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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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befürchten ließ, daß die kaum gepflückte Frucht verloren gehen könnte. Sodann
aber brauchten jene mehr Spielraum für den Flügelschlag ihres Selbstgefühls,
mehr Einfluß und mehr Anhang, als der kleine Verein von ungefähr zweihun¬
dert Bätgliedern zu bieten hatte. Wie gerufen kamen daher die Aufforderungen
von Berlin und Nürnberg, und ohne Verzug faßte man den Entschluß, beiden
Städten die Sache womöglich aus den Händen zu winden und sie in dem
eigenen Nutzen zu verwenden. Seit dem Jahre 1849 zum ersten Male wieder
fand in Leipzig eine Arbeiterversammlung statt, bei welcher der Schuhmacher
Vahlteich präsidirte, dessen Name noch heute an der Spitze der Arbeiterbewe¬
gung in Leipzig steht. An der Versammlung betheiligten sich außer einer großen
Anzahl Arbeiter und Bürger aller Elassen auch mehre Mitglieder des Nativnal-
vereins. Die beiden Hauptgegeusiände der Verhandlung waren die Mittheilung
des Beschlusses der berliner Arbeiterversammlung wegen Zusammentritts eines
Kongresses, und der Antrag, eine Resolution zu fassen, daß es dringend ge-
boten sei, daß der Nationalverein seinen Jahresbeitrag ermäßige und die Ein¬
zahlung desselben anders einrichte, damit den Arbeitern der Beitritt erleichtert
werde. Herr Vahlteich erklärte, daß das Gerücht gehe, der Nationalverein be¬
trachte die Arbeiter als seine letzte Hilfe, möge sie indessen nicht in seinen
Reihen sehen- Er bemerke, daß sich der Arbeiterstand hierzu nicht hergeben
werde, und denke man gar an gewaltsames Umstürzen, so sei das nicht mehr
an der Zeit und nur ein geistiger Kampf für Recht und Wahrheit geboten.

Von den anwesenden Mitgliedern des Nationalvcrcins wurde derselbe ver¬
theidigt und der Wunsch ausgesprochen, daß die Beiträge durch die bevorstehende >
Generalversammlung des Nativnalvereins ermäßigt werden möchten.

Dem Beschluß der berliner Arbeiter beschloß man beizutreten, und es
wurde der Antrag angenommen, ein Comitö zu wählen, welches die nöthigen
Schritte zur Verwirklichung des in Rede stehenden Planes thun sollte. Man
wählte durch Acclamation die Veranstalter der Versammlung als -Comite der
Arbeiter Leipzigs, und dieses Comite: wieder wählte zu seinem Vorsitzenden
Herrn Vahlteich.

Der erste weitere öffentliche Schritt war eine Bekanntmachung des Comites
vom 17. October, daß es beschlossen habe, in Nürnberg auf Vertagung des
Kongresses deutscher Arbeiter bis zum Februar 1863, sowie auf Zurücknahme
des von dort ergangenen Aufrufes anzutragen, ferner die deutschen Arbeiter
aufzufordern, sich über einen Congrcßort zu einigen, endlich den Vorschlag des
berliner Comites, Leipzig als Zusammenkunftsort zu wählen, zu unterstützen.

Nicht öffentlich wurden von Seiten des Comites Verhandlungen mit Berlin
angeknüpft, bei denen es sich vor Allem darum handelte, die Angelegenheit
in der Hauptsache in die Hände der leipziger Führer hinüberzuspielen. Herr
Eichler kam nach Leipzig zu einer Comitösitzung. vor ihm trafen indessen Nach-


befürchten ließ, daß die kaum gepflückte Frucht verloren gehen könnte. Sodann
aber brauchten jene mehr Spielraum für den Flügelschlag ihres Selbstgefühls,
mehr Einfluß und mehr Anhang, als der kleine Verein von ungefähr zweihun¬
dert Bätgliedern zu bieten hatte. Wie gerufen kamen daher die Aufforderungen
von Berlin und Nürnberg, und ohne Verzug faßte man den Entschluß, beiden
Städten die Sache womöglich aus den Händen zu winden und sie in dem
eigenen Nutzen zu verwenden. Seit dem Jahre 1849 zum ersten Male wieder
fand in Leipzig eine Arbeiterversammlung statt, bei welcher der Schuhmacher
Vahlteich präsidirte, dessen Name noch heute an der Spitze der Arbeiterbewe¬
gung in Leipzig steht. An der Versammlung betheiligten sich außer einer großen
Anzahl Arbeiter und Bürger aller Elassen auch mehre Mitglieder des Nativnal-
vereins. Die beiden Hauptgegeusiände der Verhandlung waren die Mittheilung
des Beschlusses der berliner Arbeiterversammlung wegen Zusammentritts eines
Kongresses, und der Antrag, eine Resolution zu fassen, daß es dringend ge-
boten sei, daß der Nationalverein seinen Jahresbeitrag ermäßige und die Ein¬
zahlung desselben anders einrichte, damit den Arbeitern der Beitritt erleichtert
werde. Herr Vahlteich erklärte, daß das Gerücht gehe, der Nationalverein be¬
trachte die Arbeiter als seine letzte Hilfe, möge sie indessen nicht in seinen
Reihen sehen- Er bemerke, daß sich der Arbeiterstand hierzu nicht hergeben
werde, und denke man gar an gewaltsames Umstürzen, so sei das nicht mehr
an der Zeit und nur ein geistiger Kampf für Recht und Wahrheit geboten.

