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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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amerikanische weiße Fichte noch zu riesiger Größe in einem Winter, dessen mitt¬
lere Temperatur unter -- 16" R. liegt; bei einer Kälte von solcher zeitweiliger
Intensität, daß sie das Innere der doppelt mannsdicken Stämme unter den
Gefrierpunkt des Quecksilbers abkühlt (Bourgeau war wochenlang in seinen
Beobachtungen des Standes von Thermometern, welche fußtiefen Bohrlöchern
der Stämme eingefügt und dem directen Einfluß der äußeren Temperatur
thunlichst unzugänglich gemacht waren, durch das Gefrieren der Quecksilbersäule
gehindert); -- dafür aber auch bei einer mittleren Sommerwärme von -j- 8" R.
Die Curve dieser Sommertemperatur bezeichnet überhaupt ziemlich genau die
polare Grenze der Wälder, ohne Rücksicht auf die, in den mannigfachsten
Winkeln sie schneidenden Linien verschiedener mittlerer Winterkälte.

In kaum minderer Abhängigkeit stehen die Pflanzen zu dem Feuchtigkeits¬
grade von Boden und Luft. Von der absoluten Vegetationslosigkeit der völlig
regenlosen Gebiete, in denen nur der Hinzutritt von Wasser, gesammelt aus
in weiter Entfernung gefallenen, atmosphärischen Niederschlägen, den Wuchs von
Pflanzen ermöglicht, führen allmälige Uebergänge, je nach dem Maße und der
jährlichen Vertheilung des Negenfalls. durch die Gras- und Kräutersteppen der
wärmeren gemäßigten Zone beider Halbkugeln, die Strauchsteppen (etre Lerub)
Australiens, die offenen Wälder der Ukraine und der Prairienränder zu dem
dicht geschlossenen Waldtaube. Und auch diesem fehlen noch, in einem der
step.pe annähernd parallelen, breiten Gürtel gewisse Baumformen, die ein
höheres Maß atmosphärischer Feuchtigkeit begehren, als andere; so z. B. östlich
von Weichsel und Dniester die Buche, östlich von den Karpathen und nördlich
vom Kaukasus die Weißtanne.

So hat denn die Ansicht von einer unbedingten Abhängigkeit der Verbrei¬
tung, ja selbst der Entstehung der Organismen von äußeren, zunächst klima¬
tischen Verhältnissen, von der mehrfachen Entstehung der Arten zahlreiche und
eifrige Vertheidiger gefunden. Aber zwei Thatsachen genügen, eine solche Auf¬
fassung als unhaltbar hinzustellen. Die Aehnlichkeit der Vegetation gleicher
oder ähnlicher Klimate beschränkt sich auf den Theil unserer Hemisphäre nörd¬
lich vom Wendekreis des Krebses. Und auch innerhalb dieser Region nimmt
sie nach Süden rasch ab. Schon innerhalb der Tropen ist die Zahl identischer
Formen sehr klein; sie verschwindet so gut wie ganz bei weiterem Vordringen
nach Süden; und nur an den Südspitzen der Continente und auf den ant¬
arktischen Inseln treten wieder gemeinsame Formen auf, gering an Zahl. Dabei
ist das Klima der Pampas, der südafrikanischen Karoo und der Ebenen des
mittleren Australiens so gleichartig, es ist dem der wärmeren Prairien. Arabiens
und Persiens so ähnlich, daß die tief durchgreifende Verschiedenheit der Pflanzen'
decke nicht anders als im höchsten Grade überraschen kaum -- Noch schlagender
ist eine zweite Wahrnehmung. Die Theorie der Abhängigkeit und Bedingt-


amerikanische weiße Fichte noch zu riesiger Größe in einem Winter, dessen mitt¬
lere Temperatur unter — 16" R. liegt; bei einer Kälte von solcher zeitweiliger
Intensität, daß sie das Innere der doppelt mannsdicken Stämme unter den
Gefrierpunkt des Quecksilbers abkühlt (Bourgeau war wochenlang in seinen
Beobachtungen des Standes von Thermometern, welche fußtiefen Bohrlöchern
der Stämme eingefügt und dem directen Einfluß der äußeren Temperatur
thunlichst unzugänglich gemacht waren, durch das Gefrieren der Quecksilbersäule
gehindert); — dafür aber auch bei einer mittleren Sommerwärme von -j- 8" R.
Die Curve dieser Sommertemperatur bezeichnet überhaupt ziemlich genau die
polare Grenze der Wälder, ohne Rücksicht auf die, in den mannigfachsten
Winkeln sie schneidenden Linien verschiedener mittlerer Winterkälte.

In kaum minderer Abhängigkeit stehen die Pflanzen zu dem Feuchtigkeits¬
grade von Boden und Luft. Von der absoluten Vegetationslosigkeit der völlig
regenlosen Gebiete, in denen nur der Hinzutritt von Wasser, gesammelt aus
in weiter Entfernung gefallenen, atmosphärischen Niederschlägen, den Wuchs von
Pflanzen ermöglicht, führen allmälige Uebergänge, je nach dem Maße und der
jährlichen Vertheilung des Negenfalls. durch die Gras- und Kräutersteppen der
wärmeren gemäßigten Zone beider Halbkugeln, die Strauchsteppen (etre Lerub)
Australiens, die offenen Wälder der Ukraine und der Prairienränder zu dem
dicht geschlossenen Waldtaube. Und auch diesem fehlen noch, in einem der
step.pe annähernd parallelen, breiten Gürtel gewisse Baumformen, die ein
höheres Maß atmosphärischer Feuchtigkeit begehren, als andere; so z. B. östlich
von Weichsel und Dniester die Buche, östlich von den Karpathen und nördlich
vom Kaukasus die Weißtanne.

