Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

angestrebt wurde, was nicht recht bedacht und nicht an der Zeit war. so brachte
doch überall der gesunde Sinn der großen Masse der Betheiligten den momen¬
tan gestörten Gang bald wieder in das rechte Geleis, Die Gesammtentwickelung
der sämmtlichen Pereine ging erfolgreich vorwärts, und mit ihr bildete sich in
ganz Deutschland bei dem immer reger werdenden politischen Leben auch unter
den Arbeitern ein starkes Contingent für die liberale Partei aus -- eine Zu¬
sammengehörigkeit dieser Partei und der Arbeitervereine, die von keiner Seile
irgend einem Zweifel unterlag.

So standen die Dinge bis zum vergangenen Herbste. Wenn auch die
Arbeitervereine keineswegs als politische Clubs aufzutreten gemeint waren, so
erscholl doch aus ihrer Mitte überall der Ruf freudiger Zustimmung, als sich
die große folgenreiche Einigung der liberalen Parteien im preußischen Abgeord-
netenhause vollzog, und im Großen und Ganzen hat dieses Verhältniß sich
auch heute nicht geändert. Wenn aus einem halben Dutzend Vereinen das
Kriegsgeschrei "hie Lassalle!" ertönt, so klingt ihm aus Hunderten und aber
Hunderten der Ruf "hie Schulze-Delitzsch" entgegen, der einerseits den Sym¬
pathien für eine ruhige, vernunftgemäße Entwickelung ihrer wirthschaftlichen An¬
gelegenheiten Ausdruck gibt, anderseits das Glaubensbekenntniß der nationa¬
len Fortschrittspartei in sich schließt.

Fragen wir nach dem Anstoß ;n der Arbeiterbewegung neuen Stiles, die
beiläufig ihren Höhepunkt wohl schon überschritten hat, so liegt zunächst auf
der Hand, daß die Leiter und Veranstalter der Sache durchaus nicht nach einem
klar gefaßten Plane handelten. Einmal hat sich der ursprünglich ausgespro¬
chene Zweck der Bewegung im Laufe weniger Wochen völlig verändert, und
anderseits haben die Führer in derselben Zeit durchweg andere Ansichten über
ihre Stellung zu den politischen Vorgängen und Parteien gewonnen. Was sie
bewegte, war die Empfindung, daß sie zu der Arbeit, die ihnen Geburt und
Erziehung, vielleicht auch frühere Neigung angewiesen hatten, wenig, desto mehr
aber für die Thätigkeit von Volksrednern paßten, und die Bemerkung, daß die
Gegenwart einem Uevertritt aus jenem Kreise in diesen günstige Aussichten bot.

Eine andere Triebfeder war offenbar der mit jener Ueberzeugung, zu Besse¬
rem als bloßer Handarbeit geartet zu sein, verwandte persönliche Ehrgeiz, ein
Fehler, der nur zu häusig bei Leuten, die sich dem öffentlichen Leben widmen,
anzutreffen ist. Diese kleinliche Eitelkeit, die sich überall vordrängt, sich für
unfehlbar hält, bei jedem auftauchenden Bestreben das Wort ergreift und an
die Spitze tritt, und wo keine Bewegung in Stadt oder Staat eMrt. eine
schafft, lediglich um zu Präsidiren, sich selbst reden zu hören, maßgebend zu
sein, ist eine der ärgsten Feindinnen unsres politischen Lebens, eine der
häufigsten Ursachen unsrer Parteizerklüftung, und sie hat nun auch unter den
Arbeitern Zwiespalt und Schaden angerichtet.


angestrebt wurde, was nicht recht bedacht und nicht an der Zeit war. so brachte
doch überall der gesunde Sinn der großen Masse der Betheiligten den momen¬
tan gestörten Gang bald wieder in das rechte Geleis, Die Gesammtentwickelung
der sämmtlichen Pereine ging erfolgreich vorwärts, und mit ihr bildete sich in
ganz Deutschland bei dem immer reger werdenden politischen Leben auch unter
den Arbeitern ein starkes Contingent für die liberale Partei aus — eine Zu¬
sammengehörigkeit dieser Partei und der Arbeitervereine, die von keiner Seile
irgend einem Zweifel unterlag.

