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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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zur Auseinandersetzung der Blindgläubigen und derjenigen, welche das, was
sie glauben sollen, auch begreisen wollen. Der größte Vorzug der gedachten
Schrift liegt in ihrer apokalyptischen Dunkelheit in Betreff der Hauptfragen,
so daß jeder sich vor der Zeit des Eintritts der darin in Aussicht gestellten
Zustände von dem Wie und Wodurch des zukünftigen Staates sein eigenes
Bild machen kann. Ferner ist der offene Brief in einer Sprache geschrieben,
welche die große Masse der Arbeiter nicht versteht; schadet jedoch nichts, da sie
auf Viele gerade wegen ihrer UnVerständlichkeit den Eindruck tiefster Wissen-
schaftlichkeit macht. Vor Allein flößt aber der kurz angebundene kategorische
Ton der Epistel der Masse Respect ein. "Ein ernster Mann von Stirne kraus
-- wirft Alles gleich zum Fenster 'naus." Wer nicht das will, was Herr
Lassalle für richtig hält in Sachen der Politik, der gibt dem Volke das "Schau¬
spiel einer Schwäche und Würdelosigkeit ohne Gleichen". Wer das von Herrn
Stirnekraus aufgestellte Gesetz über die Regelung des Arbeitslohnes nicht an¬
erkennt, will die Arbeiter "täuschen" oder befindet sich in der "allerkläglichsten
Unerfahrenheit in der nationalökonomischen Wissenschaft". Was Andere im
Gegensatze zu dem Herrn Doctor behaupten, sind "hohle Deklamationen",
"Gemeinplätze", "Geschwätz" -- fort damit!

Diese allerhöchste Unfehlbarkeit imponirt so entschieden, daß man gern
übersieht, mit welcher Leichtigkeit dem Leser erklärt wird, daß eine weitere Aus¬
führung des "Wie" nicht möglich sei, da ihr eine sinanztheoretische Erörterung
der socialen Function des Geldes und Credits vorausgeschickt werden müßte.
Jedenfalls für den Arbeiter ein äußerst verständlicher und überzeugender Grund.
Also glauben vor der Hand, das Andere findet sich zur rechten Zeit; denn
diese nothwendigen Erörterungen verstände ja doch der Arbeiter nicht. Nun,
die Gläubigen haben sich gefunden und zwar zuerst im leipziger ArbeitercomitS.
Zur Ehre einer Anzahl der Mitglieder bemerken wir, daß dieselben nicht ge¬
willt waren, ihr Urtheil einem plötzlich auftauchenden, angeblichen Arbeiter-
freunde Preis zu geben und sofort auf die von ihm ausgegebene Parole
zu schwören. Die Vertrauensmänner sprachen sich entschieden gegen das Hinein¬
ziehen alles Weiteren in den Kreis der Berathungen des Comites aus und
riethen zu einfachem unverruckten Festhalten an dem erhaltenen Mandat. Um¬
sonst, der offene Brief wurde in Vereinen und Versammlungen vorgelesen und
commentirt, man ging mit ihm nach anderen Städten und suchte, allerdings mit
wenig Erfolg, die Vereine dafür zu begeistern. Endlich hielt man es an der
Zeit, im Comite selbst den Antrag zu stellen, sich als solches aufzulösen, so¬
fort aber ein anderes an seine Stelle wählen zu lassen, dessen Aufgabe es sei,
einen großen deutschen Arbeiterverein auf Grund des im lassalleschen Send¬
schreiben enthaltenen Programms zu gründen. Der Verein sollte in Art und
Weise des Nationalvereins seine Mitglieder durch ganz Deutschland ohne Zweig-


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zur Auseinandersetzung der Blindgläubigen und derjenigen, welche das, was
sie glauben sollen, auch begreisen wollen. Der größte Vorzug der gedachten
Schrift liegt in ihrer apokalyptischen Dunkelheit in Betreff der Hauptfragen,
so daß jeder sich vor der Zeit des Eintritts der darin in Aussicht gestellten
Zustände von dem Wie und Wodurch des zukünftigen Staates sein eigenes
Bild machen kann. Ferner ist der offene Brief in einer Sprache geschrieben,
welche die große Masse der Arbeiter nicht versteht; schadet jedoch nichts, da sie
auf Viele gerade wegen ihrer UnVerständlichkeit den Eindruck tiefster Wissen-
schaftlichkeit macht. Vor Allein flößt aber der kurz angebundene kategorische
Ton der Epistel der Masse Respect ein. „Ein ernster Mann von Stirne kraus
— wirft Alles gleich zum Fenster 'naus." Wer nicht das will, was Herr
Lassalle für richtig hält in Sachen der Politik, der gibt dem Volke das „Schau¬
spiel einer Schwäche und Würdelosigkeit ohne Gleichen". Wer das von Herrn
Stirnekraus aufgestellte Gesetz über die Regelung des Arbeitslohnes nicht an¬
erkennt, will die Arbeiter „täuschen" oder befindet sich in der „allerkläglichsten
Unerfahrenheit in der nationalökonomischen Wissenschaft". Was Andere im
Gegensatze zu dem Herrn Doctor behaupten, sind „hohle Deklamationen",
„Gemeinplätze", „Geschwätz" — fort damit!

Diese allerhöchste Unfehlbarkeit imponirt so entschieden, daß man gern
übersieht, mit welcher Leichtigkeit dem Leser erklärt wird, daß eine weitere Aus¬
führung des „Wie" nicht möglich sei, da ihr eine sinanztheoretische Erörterung
der socialen Function des Geldes und Credits vorausgeschickt werden müßte.
Jedenfalls für den Arbeiter ein äußerst verständlicher und überzeugender Grund.
Also glauben vor der Hand, das Andere findet sich zur rechten Zeit; denn
diese nothwendigen Erörterungen verstände ja doch der Arbeiter nicht. Nun,
die Gläubigen haben sich gefunden und zwar zuerst im leipziger ArbeitercomitS.
Zur Ehre einer Anzahl der Mitglieder bemerken wir, daß dieselben nicht ge¬
willt waren, ihr Urtheil einem plötzlich auftauchenden, angeblichen Arbeiter-
freunde Preis zu geben und sofort auf die von ihm ausgegebene Parole
zu schwören. Die Vertrauensmänner sprachen sich entschieden gegen das Hinein¬
ziehen alles Weiteren in den Kreis der Berathungen des Comites aus und
riethen zu einfachem unverruckten Festhalten an dem erhaltenen Mandat. Um¬
sonst, der offene Brief wurde in Vereinen und Versammlungen vorgelesen und
commentirt, man ging mit ihm nach anderen Städten und suchte, allerdings mit
wenig Erfolg, die Vereine dafür zu begeistern. Endlich hielt man es an der
Zeit, im Comite selbst den Antrag zu stellen, sich als solches aufzulösen, so¬
fort aber ein anderes an seine Stelle wählen zu lassen, dessen Aufgabe es sei,
einen großen deutschen Arbeiterverein auf Grund des im lassalleschen Send¬
schreiben enthaltenen Programms zu gründen. Der Verein sollte in Art und
Weise des Nationalvereins seine Mitglieder durch ganz Deutschland ohne Zweig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/335>, abgerufen am 20.10.2024.