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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Das preußische Abgeordnetenhaus und die Regierung.

Der preußische Minister, welcher neulich hervorhob, es sei ein Unterschied
zwischen der Stellung des Königs von Preußen und des Königs der Belgier,
hat seinen Gegnern einen Dienst erwiesen, wenn er in der gegenwärtigen ver¬
zweifelten Lage der preußischen Regierung auf den schneidenden Contrast zwi¬
schen ihren Erfolgen und denen des Königs Leopold aufmerksam machte. Es
ist allerdings für jeden Preußen, der die heimischen Zustände mit denen Bel¬
giens vergleicht, ein großer Unterschied in der Stellung beider Fürsten zu ih¬
ren Völkern, und es ist nicht unnütz, darzustellen, worin der Gegensatz liegt.
Beide Souveräne haben einen militärischen Lieblingsplan, den sie gegen
Wunsch und Willen ihres Volkes durchzusetzen bemüht waren. Gerade so wie
König Wilhelm seine Hecresorganisation, forderte König Leopold seit Jahren
die Befestigung von Antwerpen. Die neue preußische Organisation kann nicht
unpopulärer sein, als dieser Lieblingsplan des belgischen Königs seinem Volke
war. Denn dieser Plan legte nicht nur für alle Zukunft dem Militärbudget
eine neue nicht unbedeutende Last auf, er forderte auch sofort zu seiner Reali-
sirung die hohe Summe von etwa achtzig Millionen Franken. Das belgische
Volk aber hat seinem Könige diese höchst unpopuläre, unbequeme, kostspielige
Neuerung bewilligt, gegen das eigene Wünschen und Empfinden, als ein gro߬
artiges Geschenk, welches mit Selbstüberwindung einem populären Fürsten ge¬
bracht wurde. Nicht die Erkenntniß von der -- für uns unläugbaren -- po¬
litischen Nothwendigkeit dieses kostbaren und lästigen Unternehmens hat in
Belgien den Ausschlag gegeben; man darf sagen, daß nur die Persönlichkeit
des Regenten dem Volke die Beistimmung abgerungen hat.

In Preußen aber ist unter diesem Regiment die gesetzliche Feststellung der
Heeresorganisation ohne jede Aussicht, und alle nichtswürdigen Mittel, welche
öffentliche Organe der feudalen Partei zur völligen Durchführung der Heeres¬
organisation anrathen: Eidbruch, neues Octroyiren, ein Zwingen und Falschen
der Volksmeinung, werden nur die eine Wirkung ausüben, daß Widerwille
und Haß gegen die heimische Militärverfassung immer tiefer fressen und zuletzt
noch anderen Gewalten Gefahr drohen als dem Corpsgeist der preußischen Re¬
gimenter und der Patriarchaten Frömmigkeit der preußischen Cadettenhäuser.

Der Minister also hat ganz Recht gehabt: es offenbart sich gerade in der


Grenzboten II. 1863. 41
Das preußische Abgeordnetenhaus und die Regierung.

Der preußische Minister, welcher neulich hervorhob, es sei ein Unterschied
zwischen der Stellung des Königs von Preußen und des Königs der Belgier,
hat seinen Gegnern einen Dienst erwiesen, wenn er in der gegenwärtigen ver¬
zweifelten Lage der preußischen Regierung auf den schneidenden Contrast zwi¬
schen ihren Erfolgen und denen des Königs Leopold aufmerksam machte. Es
ist allerdings für jeden Preußen, der die heimischen Zustände mit denen Bel¬
giens vergleicht, ein großer Unterschied in der Stellung beider Fürsten zu ih¬
ren Völkern, und es ist nicht unnütz, darzustellen, worin der Gegensatz liegt.
Beide Souveräne haben einen militärischen Lieblingsplan, den sie gegen
Wunsch und Willen ihres Volkes durchzusetzen bemüht waren. Gerade so wie
König Wilhelm seine Hecresorganisation, forderte König Leopold seit Jahren
die Befestigung von Antwerpen. Die neue preußische Organisation kann nicht
unpopulärer sein, als dieser Lieblingsplan des belgischen Königs seinem Volke
war. Denn dieser Plan legte nicht nur für alle Zukunft dem Militärbudget
eine neue nicht unbedeutende Last auf, er forderte auch sofort zu seiner Reali-
sirung die hohe Summe von etwa achtzig Millionen Franken. Das belgische
Volk aber hat seinem Könige diese höchst unpopuläre, unbequeme, kostspielige
Neuerung bewilligt, gegen das eigene Wünschen und Empfinden, als ein gro߬
artiges Geschenk, welches mit Selbstüberwindung einem populären Fürsten ge¬
bracht wurde. Nicht die Erkenntniß von der — für uns unläugbaren — po¬
litischen Nothwendigkeit dieses kostbaren und lästigen Unternehmens hat in
Belgien den Ausschlag gegeben; man darf sagen, daß nur die Persönlichkeit
des Regenten dem Volke die Beistimmung abgerungen hat.

