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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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genug Rührigkeit und Suade entwickelt hätten, um für sich und Berlin den
Sitz des Ccntralcomitvs zu erhalten, so wurde die Versammlung ohne besondere
Mühe bewogen, das leipziger Conn6 anzuerkennen und ihm sämmtliche Ge¬
schäfte bezüglich des Congresses in die Hand zu legen.

In derselben Versammlung sprach Schulze-Delitzsch, von der ungeheuren
Mehrzahl als altbewährter Freund stürmisch empfangen, und legte den Arbei¬
tern an das Herz, sich mit dem Kongreß Zeit zu lassen und die bedeutungsvollen
Fragen erst gründlich durchzuarbeiten. Man dürfe nicht ohne ganz gründliche
Unterlagen vor einen Kongreß treten, und die Arbeiter seien wohl in den
großen Städten, aber in den meisten kleineren Orten solcher Aufgabe nicht
gewachsen. Vor dem Kongreß müsse man allerwärts belehrende Vorträge hal¬
ten, wozu er sich für Berlin erbiete, so wie zur Bearbeitung eines Statuts
für Invaliden- und Vcrsorgungskassen. Wer in Wahrheit den Fortschritt wolle,
der müsse ihn in Beförderung der Humanität, der Bildung und der Wohl¬
habenheit unter den arbeitenden Classen suchen, und wer dies thue, dem sollen
sich die Arbeiter anschließen. Dies würde aber immer die Partei sein, die den
politischen Fortschritt wolle.

Diese Mahnung aus dem Munde des wohlbekannten getreuen Arbeiter-
freundes, dessen ernstes Streben Tausenden im deutschen Vaterlande zu gut ge¬
kommen ist, hat ein weit hallendes Echo in den Herzen deutscher Arbeiter ge¬
sunden; den leitenden Persönlichkeiten des leipziger Comites dagegen, welche
durchaus eine Arbeiterbewegung nach ihren Ansichten haben mußten, konnte
sie natürlich nicht passen.

Man ging nun in Leipzig an die Vorberathungen wegen des Congresses,
nachdem auch die Nürnberger sich gefügt hatten. Das Comite verstärkte sich
durch einige Vertrauensmänner, Prof. Roßmäßler, Abo. Winter und Dr. Albrecht.
Ein Aufruf erging an sämmtliche deutsche Arbeiter, welcher zur Bildung von
Localcomit6s aufforderte und den letzteren empfahl, im Anschluß an das in
Berlin angenommene Programm, welches namentlich Gewerbefreiheit, Frei¬
zügigkeit, Associationen und Altersversorgungskassen zur besonderen Berücksich¬
tigung vorschlägt, durch Vorträge und Berathungen das Interesse an der Arbeiter¬
frage anzuregen und zu erhalten. Diese Comites sollten an das leipziger Central-
comit6 bis Mitte Februar 1863 Berichte über ihre Thätigkeit und die Ergebnisse
ihrer Vorarbeiten einsenden. Außerdem enthielt der Aufruf die Aufforderung,
überall Kassen zu bilden, um die großen umfangreichen Vorarbeiten für den
Arbeitercongreß ohne persönliche Opfer für die Beauftragten bewältigen zu
können.

So hatte denn die Arbeiterangelegenheit, wenn auch diejenigen, welche in
Berlin und Leipzig die Dinge in die Hand genommen, sie sich gewissermaßen
selbst und ohne eigentliches Mandat zurecht gelegt hatten, immerhin ein ge-


genug Rührigkeit und Suade entwickelt hätten, um für sich und Berlin den
Sitz des Ccntralcomitvs zu erhalten, so wurde die Versammlung ohne besondere
Mühe bewogen, das leipziger Conn6 anzuerkennen und ihm sämmtliche Ge¬
schäfte bezüglich des Congresses in die Hand zu legen.

In derselben Versammlung sprach Schulze-Delitzsch, von der ungeheuren
Mehrzahl als altbewährter Freund stürmisch empfangen, und legte den Arbei¬
tern an das Herz, sich mit dem Kongreß Zeit zu lassen und die bedeutungsvollen
Fragen erst gründlich durchzuarbeiten. Man dürfe nicht ohne ganz gründliche
Unterlagen vor einen Kongreß treten, und die Arbeiter seien wohl in den
großen Städten, aber in den meisten kleineren Orten solcher Aufgabe nicht
gewachsen. Vor dem Kongreß müsse man allerwärts belehrende Vorträge hal¬
ten, wozu er sich für Berlin erbiete, so wie zur Bearbeitung eines Statuts
für Invaliden- und Vcrsorgungskassen. Wer in Wahrheit den Fortschritt wolle,
der müsse ihn in Beförderung der Humanität, der Bildung und der Wohl¬
habenheit unter den arbeitenden Classen suchen, und wer dies thue, dem sollen
sich die Arbeiter anschließen. Dies würde aber immer die Partei sein, die den
politischen Fortschritt wolle.

