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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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der eingehendsten Besprechung bedürfte. Freizügigkeit aber ist heutzutage in
diesen Kreisen noch ein unverstandener Schall. Allein man will ja, wie später
erhellen wird, gar keinen selbständigen Arbeiterstand, man will nur eine Armee,
welche einerseits überallhin folgt und auf der andern Seite imponirt.

Indem die Antwort dann von den Sparkassen, Invaliden- und Kranken¬
kassen spricht, erkennt sie denselben einen nur höchst untergeordneten, kaum der
Rede werthen Nutzen zu. Diese Institute können nach Herrn Lassalle nur das
Elend der Arbeiterindividuen erträglicher machen, und diesen beschränkten Zweck
muß man den localen Organisationen überlassen, nicht aber seinetwegen eine
allgemeine Agitation unter dem ganzen deutschen Arbeiterstand hervorrufen.
Ziel einer solchen müsse vielmehr sein: die normale Lage des gesammten Ar¬
beiterstandes zu verbessern und über ihr jetziges Niveau zu erheben. Die schul¬
zeschen Associationen, welche als Mittel hierzu empfohlen worden, entsprächen
jenem Ziele nicht entfernt. Die Credit- und Vorschußvereine existirten für den
Arbeiter im engeren Sinne, der nur bei der fabrikmäßigen Großproduktion be¬
schäftigt sei, garnicht, sondern nur sür den kleinen Handwerker, der auf eigene
Rechnung arbeite. Dazu komme die nothwendige Bewegung unserer Industrie
zu immer ausgedehnterer Grvßprvductivn und das stete Zurückgehen des Klein¬
gewerbes, welches sich gegenüber der Concurrenz der ersteren durch jene Insti¬
tute ebenso wenig zu schützen vermöge, wie auf die Dauer der mit hinreichenden
eigenen Mitteln versehene Handwerker. Die Credit- und Vorschußvereine ge¬
währten also nur dem unbemittelten Handwerker die Bordseite, welche dem be¬
mittelten zu Gebote ständen, da aber beide keine Zukunft hätten, so seien sie
wie die übrigen schülzeschen Organisationen nur dazu angethan, den Todes¬
kampf der untergehenden kleinen Gewerbe zu verlängern und die Entwickelung
unserer Cultur aufzuhalten.

Ganz Gleiches gilt nach Lassalles Brief von den Nohstoffvereinen. Die
Consumvereine sind ebenfalls "gänzlich unfähig, die Verbesserung der Lage des
Arbeiterstandes zu bewirken", da sie mit ihren Vortheilen den Arbeiter nur als
Consumenten, nicht aber als Producenten treffen. Als Consumenten seien wir
Alle gleich, wenn auch zugegeben wirb, daß bei der beschränkten Zahlungs¬
fähigkeit des Arbeiters und dem daraus für diesen folgenden Zwange, alle Bedürf¬
nisse im Kleinsten zu kaufen ein besonderer Ncbenschaden sür denselben entsteht,
dem die Consumvereine zeitweise Abhilfe schaffen können. Allein diese Abhilfe
gestaltet sich zum größten Schaden für den Arbeiterstand, so bald sie demselben
gemeinsam wird, da sie dann nach dem "ehernen ökonomischen Gesetze", "daß
der durchschnittliche Arbeitslohn immer auf den nothwendigen Lebensunterhalt
reducirt bleibt, der in dem Volke gewohnheitsmäßig zur Fristung der Existenz und
zur Fortpflanzung erforderlich ist", nur den Arbeitslohn in Rücksicht auf das für
jeden Arbeiter billiger gewordne Leben herabdrücken wird. Diesem "ehernen Ge-


der eingehendsten Besprechung bedürfte. Freizügigkeit aber ist heutzutage in
diesen Kreisen noch ein unverstandener Schall. Allein man will ja, wie später
erhellen wird, gar keinen selbständigen Arbeiterstand, man will nur eine Armee,
welche einerseits überallhin folgt und auf der andern Seite imponirt.

Indem die Antwort dann von den Sparkassen, Invaliden- und Kranken¬
kassen spricht, erkennt sie denselben einen nur höchst untergeordneten, kaum der
Rede werthen Nutzen zu. Diese Institute können nach Herrn Lassalle nur das
Elend der Arbeiterindividuen erträglicher machen, und diesen beschränkten Zweck
muß man den localen Organisationen überlassen, nicht aber seinetwegen eine
allgemeine Agitation unter dem ganzen deutschen Arbeiterstand hervorrufen.
Ziel einer solchen müsse vielmehr sein: die normale Lage des gesammten Ar¬
beiterstandes zu verbessern und über ihr jetziges Niveau zu erheben. Die schul¬
zeschen Associationen, welche als Mittel hierzu empfohlen worden, entsprächen
jenem Ziele nicht entfernt. Die Credit- und Vorschußvereine existirten für den
Arbeiter im engeren Sinne, der nur bei der fabrikmäßigen Großproduktion be¬
schäftigt sei, garnicht, sondern nur sür den kleinen Handwerker, der auf eigene
Rechnung arbeite. Dazu komme die nothwendige Bewegung unserer Industrie
zu immer ausgedehnterer Grvßprvductivn und das stete Zurückgehen des Klein¬
gewerbes, welches sich gegenüber der Concurrenz der ersteren durch jene Insti¬
tute ebenso wenig zu schützen vermöge, wie auf die Dauer der mit hinreichenden
eigenen Mitteln versehene Handwerker. Die Credit- und Vorschußvereine ge¬
währten also nur dem unbemittelten Handwerker die Bordseite, welche dem be¬
mittelten zu Gebote ständen, da aber beide keine Zukunft hätten, so seien sie
wie die übrigen schülzeschen Organisationen nur dazu angethan, den Todes¬
kampf der untergehenden kleinen Gewerbe zu verlängern und die Entwickelung
unserer Cultur aufzuhalten.

Ganz Gleiches gilt nach Lassalles Brief von den Nohstoffvereinen. Die
Consumvereine sind ebenfalls „gänzlich unfähig, die Verbesserung der Lage des
Arbeiterstandes zu bewirken", da sie mit ihren Vortheilen den Arbeiter nur als
Consumenten, nicht aber als Producenten treffen. Als Consumenten seien wir
Alle gleich, wenn auch zugegeben wirb, daß bei der beschränkten Zahlungs¬
fähigkeit des Arbeiters und dem daraus für diesen folgenden Zwange, alle Bedürf¬
nisse im Kleinsten zu kaufen ein besonderer Ncbenschaden sür denselben entsteht,
dem die Consumvereine zeitweise Abhilfe schaffen können. Allein diese Abhilfe
gestaltet sich zum größten Schaden für den Arbeiterstand, so bald sie demselben
gemeinsam wird, da sie dann nach dem „ehernen ökonomischen Gesetze", „daß
der durchschnittliche Arbeitslohn immer auf den nothwendigen Lebensunterhalt
reducirt bleibt, der in dem Volke gewohnheitsmäßig zur Fristung der Existenz und
zur Fortpflanzung erforderlich ist", nur den Arbeitslohn in Rücksicht auf das für
jeden Arbeiter billiger gewordne Leben herabdrücken wird. Diesem „ehernen Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/338>, abgerufen am 27.09.2024.