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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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während dieser Zeit bis an die Äußerste Grenze politischer, sittlicher und wirth¬
schaftlicher Verkümmerung gelangt ist. In seinen Beziehungen zu Deutschland
befolgt eS eine Politik, durch welche es sich nach Möglichkeit isolirt und einer
einheitlichen Gestaltung widerstrebt. Die Richtung des deutschen National-
vcrcins erscheint der mecklenburgischen Staatsregierung so unduldbar, daß sie
die Theilnahme an demselben durch ein Polizeiverbot untersagt hat. Die Ab¬
sperrung gegen alle übrigen Staaten durch einen mecklenburgischen Grenzzoll
ist beschlossene Sache. Im Lande selbst sind nicht blos die neuen Freiheiten
wieder unterdrückt, sondern es geht auch mit den alten immer mehr zu Ende.
In Bezug auf den im Mittelalter freien, aber schon seit Jahrhunderten mehr
und mehr zurückgedrängten und geknechteten Bauernstand ist auf dem Landtage
von 1861 die Abmeierung und Niederlegung zu Gunsten der Ritter in ein
förmliches System gebracht. Die Bürgervcrtretungen werden mit hohen Geld¬
strafen für den Fall bedroht, daß sie ihre Verhandlungen aus Landesangelegen-
heiten erstrecken, selbst wenn es sich dabei nur um eine Petition handeln sollte.
Und doch ist nach der alten Landesverfassung das landstandschaftliche Recht
nicht ein Recht der Magistrate, sondern der Communen, und es läßt sich, da
hiernach die Commune zur Theilnahme an der Berathung von Landesangelegen-
heiten durch ihren Landtagsdeputirten berechtigt ist, eine Trennung der Landes-
angelegenheiten von den Cvmmunalangelegenheiten überhaupt nicht durchführen.
So weit ist das Verständniß der ständischen Freiheit bei den jetzigen Macht¬
habern verloren gegangen, daß sie nur noch eine Stufenfolge von Obrigkeiten
kennen, von denen jede in dem ihr untergeordneten Bereiche unbedingten Ge¬
horsam fordern darf. Auf dem Gebiet der gewerblichen Thätigkeit wird die
freie Bewegung durch die starre" Formen der Vorzeit eingeengt, welche dem
veränderten socialen Leben und den vervollkommneten Verkehrs- und Transport¬
mitteln gegenüber der Bevölkerung täglich zu größerem Drucke gereichen. Die
Unteilbarkeit der großen Güter, das Fehlen des kleineren ländlichen Grund¬
besitzes in den Händen freier Eigenthümer, das Lehnswesen, die Abgeschlossen¬
heit jeder Ortschaft in Bezug auf Niederlassungsrecht, die Unfreiheit des ge¬
werblichen Betriebes nach allen Richtungen hin, die Art und die Ungleichheit
der Besteuerung, der gänzliche Mangel eines Staatshaushalts und folglich
einer Mitwirkung der Stände bei dessen Feststellung und Controle, so weit nicht
einzelne Einrichtungen auf Grund von Verträgen aus gemeinsamen, landes¬
herrlich ständischen Mitteln bestritten werden. -- Alles vereinigt sich, um die
Bevölkerung, wirthschaftlich und sittlich, in immer tieferen Verfall zu bringen.
Unter der Aera der Restauration hat die Volkszahl sich nur um einen ganz
unbedeutenden Proccnttheil vermehrt und ist in einzelnen Jahren sogar gegen
das Vorjahr zurückgegangen. In zehn Jahren hat das Land 30,000 Menschen,
neun Procent seiner Bevölkerung, durch Auswanderung eingebüßt. Die nuche-


während dieser Zeit bis an die Äußerste Grenze politischer, sittlicher und wirth¬
schaftlicher Verkümmerung gelangt ist. In seinen Beziehungen zu Deutschland
befolgt eS eine Politik, durch welche es sich nach Möglichkeit isolirt und einer
einheitlichen Gestaltung widerstrebt. Die Richtung des deutschen National-
vcrcins erscheint der mecklenburgischen Staatsregierung so unduldbar, daß sie
die Theilnahme an demselben durch ein Polizeiverbot untersagt hat. Die Ab¬
sperrung gegen alle übrigen Staaten durch einen mecklenburgischen Grenzzoll
ist beschlossene Sache. Im Lande selbst sind nicht blos die neuen Freiheiten
wieder unterdrückt, sondern es geht auch mit den alten immer mehr zu Ende.
In Bezug auf den im Mittelalter freien, aber schon seit Jahrhunderten mehr
und mehr zurückgedrängten und geknechteten Bauernstand ist auf dem Landtage
von 1861 die Abmeierung und Niederlegung zu Gunsten der Ritter in ein
förmliches System gebracht. Die Bürgervcrtretungen werden mit hohen Geld¬
strafen für den Fall bedroht, daß sie ihre Verhandlungen aus Landesangelegen-
heiten erstrecken, selbst wenn es sich dabei nur um eine Petition handeln sollte.
Und doch ist nach der alten Landesverfassung das landstandschaftliche Recht
nicht ein Recht der Magistrate, sondern der Communen, und es läßt sich, da
hiernach die Commune zur Theilnahme an der Berathung von Landesangelegen-
heiten durch ihren Landtagsdeputirten berechtigt ist, eine Trennung der Landes-
angelegenheiten von den Cvmmunalangelegenheiten überhaupt nicht durchführen.
