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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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ruf an sämmtliche deutsche Arbeiter vor, der zur Beschickung des Kongresses
aufforderte und in Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, Altersversorgungskassen, Ge-
wcrbeausstellung in Berlin und Bericht über die londoner Industrieausstel¬
lung die Gegenstände der Beratlmngen desselben aufzählte. Der Kongreß
sollte vom 18.-- 25. November 1862 in Leipzig abgehalten werden, und
das Comite erhielt die Genehmigung hierzu von der sächsischen Regierung.
Der Plan stieß indeß auf Widerstand. Zunächst in Nürnberg, wo man auf
die Kunde davon sofort einen solchen Kongreß auf den 1. November berief, der
in jener alten Reichsstadt selbst tagen, und auf welchem über Gewerbefreiheit,
Errichtung eines allgemeinen deutschen Altcrsversorgungsvereincs für Arbeiter
und über die Frage "welches ist die Ausgabe der Arbeiter gegenüber den be¬
stehenden Verhältnissen?" berathen werden sollte.

In Leipzig fand die Nachruht vsu dem berliner Gedanken andere Verhält¬
nisse und andere Leute vor. Die Arbeiter Leipzigs haben unter sich sehr tüchtige
Kräfte und namentlich solche, die des Wortes in nicht gewöhnlichem Maße
mächtig sind. Das Streben sich zu Vereinen zusammenzuschließen wurde lange
Zeit durch die vielfachen Schwierigkeiten verhindert, welche von Seiten der
Regierung erhoben wurden. Endlich gelang die Gründung eines Bildungs¬
vereines, und mit ihr begann eine Zeit der Gährung und Läuterung, infolge
deren sich Gegensätze entwickelten, die sich schwer vereinigen ließen und die in
der Mitte vorigen Jahres zum Austritt einer Anzahl von Mitgliedern und
zur Bildung eines zweiten Vereins führten. Der bestehende gewerbliche Bil-
dungsvercin hat nachträglich seine Wandelungen in sich fortgesetzt, und die
Persönlichkeiten, welche bei der erwähnten Trennung an der Spitze standen,
sind ebenfalls bei Seite getreten, so daß der Verein nun aus einem Mittel
der Kräfte und Ansichten besteht, die sich früher gegenübeistanden. Außer
diesen beiden Vereinen bildete sich ein dritter, welcher sich ausschließlich aus
den in Leipzig so stark vertretenen Gewerbsgenossen der Buchdrucker rekrutirt.

Die damals aus dem gewerblichen Bildungsverein ausgetretenen Mit¬
glieder sind heute in ihren Ansichten weit auseinandergegangen. Das Feld,
auf dem sie damals gemeinschaftlich wirkten, war das der Ärbciterbildungs-
vereine, und dieses ist heute von den Anhängern Lassalles vollständig verlassen,
ja die Betheiligung an diesen Vereinen würde von den Hauptführern jener
Partei sicher als eine Jugendthorheit bezeichnet werden, wenn sie alt genug
wären, um von solchen Sünden sprechen zu dürfen.

Was schon damals bei diesen jungen Herren an den Tag trat, daß sie
unter allen Umständen gar zu gern an der Spitze des Vereines gestanden hätten,
bewahrheitete sich im Verlaufe der Zeit entschieden. Sie gründeten jenen zweiten
Verein und waren nun vorläufig an ihrem Ziele. Allein Ehrgeiz macht her¬
risch, und so bildete sich in dem neuen Vereine ziemlich bald Opposition, die


ruf an sämmtliche deutsche Arbeiter vor, der zur Beschickung des Kongresses
aufforderte und in Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, Altersversorgungskassen, Ge-
wcrbeausstellung in Berlin und Bericht über die londoner Industrieausstel¬
lung die Gegenstände der Beratlmngen desselben aufzählte. Der Kongreß
sollte vom 18.— 25. November 1862 in Leipzig abgehalten werden, und
das Comite erhielt die Genehmigung hierzu von der sächsischen Regierung.
Der Plan stieß indeß auf Widerstand. Zunächst in Nürnberg, wo man auf
die Kunde davon sofort einen solchen Kongreß auf den 1. November berief, der
in jener alten Reichsstadt selbst tagen, und auf welchem über Gewerbefreiheit,
Errichtung eines allgemeinen deutschen Altcrsversorgungsvereincs für Arbeiter
und über die Frage „welches ist die Ausgabe der Arbeiter gegenüber den be¬
stehenden Verhältnissen?" berathen werden sollte.

