsmännischen Voltsinstintt hervorgegangen Ueber¬
zeugung, auf der dasselbe begründet ist, aufgeben sollte. Der ausdauernden
Festigkeit, mit der die nationale Partei, unbeirrt von den jetzi¬
gen scheinbar verzweifelten Cvnjuncturen in Preußen an ihren
Grundsätzen festhält, wird das Maß von Kraft entsprechen,
das sie unter günstigern Umständen für die Verwirklichung ihrer
Idee einzusetzen hat.

Vor Allem aber (und es ist wichtig, diesen Punkt aufs schärfste ins Auge
zu fassen) kommt es darauf an, sich des Zusammenhanges bewußt zu werden,
in dem die deutsche Frage mit der Gestaltung der allgemeinen europäischen
Verhältnisse steht. So unbestreitbar die Frage der deutschen Einigung vom
Völkerrechtlichen Standpunkte aus eine ausschließlich deutsche Frage ist, so ist
es doch eine Thatsache, daß, da jeder Schritt zur Einheit die Macht Deutsch¬
lands vermehrt und also das relative Machtverhältniß im europäischen Staaten¬
system verändert, die Nachbarn die deutsche Einheitsbewegung mit entschiedenem
Uebelwollen und Mißtrauen ansehen. Ebenso ist es unzweifelhaft, daß sie sich
durch völkerrechtliche Bedenken nicht werden abhalten lassen, ihr Uebelwollen
Vorkommenden Falls zur That werden zu lassen. Es ist ein altes Princip der
französischen Politik, in erster Linie jede Machtconsvlidirung an Frankreichs
Grenzen zu verhindern, in zweiter Linie, wenn eine derartige Consolidirung sich
nicht hindern läßt, Alles aufzubieten, um das dadurch verschobene Machtverhält-
niß durch eine Gebietserweiterung Frankreichs zu compensiren. Der Kaufpreis
für die Einigung Italiens war Nizza und Savoyen, die schon Lamartine als
Pfänder mit Beschlag belegt haben wollte, wenn die italienische Bewegung des
Jahres 1848 einen centralistischcn Charakter angenommen haben würde. Nicht
anders sah die republikanische Regierung Frankreichs das linke Rheinufer als
Compensationsobject gegen eine durch Centralisation gesteigerte Machtentwickc-
lung Deutschlands an. Von dieser Anschauung werden alle französischen
Regierungen beherrscht, mögen ihre Richtungen und Neigungen sonst auch weit
auseinandergehen. Gerade eine friedlichen Tendenzen hingegebene Regierung
wird am eifrigsten auf diplomatischem Wege die Spaltung Deutschlands zu er¬
halten suchen, weil sie weiß, daß jeder reelle Erfolg der Nationalpartei ihr
eine kriegerische Haltung aufnöthigen würde. Und umgekehrt ist sehr wohl der


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[0355] Das Werk zerfiel. Um eine große Erkenntniß aber sind wir bereichert worden, daß nicht die Vielstaaterei, die vielfach lästig, aber auch ohnmächtig ist, sondern daß der Dualismus das Hinderniß der Neugestaltung Deutschlands und daß die deutsche Einheit in erster Linie eins zwischen Oestreich und Preußen schwebende Machtfrage ist. Aus der Erkenntniß dieser Thatsache ist das Pro¬ gramm der deutschen Nationalpartei hervorgegangen, und in den jetzigen Ver¬ hältnissen liegt kein Grund, weshalb sie von ihrem Programm abweichen und die aus einem wahrhaft staatsmännischen Voltsinstintt hervorgegangen Ueber¬ zeugung, auf der dasselbe begründet ist, aufgeben sollte. Der ausdauernden Festigkeit, mit der die nationale Partei, unbeirrt von den jetzi¬ gen scheinbar verzweifelten Cvnjuncturen in Preußen an ihren Grundsätzen festhält, wird das Maß von Kraft entsprechen, das sie unter günstigern Umständen für die Verwirklichung ihrer Idee einzusetzen hat. Vor Allem aber (und es ist wichtig, diesen Punkt aufs schärfste ins Auge zu fassen) kommt es darauf an, sich des Zusammenhanges bewußt zu werden, in dem die deutsche Frage mit der Gestaltung der allgemeinen europäischen Verhältnisse steht. So unbestreitbar die Frage der deutschen Einigung vom Völkerrechtlichen Standpunkte aus eine ausschließlich deutsche Frage ist, so ist es doch eine Thatsache, daß, da jeder Schritt zur Einheit die Macht Deutsch¬ lands vermehrt und also das relative Machtverhältniß im europäischen Staaten¬ system verändert, die Nachbarn die deutsche Einheitsbewegung mit entschiedenem Uebelwollen und Mißtrauen ansehen. Ebenso ist es unzweifelhaft, daß sie sich durch völkerrechtliche Bedenken nicht werden abhalten lassen, ihr Uebelwollen Vorkommenden Falls zur That werden zu lassen. Es ist ein altes Princip der französischen Politik, in erster Linie jede Machtconsvlidirung an Frankreichs Grenzen zu verhindern, in zweiter Linie, wenn eine derartige Consolidirung sich nicht hindern läßt, Alles aufzubieten, um das dadurch verschobene Machtverhält- niß durch eine Gebietserweiterung Frankreichs zu compensiren. Der Kaufpreis für die Einigung Italiens war Nizza und Savoyen, die schon Lamartine als Pfänder mit Beschlag belegt haben wollte, wenn die italienische Bewegung des Jahres 1848 einen centralistischcn Charakter angenommen haben würde. Nicht anders sah die republikanische Regierung Frankreichs das linke Rheinufer als Compensationsobject gegen eine durch Centralisation gesteigerte Machtentwickc- lung Deutschlands an. Von dieser Anschauung werden alle französischen Regierungen beherrscht, mögen ihre Richtungen und Neigungen sonst auch weit auseinandergehen. Gerade eine friedlichen Tendenzen hingegebene Regierung wird am eifrigsten auf diplomatischem Wege die Spaltung Deutschlands zu er¬ halten suchen, weil sie weiß, daß jeder reelle Erfolg der Nationalpartei ihr eine kriegerische Haltung aufnöthigen würde. Und umgekehrt ist sehr wohl der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/355>, abgerufen am 27.09.2024.