So weit ist das Verständniß der ständischen Freiheit bei den jetzigen Macht¬
habern verloren gegangen, daß sie nur noch eine Stufenfolge von Obrigkeiten
kennen, von denen jede in dem ihr untergeordneten Bereiche unbedingten Ge¬
horsam fordern darf. Auf dem Gebiet der gewerblichen Thätigkeit wird die
freie Bewegung durch die starre» Formen der Vorzeit eingeengt, welche dem
veränderten socialen Leben und den vervollkommneten Verkehrs- und Transport¬
mitteln gegenüber der Bevölkerung täglich zu größerem Drucke gereichen. Die
Unteilbarkeit der großen Güter, das Fehlen des kleineren ländlichen Grund¬
besitzes in den Händen freier Eigenthümer, das Lehnswesen, die Abgeschlossen¬
heit jeder Ortschaft in Bezug auf Niederlassungsrecht, die Unfreiheit des ge¬
werblichen Betriebes nach allen Richtungen hin, die Art und die Ungleichheit
der Besteuerung, der gänzliche Mangel eines Staatshaushalts und folglich
einer Mitwirkung der Stände bei dessen Feststellung und Controle, so weit nicht
einzelne Einrichtungen auf Grund von Verträgen aus gemeinsamen, landes¬
herrlich ständischen Mitteln bestritten werden. — Alles vereinigt sich, um die
Bevölkerung, wirthschaftlich und sittlich, in immer tieferen Verfall zu bringen.
Unter der Aera der Restauration hat die Volkszahl sich nur um einen ganz
unbedeutenden Proccnttheil vermehrt und ist in einzelnen Jahren sogar gegen
das Vorjahr zurückgegangen. In zehn Jahren hat das Land 30,000 Menschen,
neun Procent seiner Bevölkerung, durch Auswanderung eingebüßt. Die nuche-


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[0350] während dieser Zeit bis an die Äußerste Grenze politischer, sittlicher und wirth¬ schaftlicher Verkümmerung gelangt ist. In seinen Beziehungen zu Deutschland befolgt eS eine Politik, durch welche es sich nach Möglichkeit isolirt und einer einheitlichen Gestaltung widerstrebt. Die Richtung des deutschen National- vcrcins erscheint der mecklenburgischen Staatsregierung so unduldbar, daß sie die Theilnahme an demselben durch ein Polizeiverbot untersagt hat. Die Ab¬ sperrung gegen alle übrigen Staaten durch einen mecklenburgischen Grenzzoll ist beschlossene Sache. Im Lande selbst sind nicht blos die neuen Freiheiten wieder unterdrückt, sondern es geht auch mit den alten immer mehr zu Ende. In Bezug auf den im Mittelalter freien, aber schon seit Jahrhunderten mehr und mehr zurückgedrängten und geknechteten Bauernstand ist auf dem Landtage von 1861 die Abmeierung und Niederlegung zu Gunsten der Ritter in ein förmliches System gebracht. Die Bürgervcrtretungen werden mit hohen Geld¬ strafen für den Fall bedroht, daß sie ihre Verhandlungen aus Landesangelegen- heiten erstrecken, selbst wenn es sich dabei nur um eine Petition handeln sollte. Und doch ist nach der alten Landesverfassung das landstandschaftliche Recht nicht ein Recht der Magistrate, sondern der Communen, und es läßt sich, da hiernach die Commune zur Theilnahme an der Berathung von Landesangelegen- heiten durch ihren Landtagsdeputirten berechtigt ist, eine Trennung der Landes- angelegenheiten von den Cvmmunalangelegenheiten überhaupt nicht durchführen. So weit ist das Verständniß der ständischen Freiheit bei den jetzigen Macht¬ habern verloren gegangen, daß sie nur noch eine Stufenfolge von Obrigkeiten kennen, von denen jede in dem ihr untergeordneten Bereiche unbedingten Ge¬ horsam fordern darf. Auf dem Gebiet der gewerblichen Thätigkeit wird die freie Bewegung durch die starre» Formen der Vorzeit eingeengt, welche dem veränderten socialen Leben und den vervollkommneten Verkehrs- und Transport¬ mitteln gegenüber der Bevölkerung täglich zu größerem Drucke gereichen. Die Unteilbarkeit der großen Güter, das Fehlen des kleineren ländlichen Grund¬ besitzes in den Händen freier Eigenthümer, das Lehnswesen, die Abgeschlossen¬ heit jeder Ortschaft in Bezug auf Niederlassungsrecht, die Unfreiheit des ge¬ werblichen Betriebes nach allen Richtungen hin, die Art und die Ungleichheit der Besteuerung, der gänzliche Mangel eines Staatshaushalts und folglich einer Mitwirkung der Stände bei dessen Feststellung und Controle, so weit nicht einzelne Einrichtungen auf Grund von Verträgen aus gemeinsamen, landes¬ herrlich ständischen Mitteln bestritten werden. — Alles vereinigt sich, um die Bevölkerung, wirthschaftlich und sittlich, in immer tieferen Verfall zu bringen. Unter der Aera der Restauration hat die Volkszahl sich nur um einen ganz unbedeutenden Proccnttheil vermehrt und ist in einzelnen Jahren sogar gegen das Vorjahr zurückgegangen. In zehn Jahren hat das Land 30,000 Menschen, neun Procent seiner Bevölkerung, durch Auswanderung eingebüßt. Die nuche-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/350>, abgerufen am 27.09.2024.