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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Neuwahl zur preußischen Volksvertretung berücksichtigt zu werden, und sich
Hoffnung gemacht, aus den Sckultcrn der Arbeiter, die in Preußen auch ohne
das allgemeine Wahlrecht des Herrn Lassalle einen entscheidenden Einfluß auf
die Wahlen ausüben können, wenn sie nur von ihrer Befugniß Gebrauch
machen wollen, in die Kammer getragen zu werden. Die soeben im Auszug
mitgetheilte Rede wäre, da sie unverstanden bleiben mußte, spurlos verhallt,
wäre ihr nicht eine Anklage des Staatsanwaltes wegen Aufreizung zu Haß
und Verachtung der Stände unter einander, die der Oeffentlichkeit anheim¬
gefallene Vertheidigung und schließlich die Hingebung einiger leipziger Schwärmer
zu Hilfe gekommen, die in ihrer Rath- und Haltlosigkeit zu dem berliner Pro¬
pheten, der so dunkel und doch so wissenschaftlich, so vornehm und doch so schmei¬
chelnd zu den Arbeitern zu sprechen verstand, wie zu einem Heiland aufblickten.

Den Mann konnten sie brauchen, der ihnen rundweg erklärte: die ganze
Welt taugt nicht so viel, daß sie werth ist zu existiren, aber wenn Ihr an die
Spitze tretet und meine Ideen ausführt, so kann sie aus all ihrem Jammer
noch gerettet werden und zwar in circa ein bis zwei,Jahrzehnten.

Das Comite in Leipzig wendete sich persönlich an Herrn Lassalle und er¬
suchte ihn um Rath, was in der Arbeiterangelcgcnhcit zu thun sei. Die
Herren stellten sich freilich damit ein Armuthszcugniß aus, indem sie bekannten,
daß sie nicht wußten, was sie wollten, daß sie jedenfalls die mit so vielem
Lärm in die Welt geschobene Arbeiterfrage selbst nicht anzufassen vermochten.
Indeß winkte andrerseits die Hoffnung, durch eine passende Auskunft die ins
Stocken gerathene Bewegung wieder in Fluß zu bringen und an ihrer Spitze
weiterzuschwimmen. Ins Stocken aber war die Bewegung gerathen; denn
auf den Aufruf des Comites, den Congreß überall in Vorberathung zu nehmen
und Gelder zu sammeln, waren, wie wir sahen, eitel Proteste gekommen,
die das leipziger Comitö nicht anzuerkennen erklärten, und natürlich blieben auch
die Gelder aus.

Ehe die Antwort des berliner Orakels einlief, verbreitete man mit Rüh¬
rigkeit die Rede und Vertheidigung Lassalles, um seine Ansichten und seinen
Namen bekannt zu machen, und dabei ist von ersterer gewiß manches Exem¬
plar verkauft worden, völlig durchgelesen aber wurden wohl die wenigsten.

Endlich langte das neue Evangelium an und wurde als Broschüre unter
dem Titel "Offres Antwortschreiben an das Centralcomit" zur Berufung eines
allgemeinen deutschen Arbeitereongresses zu Leipzig von Ferdinand Lassalle" zu
billigsten Preise in Massen unter den Arbeitern verbreitet. Die leipziger
Führer und ihr nächster Anhang flössen über von Begeisterung für die neue
Lehre, und die in der Schrift selbst nicht gezogenen Konsequenzen wurden in
weitester Ausdehnung verfolgt. Zur Klärung der Ansichten hat die lassallesche
Schrift entschieden geführt, und wo man dies nicht annehmen kann, mindestens


Neuwahl zur preußischen Volksvertretung berücksichtigt zu werden, und sich
Hoffnung gemacht, aus den Sckultcrn der Arbeiter, die in Preußen auch ohne
das allgemeine Wahlrecht des Herrn Lassalle einen entscheidenden Einfluß auf
die Wahlen ausüben können, wenn sie nur von ihrer Befugniß Gebrauch
machen wollen, in die Kammer getragen zu werden. Die soeben im Auszug
mitgetheilte Rede wäre, da sie unverstanden bleiben mußte, spurlos verhallt,
wäre ihr nicht eine Anklage des Staatsanwaltes wegen Aufreizung zu Haß
und Verachtung der Stände unter einander, die der Oeffentlichkeit anheim¬
gefallene Vertheidigung und schließlich die Hingebung einiger leipziger Schwärmer
zu Hilfe gekommen, die in ihrer Rath- und Haltlosigkeit zu dem berliner Pro¬
pheten, der so dunkel und doch so wissenschaftlich, so vornehm und doch so schmei¬
chelnd zu den Arbeitern zu sprechen verstand, wie zu einem Heiland aufblickten.

Den Mann konnten sie brauchen, der ihnen rundweg erklärte: die ganze
Welt taugt nicht so viel, daß sie werth ist zu existiren, aber wenn Ihr an die
Spitze tretet und meine Ideen ausführt, so kann sie aus all ihrem Jammer
noch gerettet werden und zwar in circa ein bis zwei,Jahrzehnten.