In Leipzig fand die Nachruht vsu dem berliner Gedanken andere Verhält¬
nisse und andere Leute vor. Die Arbeiter Leipzigs haben unter sich sehr tüchtige
Kräfte und namentlich solche, die des Wortes in nicht gewöhnlichem Maße
mächtig sind. Das Streben sich zu Vereinen zusammenzuschließen wurde lange
Zeit durch die vielfachen Schwierigkeiten verhindert, welche von Seiten der
Regierung erhoben wurden. Endlich gelang die Gründung eines Bildungs¬
vereines, und mit ihr begann eine Zeit der Gährung und Läuterung, infolge
deren sich Gegensätze entwickelten, die sich schwer vereinigen ließen und die in
der Mitte vorigen Jahres zum Austritt einer Anzahl von Mitgliedern und
zur Bildung eines zweiten Vereins führten. Der bestehende gewerbliche Bil-
dungsvercin hat nachträglich seine Wandelungen in sich fortgesetzt, und die
Persönlichkeiten, welche bei der erwähnten Trennung an der Spitze standen,
sind ebenfalls bei Seite getreten, so daß der Verein nun aus einem Mittel
der Kräfte und Ansichten besteht, die sich früher gegenübeistanden. Außer
diesen beiden Vereinen bildete sich ein dritter, welcher sich ausschließlich aus
den in Leipzig so stark vertretenen Gewerbsgenossen der Buchdrucker rekrutirt.

Die damals aus dem gewerblichen Bildungsverein ausgetretenen Mit¬
glieder sind heute in ihren Ansichten weit auseinandergegangen. Das Feld,
auf dem sie damals gemeinschaftlich wirkten, war das der Ärbciterbildungs-
vereine, und dieses ist heute von den Anhängern Lassalles vollständig verlassen,
ja die Betheiligung an diesen Vereinen würde von den Hauptführern jener
Partei sicher als eine Jugendthorheit bezeichnet werden, wenn sie alt genug
wären, um von solchen Sünden sprechen zu dürfen.

Was schon damals bei diesen jungen Herren an den Tag trat, daß sie
unter allen Umständen gar zu gern an der Spitze des Vereines gestanden hätten,
bewahrheitete sich im Verlaufe der Zeit entschieden. Sie gründeten jenen zweiten
Verein und waren nun vorläufig an ihrem Ziele. Allein Ehrgeiz macht her¬
risch, und so bildete sich in dem neuen Vereine ziemlich bald Opposition, die


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[0291] ruf an sämmtliche deutsche Arbeiter vor, der zur Beschickung des Kongresses aufforderte und in Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, Altersversorgungskassen, Ge- wcrbeausstellung in Berlin und Bericht über die londoner Industrieausstel¬ lung die Gegenstände der Beratlmngen desselben aufzählte. Der Kongreß sollte vom 18.— 25. November 1862 in Leipzig abgehalten werden, und das Comite erhielt die Genehmigung hierzu von der sächsischen Regierung. Der Plan stieß indeß auf Widerstand. Zunächst in Nürnberg, wo man auf die Kunde davon sofort einen solchen Kongreß auf den 1. November berief, der in jener alten Reichsstadt selbst tagen, und auf welchem über Gewerbefreiheit, Errichtung eines allgemeinen deutschen Altcrsversorgungsvereincs für Arbeiter und über die Frage „welches ist die Ausgabe der Arbeiter gegenüber den be¬ stehenden Verhältnissen?" berathen werden sollte. In Leipzig fand die Nachruht vsu dem berliner Gedanken andere Verhält¬ nisse und andere Leute vor. Die Arbeiter Leipzigs haben unter sich sehr tüchtige Kräfte und namentlich solche, die des Wortes in nicht gewöhnlichem Maße mächtig sind. Das Streben sich zu Vereinen zusammenzuschließen wurde lange Zeit durch die vielfachen Schwierigkeiten verhindert, welche von Seiten der Regierung erhoben wurden. Endlich gelang die Gründung eines Bildungs¬ vereines, und mit ihr begann eine Zeit der Gährung und Läuterung, infolge deren sich Gegensätze entwickelten, die sich schwer vereinigen ließen und die in der Mitte vorigen Jahres zum Austritt einer Anzahl von Mitgliedern und zur Bildung eines zweiten Vereins führten. Der bestehende gewerbliche Bil- dungsvercin hat nachträglich seine Wandelungen in sich fortgesetzt, und die Persönlichkeiten, welche bei der erwähnten Trennung an der Spitze standen, sind ebenfalls bei Seite getreten, so daß der Verein nun aus einem Mittel der Kräfte und Ansichten besteht, die sich früher gegenübeistanden. Außer diesen beiden Vereinen bildete sich ein dritter, welcher sich ausschließlich aus den in Leipzig so stark vertretenen Gewerbsgenossen der Buchdrucker rekrutirt. Die damals aus dem gewerblichen Bildungsverein ausgetretenen Mit¬ glieder sind heute in ihren Ansichten weit auseinandergegangen. Das Feld, auf dem sie damals gemeinschaftlich wirkten, war das der Ärbciterbildungs- vereine, und dieses ist heute von den Anhängern Lassalles vollständig verlassen, ja die Betheiligung an diesen Vereinen würde von den Hauptführern jener Partei sicher als eine Jugendthorheit bezeichnet werden, wenn sie alt genug wären, um von solchen Sünden sprechen zu dürfen. Was schon damals bei diesen jungen Herren an den Tag trat, daß sie unter allen Umständen gar zu gern an der Spitze des Vereines gestanden hätten, bewahrheitete sich im Verlaufe der Zeit entschieden. Sie gründeten jenen zweiten Verein und waren nun vorläufig an ihrem Ziele. Allein Ehrgeiz macht her¬ risch, und so bildete sich in dem neuen Vereine ziemlich bald Opposition, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/291>, abgerufen am 27.09.2024.