In Preußen aber ist unter diesem Regiment die gesetzliche Feststellung der
Heeresorganisation ohne jede Aussicht, und alle nichtswürdigen Mittel, welche
öffentliche Organe der feudalen Partei zur völligen Durchführung der Heeres¬
organisation anrathen: Eidbruch, neues Octroyiren, ein Zwingen und Falschen
der Volksmeinung, werden nur die eine Wirkung ausüben, daß Widerwille
und Haß gegen die heimische Militärverfassung immer tiefer fressen und zuletzt
noch anderen Gewalten Gefahr drohen als dem Corpsgeist der preußischen Re¬
gimenter und der Patriarchaten Frömmigkeit der preußischen Cadettenhäuser.

Der Minister also hat ganz Recht gehabt: es offenbart sich gerade in der


Grenzboten II. 1863. 41
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[0325] Das preußische Abgeordnetenhaus und die Regierung. Der preußische Minister, welcher neulich hervorhob, es sei ein Unterschied zwischen der Stellung des Königs von Preußen und des Königs der Belgier, hat seinen Gegnern einen Dienst erwiesen, wenn er in der gegenwärtigen ver¬ zweifelten Lage der preußischen Regierung auf den schneidenden Contrast zwi¬ schen ihren Erfolgen und denen des Königs Leopold aufmerksam machte. Es ist allerdings für jeden Preußen, der die heimischen Zustände mit denen Bel¬ giens vergleicht, ein großer Unterschied in der Stellung beider Fürsten zu ih¬ ren Völkern, und es ist nicht unnütz, darzustellen, worin der Gegensatz liegt. Beide Souveräne haben einen militärischen Lieblingsplan, den sie gegen Wunsch und Willen ihres Volkes durchzusetzen bemüht waren. Gerade so wie König Wilhelm seine Hecresorganisation, forderte König Leopold seit Jahren die Befestigung von Antwerpen. Die neue preußische Organisation kann nicht unpopulärer sein, als dieser Lieblingsplan des belgischen Königs seinem Volke war. Denn dieser Plan legte nicht nur für alle Zukunft dem Militärbudget eine neue nicht unbedeutende Last auf, er forderte auch sofort zu seiner Reali- sirung die hohe Summe von etwa achtzig Millionen Franken. Das belgische Volk aber hat seinem Könige diese höchst unpopuläre, unbequeme, kostspielige Neuerung bewilligt, gegen das eigene Wünschen und Empfinden, als ein gro߬ artiges Geschenk, welches mit Selbstüberwindung einem populären Fürsten ge¬ bracht wurde. Nicht die Erkenntniß von der — für uns unläugbaren — po¬ litischen Nothwendigkeit dieses kostbaren und lästigen Unternehmens hat in Belgien den Ausschlag gegeben; man darf sagen, daß nur die Persönlichkeit des Regenten dem Volke die Beistimmung abgerungen hat. In Preußen aber ist unter diesem Regiment die gesetzliche Feststellung der Heeresorganisation ohne jede Aussicht, und alle nichtswürdigen Mittel, welche öffentliche Organe der feudalen Partei zur völligen Durchführung der Heeres¬ organisation anrathen: Eidbruch, neues Octroyiren, ein Zwingen und Falschen der Volksmeinung, werden nur die eine Wirkung ausüben, daß Widerwille und Haß gegen die heimische Militärverfassung immer tiefer fressen und zuletzt noch anderen Gewalten Gefahr drohen als dem Corpsgeist der preußischen Re¬ gimenter und der Patriarchaten Frömmigkeit der preußischen Cadettenhäuser. Der Minister also hat ganz Recht gehabt: es offenbart sich gerade in der Grenzboten II. 1863. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/325>, abgerufen am 27.09.2024.