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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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wir noch größtentheils an Versprechungen auf dem Papiere gewiesen. Gerade
da sind es wieder der Klerus und Adel, die der Befreiung von unwürdigen
Fesseln die größten Hindernisse bereiten, und die wiener "Presse" deutete dies
in Ur. 63 des Jahres 1862 ganz verständlich an, indem sie Act nahm "von
den gefahrvollen Kompromissen, die zum Abschluß gekommen, und von liberalen
Vorsätzen, die vereitelt worden." Wir glauben, daß die constitutionelle Ent¬
wickelung, gleich jeder anderen, Naturgesetzen folgt, und ein lange nieder¬
gehaltenes Volk nicht mit einem Male das erforderliche Geschick besitzt, die
Physische Macht durch die Überlegenheit seines Geistes in Schranken zu halten.
Metternich und seine Genossen folgten in dieser Berechnung einem ganz natür¬
lichen Jnstincte, auf die Dauer ist die naturgemäße Entwickelung freilich nicht
auszuhalten. Darum werden auch vollkommene Ruhe und innerer Friede bei
uns erst dann gänzlich einkehren, wenn man nicht blos den materiellen, son¬
dern auch jenen geistigen Bedürfnissen Rechnung trägt, deren Befriedigung nun
die deutsche Nation infolge ihrer fortgeschrittenen Bildung mit vollem Rechte
beansprucht.

Schon das bisher Gesagte mag einen Einblick in die Denkart jenes
Ministers geben, der unsre junge Freiheit in ihren ersten Flitterwochen be¬
gleitete. Um so mehr mußten ihn die Beschuldigungen einer dienstbeflissenen
Hofpartei schmerzen, die ihm die früher verliehenen Ehren und Aus¬
zeichnungen aus unlautern Gründen entzog. Wenn ihm rücksichtlich der
Vorgänge vom Is. und 26. Mai 1848, als er das politische Centraicomitö
der Nationalgarde und die akademische Legion auslösen wollte, ein Vorwurf
gemacht werden kann, so ist es nur der, daß er bei so geringen Mitteln einer
aufgeregten Bevölkerung gegenüber schon im Voraus sich sagen mußte, dem
Erfolge nicht gewachsen zu sein. Daß er im östreichischen Reichstag selbst in
den Octobertagen und bis zu seiner Auflösung ausharrte, und sich der Depu¬
tation anschloß, die von Ferdinand dem "Gütigen" Nachsicht für traurige Ver°
wuntM erbat, liefert nur den Beweis, daß er nie von der Erfüllung seiner
Pflichten und einer vertrauensvollen Hingabe an seinen Monarchen abließ.
Allein die damaligen Machthaber verfolgten andere Zwecke und hoben den
Reichstag zu Kremsier eben in dem Augenblicke auf, als sein Ausschuß den
Aerfassungscntwurf beendet und gedruckt unter seine Mitglieder vertheilt hatte.

Die zweite Hälfte des Buches enthält mehre Abhandlungen über einzelne
Gegenstände, wie die "Verfassungsfrage", "die künftige Stellung Ungarns zur
Monarchie", "den Entwurf eines Concvrdats für künftige Zeiten". "Vorschläge
Zur Ordnung der östreichischen Finanzverhältnisse" u. s. w.. die offenbar aus
der letzten Zeit stammen, und oft wie ein Kommentar zu den Maßnahmen der
jetzigen Minister lauten. Am interessantesten waren uns die Ansichten >des
Verfassers über die Lösung der großen finanziellen Frage, da er einst selbst


wir noch größtentheils an Versprechungen auf dem Papiere gewiesen. Gerade
da sind es wieder der Klerus und Adel, die der Befreiung von unwürdigen
Fesseln die größten Hindernisse bereiten, und die wiener „Presse" deutete dies
in Ur. 63 des Jahres 1862 ganz verständlich an, indem sie Act nahm „von
den gefahrvollen Kompromissen, die zum Abschluß gekommen, und von liberalen
Vorsätzen, die vereitelt worden." Wir glauben, daß die constitutionelle Ent¬
wickelung, gleich jeder anderen, Naturgesetzen folgt, und ein lange nieder¬
gehaltenes Volk nicht mit einem Male das erforderliche Geschick besitzt, die
Physische Macht durch die Überlegenheit seines Geistes in Schranken zu halten.
Metternich und seine Genossen folgten in dieser Berechnung einem ganz natür¬
lichen Jnstincte, auf die Dauer ist die naturgemäße Entwickelung freilich nicht
auszuhalten. Darum werden auch vollkommene Ruhe und innerer Friede bei
uns erst dann gänzlich einkehren, wenn man nicht blos den materiellen, son¬
dern auch jenen geistigen Bedürfnissen Rechnung trägt, deren Befriedigung nun
die deutsche Nation infolge ihrer fortgeschrittenen Bildung mit vollem Rechte
beansprucht.

Schon das bisher Gesagte mag einen Einblick in die Denkart jenes
Ministers geben, der unsre junge Freiheit in ihren ersten Flitterwochen be¬
gleitete. Um so mehr mußten ihn die Beschuldigungen einer dienstbeflissenen
Hofpartei schmerzen, die ihm die früher verliehenen Ehren und Aus¬
zeichnungen aus unlautern Gründen entzog. Wenn ihm rücksichtlich der
Vorgänge vom Is. und 26. Mai 1848, als er das politische Centraicomitö
der Nationalgarde und die akademische Legion auslösen wollte, ein Vorwurf
gemacht werden kann, so ist es nur der, daß er bei so geringen Mitteln einer
aufgeregten Bevölkerung gegenüber schon im Voraus sich sagen mußte, dem
Erfolge nicht gewachsen zu sein. Daß er im östreichischen Reichstag selbst in
den Octobertagen und bis zu seiner Auflösung ausharrte, und sich der Depu¬
tation anschloß, die von Ferdinand dem „Gütigen" Nachsicht für traurige Ver°
wuntM erbat, liefert nur den Beweis, daß er nie von der Erfüllung seiner
Pflichten und einer vertrauensvollen Hingabe an seinen Monarchen abließ.
Allein die damaligen Machthaber verfolgten andere Zwecke und hoben den
Reichstag zu Kremsier eben in dem Augenblicke auf, als sein Ausschuß den
Aerfassungscntwurf beendet und gedruckt unter seine Mitglieder vertheilt hatte.

Die zweite Hälfte des Buches enthält mehre Abhandlungen über einzelne
Gegenstände, wie die „Verfassungsfrage", „die künftige Stellung Ungarns zur
Monarchie", „den Entwurf eines Concvrdats für künftige Zeiten". „Vorschläge
Zur Ordnung der östreichischen Finanzverhältnisse" u. s. w.. die offenbar aus
der letzten Zeit stammen, und oft wie ein Kommentar zu den Maßnahmen der
jetzigen Minister lauten. Am interessantesten waren uns die Ansichten >des
Verfassers über die Lösung der großen finanziellen Frage, da er einst selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/35>, abgerufen am 27.09.2024.