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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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neu Wohnbezirken zu erklären. Die Pyrenäen, Alpen, Sudeten und Karpathen
haben unter sich, mit den Hochgebirgen Asiens, den arktischen Regionen und
selbst mit den weißen Bergen Nordamerikas eine Anzahl von Pflanzenarten
gemein. Mikroskopische Wasserpflanzen einfacher Organisation sind in den näm¬
lichen Arten in Europa, in Nordamerika und am Cap der guten Hoffnung
heimisch. Wie verlockend ist es nicht, den Grund dieser und vieler ähnlicher
Erscheinungen darin zu suchen, daß unter gleichartigen physikalischen Verhält¬
nissen auch gleichartige Organismen sich ausbildeten. Ist doch die Abhängigkeit
der Existenz der einzelnen Pflanzenarten von klimatischen Bedingungen eine
alltägliche Wahrnehmung. Vor Allem die Abhängigkeit von der Temperatur,
die in sehr mannigfacher Weise sich äußert. Die Pflanzen wärmerer Klimate
sterben bei längerem Verweilen in einer Temperatur, die noch um mehre Grade
über den Gefrierpunkt sich erhebt. Ihre Wurzeln halten unter solchen Um¬
ständen in ihrer Thätigkeit inne. Sie hören auf, den oberirdischen Theilen-'
Flüssigkeit in ausreichender Menge zuzuführen. Die Blätter und Stengel aber
fahren fort, zu verdunsten: die Pflanze verdorrt, selbst bei überreichlichem
Feuchtigkeitsgehalte des Bodens, in dem sie wurzelt. Andere vertragen nicht
den raschen Wechsel einer unter den Gefrierpunkt gesunkenen Temperatur mit
einer höheren. Der Erfrierungstod der Pflanzen ist nicht eine Folge des Er-
starrens der in ihrem Innern enthaltenen Flüssigkeit zu Eis. sondern das Re¬
sultat einer Aenderung der physikalischen Eigenschaften ihrer Membranen, einer
sehr gesteigerten Durchlässigkeit derselben für Flüssigkeit und der Vernichtung
ihrer Spannung, die in Folge des raschen Aufthauens der gefroren gewesenen
Pflanzentheile eintreten (Sachs). Diesen Schädlichkeiten sind Pflanzen eines
rauheren Klimas in dem häufigen Witterungswechsel der Winter ebener Gegen¬
den der milderen gemäßigten Zone mehr ausgesetzt, als in ihrer Heimath.
Einige milde Winterwochcn wecken ihre leicht erregbare Vegetation; der wieder
eintretende Frost bringt die hervorgelockten, des Schutzes der Knospenhüllen
entbehrenden Triebe zum Frieren; das nächste Thauwetter tödtet sie: die ge¬
wöhnliche Todesursache für die, einer dicken Schneedecke gewohnten Alpen-
Pflanzen bei Verpflanzung in tief gelegene Gegenden. Der Verbreitung der
über die winterliche Schneedecke hervorragenden Gewächse, der Bäume, nach den
Polen hin setzt nicht die gesteigerte Winterkälte eine endliche Grenze, sondern
die mangelnde Sommerwärme. Während eines kühlen Sommers erhalten
Zweige und Knospen nicht den Grad der Ausbildung und das Maß des
Schutzes durch einhüllende Gewebe, deren sie bedürfen, um der Einwirkung des
raschen Aufthauens im nächsten Frühlinge zu widerstehen. Island ist waldlos
bei einer mittleren Wintertemperatur von nur -- 4" R-, der freilich auch nur
eine mittlere Sommertemperatur von -i- 4° R. gegenübersteht. Am Sklaven¬
flusse im britischen Nordamerika gedeiht im dichten Nadelholzwald die nord-


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neu Wohnbezirken zu erklären. Die Pyrenäen, Alpen, Sudeten und Karpathen
haben unter sich, mit den Hochgebirgen Asiens, den arktischen Regionen und
selbst mit den weißen Bergen Nordamerikas eine Anzahl von Pflanzenarten
gemein. Mikroskopische Wasserpflanzen einfacher Organisation sind in den näm¬
lichen Arten in Europa, in Nordamerika und am Cap der guten Hoffnung
heimisch. Wie verlockend ist es nicht, den Grund dieser und vieler ähnlicher
Erscheinungen darin zu suchen, daß unter gleichartigen physikalischen Verhält¬
nissen auch gleichartige Organismen sich ausbildeten. Ist doch die Abhängigkeit
der Existenz der einzelnen Pflanzenarten von klimatischen Bedingungen eine
alltägliche Wahrnehmung. Vor Allem die Abhängigkeit von der Temperatur,
die in sehr mannigfacher Weise sich äußert. Die Pflanzen wärmerer Klimate
sterben bei längerem Verweilen in einer Temperatur, die noch um mehre Grade
über den Gefrierpunkt sich erhebt. Ihre Wurzeln halten unter solchen Um¬
ständen in ihrer Thätigkeit inne. Sie hören auf, den oberirdischen Theilen-'
Flüssigkeit in ausreichender Menge zuzuführen. Die Blätter und Stengel aber
fahren fort, zu verdunsten: die Pflanze verdorrt, selbst bei überreichlichem
Feuchtigkeitsgehalte des Bodens, in dem sie wurzelt. Andere vertragen nicht
den raschen Wechsel einer unter den Gefrierpunkt gesunkenen Temperatur mit
einer höheren. Der Erfrierungstod der Pflanzen ist nicht eine Folge des Er-
starrens der in ihrem Innern enthaltenen Flüssigkeit zu Eis. sondern das Re¬
sultat einer Aenderung der physikalischen Eigenschaften ihrer Membranen, einer
sehr gesteigerten Durchlässigkeit derselben für Flüssigkeit und der Vernichtung
ihrer Spannung, die in Folge des raschen Aufthauens der gefroren gewesenen
Pflanzentheile eintreten (Sachs). Diesen Schädlichkeiten sind Pflanzen eines
rauheren Klimas in dem häufigen Witterungswechsel der Winter ebener Gegen¬
den der milderen gemäßigten Zone mehr ausgesetzt, als in ihrer Heimath.
