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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Untersuchungshaft von vierundvierzig Monaten in einer Zelle von fünf Fuß
Breite, zwölf Fuß Länge und gleicher Hohe; in ihren Einzelheiten schärfer als
eine Strafhaft; ins Unerträgliche erschwert durch die mangelhafte Einrichtung
des Gefängnisses, durch eine unbegreifliche, völlig zwecklose Absperrung von der
Außenwelt, die nicht einmal durch Blumen ihr Mitgefühl an den Tag legen
darf; eine Untersuchungshaft, schärfer und gelinder nach der persönlichen Laune
des Inquirenten , nach der persönlichen Ordnungsliebe des Wärterpersonals;
benutzt zur Belohnung und zur Einschüchterung; getadelt von einer zur Abhilfe
ohnmächtigen Jnspectivnsbehörde; -- Verhöre in langen, unabsehbaren Zwi¬
schenräumen, gehalten ohne jeden Begriff von dem Anstande, der Würde, der
Unparteilichkeit des Gerichts, begonnen mit dem Hinweise auf mögliche körper¬
liche Züchtigung, unterbrochen von dem Inquirenten mit den Worten: daß
Jeder, der kein Schafskopf sei, also auch er, einen bestimmten politischen
Standpunkt einnehme; -- Konfrontationen, verstoßend gegen die einfachsten
Grundsätze selbst des traurigen Jnquisitionsprvcesscs; -- Beeidigung eines
Denuncianten, der nach seiner eigenen Angabe auf schmutzigem Wege zur
Kenntniß der von ihm behaupteten Thatsachen gelangt ist; eine Beeidigung,
ungeachtet des Einspruchs des Jnculpcitcn, nicht aufgeschoben weder durch die
Qucrcl an das Obcrappellationsgcricht, noch durch die Angabe von Gegen¬
beweismitteln; -- ein Jndicienbcweis ohne vollbewiesene Jndicien; mit solcher
Einseitigkeit zusammengerafft, daß es nach der Freilassung dein einen der In-
culpaten sofort gelingt, sein alibi darzuthun; gestützt zum Theil auf Aussagen
von Mitschuldigen, deren im Urtheil anerkannte Willensschwäche der Inquirent
durch Begnadigungsverheißungen ausbeutet; -- dann eine Entscheidung durch
ein Collegium, dessen maßgebende Stimme in der Hand eines amoviblen
Richters ruhet, noch dazu einer Persönlichkeit, welche in ihren politischen Ante-
cedentien weitaus einige der Inculpaten an Schroffheit übertrifft und für einen
politischen Proceß schon durch diese große Umwandlung ihrer Meinung als
verdächtig dasteht; -- ein Urtheil, mitgetheilt ohne Entscheidungsgründe; --
die Berücksichtigung des Gesundes um Begnadigung abhängig gemacht vom vor¬
herigen Verzicht auf den weiteren Rechtsweg; -- weiter eine Festungsstrafe
vollstreckt im Zuchthause, mit Beschränkungen jeder Art gegen die ausdrücklichen
klaren Bestimmungen des Reglements; -- endlich eine polizeiliche Ueberwachung
ohne Beobachtung der gesetzlichen Formen, herbeigeführt durch die Fürsorge des
gesetzlich unbefugten Inquirenten;--wahrlich das sind Züge eines Ver¬
fahrens, welches man kaum absichtlich widerlicher machen könnte. Wir wieder¬
holen, daß über die materielle Rechtsfrage hier ein Urtheil nicht gesprochen sein
soll. Aber wenn wir auch annähmen, dieselbe sei in dem unlogisch dastehenden
Urtheile richtig getroffen, so ist das für die processualischen Missethaten ganz
gleichartig. Referent theilt nicht den politischen Standpunkt des Verfassers,


Untersuchungshaft von vierundvierzig Monaten in einer Zelle von fünf Fuß
Breite, zwölf Fuß Länge und gleicher Hohe; in ihren Einzelheiten schärfer als
eine Strafhaft; ins Unerträgliche erschwert durch die mangelhafte Einrichtung
des Gefängnisses, durch eine unbegreifliche, völlig zwecklose Absperrung von der
Außenwelt, die nicht einmal durch Blumen ihr Mitgefühl an den Tag legen
darf; eine Untersuchungshaft, schärfer und gelinder nach der persönlichen Laune
des Inquirenten , nach der persönlichen Ordnungsliebe des Wärterpersonals;
benutzt zur Belohnung und zur Einschüchterung; getadelt von einer zur Abhilfe
ohnmächtigen Jnspectivnsbehörde; — Verhöre in langen, unabsehbaren Zwi¬
schenräumen, gehalten ohne jeden Begriff von dem Anstande, der Würde, der
Unparteilichkeit des Gerichts, begonnen mit dem Hinweise auf mögliche körper¬
liche Züchtigung, unterbrochen von dem Inquirenten mit den Worten: daß
Jeder, der kein Schafskopf sei, also auch er, einen bestimmten politischen
Standpunkt einnehme; — Konfrontationen, verstoßend gegen die einfachsten
Grundsätze selbst des traurigen Jnquisitionsprvcesscs; — Beeidigung eines
Denuncianten, der nach seiner eigenen Angabe auf schmutzigem Wege zur
Kenntniß der von ihm behaupteten Thatsachen gelangt ist; eine Beeidigung,
ungeachtet des Einspruchs des Jnculpcitcn, nicht aufgeschoben weder durch die
Qucrcl an das Obcrappellationsgcricht, noch durch die Angabe von Gegen¬
beweismitteln; — ein Jndicienbcweis ohne vollbewiesene Jndicien; mit solcher
Einseitigkeit zusammengerafft, daß es nach der Freilassung dein einen der In-
culpaten sofort gelingt, sein alibi darzuthun; gestützt zum Theil auf Aussagen
von Mitschuldigen, deren im Urtheil anerkannte Willensschwäche der Inquirent
durch Begnadigungsverheißungen ausbeutet; — dann eine Entscheidung durch
ein Collegium, dessen maßgebende Stimme in der Hand eines amoviblen
Richters ruhet, noch dazu einer Persönlichkeit, welche in ihren politischen Ante-
cedentien weitaus einige der Inculpaten an Schroffheit übertrifft und für einen
politischen Proceß schon durch diese große Umwandlung ihrer Meinung als
verdächtig dasteht; — ein Urtheil, mitgetheilt ohne Entscheidungsgründe; —
die Berücksichtigung des Gesundes um Begnadigung abhängig gemacht vom vor¬
herigen Verzicht auf den weiteren Rechtsweg; — weiter eine Festungsstrafe
vollstreckt im Zuchthause, mit Beschränkungen jeder Art gegen die ausdrücklichen
klaren Bestimmungen des Reglements; — endlich eine polizeiliche Ueberwachung
ohne Beobachtung der gesetzlichen Formen, herbeigeführt durch die Fürsorge des
gesetzlich unbefugten Inquirenten;--wahrlich das sind Züge eines Ver¬
fahrens, welches man kaum absichtlich widerlicher machen könnte. Wir wieder¬
holen, daß über die materielle Rechtsfrage hier ein Urtheil nicht gesprochen sein
soll. Aber wenn wir auch annähmen, dieselbe sei in dem unlogisch dastehenden
Urtheile richtig getroffen, so ist das für die processualischen Missethaten ganz
gleichartig. Referent theilt nicht den politischen Standpunkt des Verfassers,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/345>, abgerufen am 20.10.2024.