Das Comite in Leipzig wendete sich persönlich an Herrn Lassalle und er¬
suchte ihn um Rath, was in der Arbeiterangelcgcnhcit zu thun sei. Die
Herren stellten sich freilich damit ein Armuthszcugniß aus, indem sie bekannten,
daß sie nicht wußten, was sie wollten, daß sie jedenfalls die mit so vielem
Lärm in die Welt geschobene Arbeiterfrage selbst nicht anzufassen vermochten.
Indeß winkte andrerseits die Hoffnung, durch eine passende Auskunft die ins
Stocken gerathene Bewegung wieder in Fluß zu bringen und an ihrer Spitze
weiterzuschwimmen. Ins Stocken aber war die Bewegung gerathen; denn
auf den Aufruf des Comites, den Congreß überall in Vorberathung zu nehmen
und Gelder zu sammeln, waren, wie wir sahen, eitel Proteste gekommen,
die das leipziger Comitö nicht anzuerkennen erklärten, und natürlich blieben auch
die Gelder aus.

Ehe die Antwort des berliner Orakels einlief, verbreitete man mit Rüh¬
rigkeit die Rede und Vertheidigung Lassalles, um seine Ansichten und seinen
Namen bekannt zu machen, und dabei ist von ersterer gewiß manches Exem¬
plar verkauft worden, völlig durchgelesen aber wurden wohl die wenigsten.

Endlich langte das neue Evangelium an und wurde als Broschüre unter
dem Titel „Offres Antwortschreiben an das Centralcomit« zur Berufung eines
allgemeinen deutschen Arbeitereongresses zu Leipzig von Ferdinand Lassalle" zu
billigsten Preise in Massen unter den Arbeitern verbreitet. Die leipziger
Führer und ihr nächster Anhang flössen über von Begeisterung für die neue
Lehre, und die in der Schrift selbst nicht gezogenen Konsequenzen wurden in
weitester Ausdehnung verfolgt. Zur Klärung der Ansichten hat die lassallesche
Schrift entschieden geführt, und wo man dies nicht annehmen kann, mindestens


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[0334] Neuwahl zur preußischen Volksvertretung berücksichtigt zu werden, und sich Hoffnung gemacht, aus den Sckultcrn der Arbeiter, die in Preußen auch ohne das allgemeine Wahlrecht des Herrn Lassalle einen entscheidenden Einfluß auf die Wahlen ausüben können, wenn sie nur von ihrer Befugniß Gebrauch machen wollen, in die Kammer getragen zu werden. Die soeben im Auszug mitgetheilte Rede wäre, da sie unverstanden bleiben mußte, spurlos verhallt, wäre ihr nicht eine Anklage des Staatsanwaltes wegen Aufreizung zu Haß und Verachtung der Stände unter einander, die der Oeffentlichkeit anheim¬ gefallene Vertheidigung und schließlich die Hingebung einiger leipziger Schwärmer zu Hilfe gekommen, die in ihrer Rath- und Haltlosigkeit zu dem berliner Pro¬ pheten, der so dunkel und doch so wissenschaftlich, so vornehm und doch so schmei¬ chelnd zu den Arbeitern zu sprechen verstand, wie zu einem Heiland aufblickten. Den Mann konnten sie brauchen, der ihnen rundweg erklärte: die ganze Welt taugt nicht so viel, daß sie werth ist zu existiren, aber wenn Ihr an die Spitze tretet und meine Ideen ausführt, so kann sie aus all ihrem Jammer noch gerettet werden und zwar in circa ein bis zwei,Jahrzehnten. Das Comite in Leipzig wendete sich persönlich an Herrn Lassalle und er¬ suchte ihn um Rath, was in der Arbeiterangelcgcnhcit zu thun sei. Die Herren stellten sich freilich damit ein Armuthszcugniß aus, indem sie bekannten, daß sie nicht wußten, was sie wollten, daß sie jedenfalls die mit so vielem Lärm in die Welt geschobene Arbeiterfrage selbst nicht anzufassen vermochten. Indeß winkte andrerseits die Hoffnung, durch eine passende Auskunft die ins Stocken gerathene Bewegung wieder in Fluß zu bringen und an ihrer Spitze weiterzuschwimmen. Ins Stocken aber war die Bewegung gerathen; denn auf den Aufruf des Comites, den Congreß überall in Vorberathung zu nehmen und Gelder zu sammeln, waren, wie wir sahen, eitel Proteste gekommen, die das leipziger Comitö nicht anzuerkennen erklärten, und natürlich blieben auch die Gelder aus. Ehe die Antwort des berliner Orakels einlief, verbreitete man mit Rüh¬ rigkeit die Rede und Vertheidigung Lassalles, um seine Ansichten und seinen Namen bekannt zu machen, und dabei ist von ersterer gewiß manches Exem¬ plar verkauft worden, völlig durchgelesen aber wurden wohl die wenigsten. Endlich langte das neue Evangelium an und wurde als Broschüre unter dem Titel „Offres Antwortschreiben an das Centralcomit« zur Berufung eines allgemeinen deutschen Arbeitereongresses zu Leipzig von Ferdinand Lassalle" zu billigsten Preise in Massen unter den Arbeitern verbreitet. Die leipziger Führer und ihr nächster Anhang flössen über von Begeisterung für die neue Lehre, und die in der Schrift selbst nicht gezogenen Konsequenzen wurden in weitester Ausdehnung verfolgt. Zur Klärung der Ansichten hat die lassallesche Schrift entschieden geführt, und wo man dies nicht annehmen kann, mindestens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/334>, abgerufen am 27.09.2024.