Einige milde Winterwochcn wecken ihre leicht erregbare Vegetation; der wieder
eintretende Frost bringt die hervorgelockten, des Schutzes der Knospenhüllen
entbehrenden Triebe zum Frieren; das nächste Thauwetter tödtet sie: die ge¬
wöhnliche Todesursache für die, einer dicken Schneedecke gewohnten Alpen-
Pflanzen bei Verpflanzung in tief gelegene Gegenden. Der Verbreitung der
über die winterliche Schneedecke hervorragenden Gewächse, der Bäume, nach den
Polen hin setzt nicht die gesteigerte Winterkälte eine endliche Grenze, sondern
die mangelnde Sommerwärme. Während eines kühlen Sommers erhalten
Zweige und Knospen nicht den Grad der Ausbildung und das Maß des
Schutzes durch einhüllende Gewebe, deren sie bedürfen, um der Einwirkung des
raschen Aufthauens im nächsten Frühlinge zu widerstehen. Island ist waldlos
bei einer mittleren Wintertemperatur von nur — 4" R-, der freilich auch nur
eine mittlere Sommertemperatur von -i- 4° R. gegenübersteht. Am Sklaven¬
flusse im britischen Nordamerika gedeiht im dichten Nadelholzwald die nord-


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[0311] neu Wohnbezirken zu erklären. Die Pyrenäen, Alpen, Sudeten und Karpathen haben unter sich, mit den Hochgebirgen Asiens, den arktischen Regionen und selbst mit den weißen Bergen Nordamerikas eine Anzahl von Pflanzenarten gemein. Mikroskopische Wasserpflanzen einfacher Organisation sind in den näm¬ lichen Arten in Europa, in Nordamerika und am Cap der guten Hoffnung heimisch. Wie verlockend ist es nicht, den Grund dieser und vieler ähnlicher Erscheinungen darin zu suchen, daß unter gleichartigen physikalischen Verhält¬ nissen auch gleichartige Organismen sich ausbildeten. Ist doch die Abhängigkeit der Existenz der einzelnen Pflanzenarten von klimatischen Bedingungen eine alltägliche Wahrnehmung. Vor Allem die Abhängigkeit von der Temperatur, die in sehr mannigfacher Weise sich äußert. Die Pflanzen wärmerer Klimate sterben bei längerem Verweilen in einer Temperatur, die noch um mehre Grade über den Gefrierpunkt sich erhebt. Ihre Wurzeln halten unter solchen Um¬ ständen in ihrer Thätigkeit inne. Sie hören auf, den oberirdischen Theilen-' Flüssigkeit in ausreichender Menge zuzuführen. Die Blätter und Stengel aber fahren fort, zu verdunsten: die Pflanze verdorrt, selbst bei überreichlichem Feuchtigkeitsgehalte des Bodens, in dem sie wurzelt. Andere vertragen nicht den raschen Wechsel einer unter den Gefrierpunkt gesunkenen Temperatur mit einer höheren. Der Erfrierungstod der Pflanzen ist nicht eine Folge des Er- starrens der in ihrem Innern enthaltenen Flüssigkeit zu Eis. sondern das Re¬ sultat einer Aenderung der physikalischen Eigenschaften ihrer Membranen, einer sehr gesteigerten Durchlässigkeit derselben für Flüssigkeit und der Vernichtung ihrer Spannung, die in Folge des raschen Aufthauens der gefroren gewesenen Pflanzentheile eintreten (Sachs). Diesen Schädlichkeiten sind Pflanzen eines rauheren Klimas in dem häufigen Witterungswechsel der Winter ebener Gegen¬ den der milderen gemäßigten Zone mehr ausgesetzt, als in ihrer Heimath. Einige milde Winterwochcn wecken ihre leicht erregbare Vegetation; der wieder eintretende Frost bringt die hervorgelockten, des Schutzes der Knospenhüllen entbehrenden Triebe zum Frieren; das nächste Thauwetter tödtet sie: die ge¬ wöhnliche Todesursache für die, einer dicken Schneedecke gewohnten Alpen- Pflanzen bei Verpflanzung in tief gelegene Gegenden. Der Verbreitung der über die winterliche Schneedecke hervorragenden Gewächse, der Bäume, nach den Polen hin setzt nicht die gesteigerte Winterkälte eine endliche Grenze, sondern die mangelnde Sommerwärme. Während eines kühlen Sommers erhalten Zweige und Knospen nicht den Grad der Ausbildung und das Maß des Schutzes durch einhüllende Gewebe, deren sie bedürfen, um der Einwirkung des raschen Aufthauens im nächsten Frühlinge zu widerstehen. Island ist waldlos bei einer mittleren Wintertemperatur von nur — 4" R-, der freilich auch nur eine mittlere Sommertemperatur von -i- 4° R. gegenübersteht. Am Sklaven¬ flusse im britischen Nordamerika gedeiht im dichten Nadelholzwald die nord- 39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/311>, abgerufen am 27.09.2024.