Diese Mahnung aus dem Munde des wohlbekannten getreuen Arbeiter-
freundes, dessen ernstes Streben Tausenden im deutschen Vaterlande zu gut ge¬
kommen ist, hat ein weit hallendes Echo in den Herzen deutscher Arbeiter ge¬
sunden; den leitenden Persönlichkeiten des leipziger Comites dagegen, welche
durchaus eine Arbeiterbewegung nach ihren Ansichten haben mußten, konnte
sie natürlich nicht passen.

Man ging nun in Leipzig an die Vorberathungen wegen des Congresses,
nachdem auch die Nürnberger sich gefügt hatten. Das Comite verstärkte sich
durch einige Vertrauensmänner, Prof. Roßmäßler, Abo. Winter und Dr. Albrecht.
Ein Aufruf erging an sämmtliche deutsche Arbeiter, welcher zur Bildung von
Localcomit6s aufforderte und den letzteren empfahl, im Anschluß an das in
Berlin angenommene Programm, welches namentlich Gewerbefreiheit, Frei¬
zügigkeit, Associationen und Altersversorgungskassen zur besonderen Berücksich¬
tigung vorschlägt, durch Vorträge und Berathungen das Interesse an der Arbeiter¬
frage anzuregen und zu erhalten. Diese Comites sollten an das leipziger Central-
comit6 bis Mitte Februar 1863 Berichte über ihre Thätigkeit und die Ergebnisse
ihrer Vorarbeiten einsenden. Außerdem enthielt der Aufruf die Aufforderung,
überall Kassen zu bilden, um die großen umfangreichen Vorarbeiten für den
Arbeitercongreß ohne persönliche Opfer für die Beauftragten bewältigen zu
können.

So hatte denn die Arbeiterangelegenheit, wenn auch diejenigen, welche in
Berlin und Leipzig die Dinge in die Hand genommen, sie sich gewissermaßen
selbst und ohne eigentliches Mandat zurecht gelegt hatten, immerhin ein ge-


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[0296] genug Rührigkeit und Suade entwickelt hätten, um für sich und Berlin den Sitz des Ccntralcomitvs zu erhalten, so wurde die Versammlung ohne besondere Mühe bewogen, das leipziger Conn6 anzuerkennen und ihm sämmtliche Ge¬ schäfte bezüglich des Congresses in die Hand zu legen. In derselben Versammlung sprach Schulze-Delitzsch, von der ungeheuren Mehrzahl als altbewährter Freund stürmisch empfangen, und legte den Arbei¬ tern an das Herz, sich mit dem Kongreß Zeit zu lassen und die bedeutungsvollen Fragen erst gründlich durchzuarbeiten. Man dürfe nicht ohne ganz gründliche Unterlagen vor einen Kongreß treten, und die Arbeiter seien wohl in den großen Städten, aber in den meisten kleineren Orten solcher Aufgabe nicht gewachsen. Vor dem Kongreß müsse man allerwärts belehrende Vorträge hal¬ ten, wozu er sich für Berlin erbiete, so wie zur Bearbeitung eines Statuts für Invaliden- und Vcrsorgungskassen. Wer in Wahrheit den Fortschritt wolle, der müsse ihn in Beförderung der Humanität, der Bildung und der Wohl¬ habenheit unter den arbeitenden Classen suchen, und wer dies thue, dem sollen sich die Arbeiter anschließen. Dies würde aber immer die Partei sein, die den politischen Fortschritt wolle. Diese Mahnung aus dem Munde des wohlbekannten getreuen Arbeiter- freundes, dessen ernstes Streben Tausenden im deutschen Vaterlande zu gut ge¬ kommen ist, hat ein weit hallendes Echo in den Herzen deutscher Arbeiter ge¬ sunden; den leitenden Persönlichkeiten des leipziger Comites dagegen, welche durchaus eine Arbeiterbewegung nach ihren Ansichten haben mußten, konnte sie natürlich nicht passen. Man ging nun in Leipzig an die Vorberathungen wegen des Congresses, nachdem auch die Nürnberger sich gefügt hatten. Das Comite verstärkte sich durch einige Vertrauensmänner, Prof. Roßmäßler, Abo. Winter und Dr. Albrecht. Ein Aufruf erging an sämmtliche deutsche Arbeiter, welcher zur Bildung von Localcomit6s aufforderte und den letzteren empfahl, im Anschluß an das in Berlin angenommene Programm, welches namentlich Gewerbefreiheit, Frei¬ zügigkeit, Associationen und Altersversorgungskassen zur besonderen Berücksich¬ tigung vorschlägt, durch Vorträge und Berathungen das Interesse an der Arbeiter¬ frage anzuregen und zu erhalten. Diese Comites sollten an das leipziger Central- comit6 bis Mitte Februar 1863 Berichte über ihre Thätigkeit und die Ergebnisse ihrer Vorarbeiten einsenden. Außerdem enthielt der Aufruf die Aufforderung, überall Kassen zu bilden, um die großen umfangreichen Vorarbeiten für den Arbeitercongreß ohne persönliche Opfer für die Beauftragten bewältigen zu können. So hatte denn die Arbeiterangelegenheit, wenn auch diejenigen, welche in Berlin und Leipzig die Dinge in die Hand genommen, sie sich gewissermaßen selbst und ohne eigentliches Mandat zurecht gelegt hatten, immerhin ein ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/296>, abgerufen am 27.09.2024.