So hat denn die Ansicht von einer unbedingten Abhängigkeit der Verbrei¬
tung, ja selbst der Entstehung der Organismen von äußeren, zunächst klima¬
tischen Verhältnissen, von der mehrfachen Entstehung der Arten zahlreiche und
eifrige Vertheidiger gefunden. Aber zwei Thatsachen genügen, eine solche Auf¬
fassung als unhaltbar hinzustellen. Die Aehnlichkeit der Vegetation gleicher
oder ähnlicher Klimate beschränkt sich auf den Theil unserer Hemisphäre nörd¬
lich vom Wendekreis des Krebses. Und auch innerhalb dieser Region nimmt
sie nach Süden rasch ab. Schon innerhalb der Tropen ist die Zahl identischer
Formen sehr klein; sie verschwindet so gut wie ganz bei weiterem Vordringen
nach Süden; und nur an den Südspitzen der Continente und auf den ant¬
arktischen Inseln treten wieder gemeinsame Formen auf, gering an Zahl. Dabei
ist das Klima der Pampas, der südafrikanischen Karoo und der Ebenen des
mittleren Australiens so gleichartig, es ist dem der wärmeren Prairien. Arabiens
und Persiens so ähnlich, daß die tief durchgreifende Verschiedenheit der Pflanzen'
decke nicht anders als im höchsten Grade überraschen kaum — Noch schlagender
ist eine zweite Wahrnehmung. Die Theorie der Abhängigkeit und Bedingt-


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[0312] amerikanische weiße Fichte noch zu riesiger Größe in einem Winter, dessen mitt¬ lere Temperatur unter — 16" R. liegt; bei einer Kälte von solcher zeitweiliger Intensität, daß sie das Innere der doppelt mannsdicken Stämme unter den Gefrierpunkt des Quecksilbers abkühlt (Bourgeau war wochenlang in seinen Beobachtungen des Standes von Thermometern, welche fußtiefen Bohrlöchern der Stämme eingefügt und dem directen Einfluß der äußeren Temperatur thunlichst unzugänglich gemacht waren, durch das Gefrieren der Quecksilbersäule gehindert); — dafür aber auch bei einer mittleren Sommerwärme von -j- 8" R. Die Curve dieser Sommertemperatur bezeichnet überhaupt ziemlich genau die polare Grenze der Wälder, ohne Rücksicht auf die, in den mannigfachsten Winkeln sie schneidenden Linien verschiedener mittlerer Winterkälte. In kaum minderer Abhängigkeit stehen die Pflanzen zu dem Feuchtigkeits¬ grade von Boden und Luft. Von der absoluten Vegetationslosigkeit der völlig regenlosen Gebiete, in denen nur der Hinzutritt von Wasser, gesammelt aus in weiter Entfernung gefallenen, atmosphärischen Niederschlägen, den Wuchs von Pflanzen ermöglicht, führen allmälige Uebergänge, je nach dem Maße und der jährlichen Vertheilung des Negenfalls. durch die Gras- und Kräutersteppen der wärmeren gemäßigten Zone beider Halbkugeln, die Strauchsteppen (etre Lerub) Australiens, die offenen Wälder der Ukraine und der Prairienränder zu dem dicht geschlossenen Waldtaube. Und auch diesem fehlen noch, in einem der step.pe annähernd parallelen, breiten Gürtel gewisse Baumformen, die ein höheres Maß atmosphärischer Feuchtigkeit begehren, als andere; so z. B. östlich von Weichsel und Dniester die Buche, östlich von den Karpathen und nördlich vom Kaukasus die Weißtanne. So hat denn die Ansicht von einer unbedingten Abhängigkeit der Verbrei¬ tung, ja selbst der Entstehung der Organismen von äußeren, zunächst klima¬ tischen Verhältnissen, von der mehrfachen Entstehung der Arten zahlreiche und eifrige Vertheidiger gefunden. Aber zwei Thatsachen genügen, eine solche Auf¬ fassung als unhaltbar hinzustellen. Die Aehnlichkeit der Vegetation gleicher oder ähnlicher Klimate beschränkt sich auf den Theil unserer Hemisphäre nörd¬ lich vom Wendekreis des Krebses. Und auch innerhalb dieser Region nimmt sie nach Süden rasch ab. Schon innerhalb der Tropen ist die Zahl identischer Formen sehr klein; sie verschwindet so gut wie ganz bei weiterem Vordringen nach Süden; und nur an den Südspitzen der Continente und auf den ant¬ arktischen Inseln treten wieder gemeinsame Formen auf, gering an Zahl. Dabei ist das Klima der Pampas, der südafrikanischen Karoo und der Ebenen des mittleren Australiens so gleichartig, es ist dem der wärmeren Prairien. Arabiens und Persiens so ähnlich, daß die tief durchgreifende Verschiedenheit der Pflanzen' decke nicht anders als im höchsten Grade überraschen kaum — Noch schlagender ist eine zweite Wahrnehmung. Die Theorie der Abhängigkeit und Bedingt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/312>, abgerufen am 27.09.2024.