Von den anwesenden Mitgliedern des Nationalvcrcins wurde derselbe ver¬
theidigt und der Wunsch ausgesprochen, daß die Beiträge durch die bevorstehende >
Generalversammlung des Nativnalvereins ermäßigt werden möchten.

Dem Beschluß der berliner Arbeiter beschloß man beizutreten, und es
wurde der Antrag angenommen, ein Comitö zu wählen, welches die nöthigen
Schritte zur Verwirklichung des in Rede stehenden Planes thun sollte. Man
wählte durch Acclamation die Veranstalter der Versammlung als -Comite der
Arbeiter Leipzigs, und dieses Comite: wieder wählte zu seinem Vorsitzenden
Herrn Vahlteich.

Der erste weitere öffentliche Schritt war eine Bekanntmachung des Comites
vom 17. October, daß es beschlossen habe, in Nürnberg auf Vertagung des
Kongresses deutscher Arbeiter bis zum Februar 1863, sowie auf Zurücknahme
des von dort ergangenen Aufrufes anzutragen, ferner die deutschen Arbeiter
aufzufordern, sich über einen Congrcßort zu einigen, endlich den Vorschlag des
berliner Comites, Leipzig als Zusammenkunftsort zu wählen, zu unterstützen.

Nicht öffentlich wurden von Seiten des Comites Verhandlungen mit Berlin
angeknüpft, bei denen es sich vor Allem darum handelte, die Angelegenheit
in der Hauptsache in die Hände der leipziger Führer hinüberzuspielen. Herr
Eichler kam nach Leipzig zu einer Comitösitzung. vor ihm trafen indessen Nach-


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[0292] befürchten ließ, daß die kaum gepflückte Frucht verloren gehen könnte. Sodann aber brauchten jene mehr Spielraum für den Flügelschlag ihres Selbstgefühls, mehr Einfluß und mehr Anhang, als der kleine Verein von ungefähr zweihun¬ dert Bätgliedern zu bieten hatte. Wie gerufen kamen daher die Aufforderungen von Berlin und Nürnberg, und ohne Verzug faßte man den Entschluß, beiden Städten die Sache womöglich aus den Händen zu winden und sie in dem eigenen Nutzen zu verwenden. Seit dem Jahre 1849 zum ersten Male wieder fand in Leipzig eine Arbeiterversammlung statt, bei welcher der Schuhmacher Vahlteich präsidirte, dessen Name noch heute an der Spitze der Arbeiterbewe¬ gung in Leipzig steht. An der Versammlung betheiligten sich außer einer großen Anzahl Arbeiter und Bürger aller Elassen auch mehre Mitglieder des Nativnal- vereins. Die beiden Hauptgegeusiände der Verhandlung waren die Mittheilung des Beschlusses der berliner Arbeiterversammlung wegen Zusammentritts eines Kongresses, und der Antrag, eine Resolution zu fassen, daß es dringend ge- boten sei, daß der Nationalverein seinen Jahresbeitrag ermäßige und die Ein¬ zahlung desselben anders einrichte, damit den Arbeitern der Beitritt erleichtert werde. Herr Vahlteich erklärte, daß das Gerücht gehe, der Nationalverein be¬ trachte die Arbeiter als seine letzte Hilfe, möge sie indessen nicht in seinen Reihen sehen- Er bemerke, daß sich der Arbeiterstand hierzu nicht hergeben werde, und denke man gar an gewaltsames Umstürzen, so sei das nicht mehr an der Zeit und nur ein geistiger Kampf für Recht und Wahrheit geboten. Von den anwesenden Mitgliedern des Nationalvcrcins wurde derselbe ver¬ theidigt und der Wunsch ausgesprochen, daß die Beiträge durch die bevorstehende > Generalversammlung des Nativnalvereins ermäßigt werden möchten. Dem Beschluß der berliner Arbeiter beschloß man beizutreten, und es wurde der Antrag angenommen, ein Comitö zu wählen, welches die nöthigen Schritte zur Verwirklichung des in Rede stehenden Planes thun sollte. Man wählte durch Acclamation die Veranstalter der Versammlung als -Comite der Arbeiter Leipzigs, und dieses Comite: wieder wählte zu seinem Vorsitzenden Herrn Vahlteich. Der erste weitere öffentliche Schritt war eine Bekanntmachung des Comites vom 17. October, daß es beschlossen habe, in Nürnberg auf Vertagung des Kongresses deutscher Arbeiter bis zum Februar 1863, sowie auf Zurücknahme des von dort ergangenen Aufrufes anzutragen, ferner die deutschen Arbeiter aufzufordern, sich über einen Congrcßort zu einigen, endlich den Vorschlag des berliner Comites, Leipzig als Zusammenkunftsort zu wählen, zu unterstützen. Nicht öffentlich wurden von Seiten des Comites Verhandlungen mit Berlin angeknüpft, bei denen es sich vor Allem darum handelte, die Angelegenheit in der Hauptsache in die Hände der leipziger Führer hinüberzuspielen. Herr Eichler kam nach Leipzig zu einer Comitösitzung. vor ihm trafen indessen Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/292>, abgerufen am 27.09.2024.