So standen die Dinge bis zum vergangenen Herbste. Wenn auch die
Arbeitervereine keineswegs als politische Clubs aufzutreten gemeint waren, so
erscholl doch aus ihrer Mitte überall der Ruf freudiger Zustimmung, als sich
die große folgenreiche Einigung der liberalen Parteien im preußischen Abgeord-
netenhause vollzog, und im Großen und Ganzen hat dieses Verhältniß sich
auch heute nicht geändert. Wenn aus einem halben Dutzend Vereinen das
Kriegsgeschrei „hie Lassalle!" ertönt, so klingt ihm aus Hunderten und aber
Hunderten der Ruf „hie Schulze-Delitzsch" entgegen, der einerseits den Sym¬
pathien für eine ruhige, vernunftgemäße Entwickelung ihrer wirthschaftlichen An¬
gelegenheiten Ausdruck gibt, anderseits das Glaubensbekenntniß der nationa¬
len Fortschrittspartei in sich schließt.

Fragen wir nach dem Anstoß ;n der Arbeiterbewegung neuen Stiles, die
beiläufig ihren Höhepunkt wohl schon überschritten hat, so liegt zunächst auf
der Hand, daß die Leiter und Veranstalter der Sache durchaus nicht nach einem
klar gefaßten Plane handelten. Einmal hat sich der ursprünglich ausgespro¬
chene Zweck der Bewegung im Laufe weniger Wochen völlig verändert, und
anderseits haben die Führer in derselben Zeit durchweg andere Ansichten über
ihre Stellung zu den politischen Vorgängen und Parteien gewonnen. Was sie
bewegte, war die Empfindung, daß sie zu der Arbeit, die ihnen Geburt und
Erziehung, vielleicht auch frühere Neigung angewiesen hatten, wenig, desto mehr
aber für die Thätigkeit von Volksrednern paßten, und die Bemerkung, daß die
Gegenwart einem Uevertritt aus jenem Kreise in diesen günstige Aussichten bot.

Eine andere Triebfeder war offenbar der mit jener Ueberzeugung, zu Besse¬
rem als bloßer Handarbeit geartet zu sein, verwandte persönliche Ehrgeiz, ein
Fehler, der nur zu häusig bei Leuten, die sich dem öffentlichen Leben widmen,
anzutreffen ist. Diese kleinliche Eitelkeit, die sich überall vordrängt, sich für
unfehlbar hält, bei jedem auftauchenden Bestreben das Wort ergreift und an
die Spitze tritt, und wo keine Bewegung in Stadt oder Staat eMrt. eine
schafft, lediglich um zu Präsidiren, sich selbst reden zu hören, maßgebend zu
sein, ist eine der ärgsten Feindinnen unsres politischen Lebens, eine der
häufigsten Ursachen unsrer Parteizerklüftung, und sie hat nun auch unter den
Arbeitern Zwiespalt und Schaden angerichtet.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188316"/>
            <p xml:id="ID_925" prev="#ID_924"> angestrebt wurde, was nicht recht bedacht und nicht an der Zeit war. so brachte<lb/>
doch überall der gesunde Sinn der großen Masse der Betheiligten den momen¬<lb/>
tan gestörten Gang bald wieder in das rechte Geleis, Die Gesammtentwickelung<lb/>
der sämmtlichen Pereine ging erfolgreich vorwärts, und mit ihr bildete sich in<lb/>
ganz Deutschland bei dem immer reger werdenden politischen Leben auch unter<lb/>
den Arbeitern ein starkes Contingent für die liberale Partei aus &#x2014; eine Zu¬<lb/>
sammengehörigkeit dieser Partei und der Arbeitervereine, die von keiner Seile<lb/>
irgend einem Zweifel unterlag.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_926"> So standen die Dinge bis zum vergangenen Herbste. Wenn auch die<lb/>
Arbeitervereine keineswegs als politische Clubs aufzutreten gemeint waren, so<lb/>
erscholl doch aus ihrer Mitte überall der Ruf freudiger Zustimmung, als sich<lb/>
die große folgenreiche Einigung der liberalen Parteien im preußischen Abgeord-<lb/>
netenhause vollzog, und im Großen und Ganzen hat dieses Verhältniß sich<lb/>
auch heute nicht geändert. Wenn aus einem halben Dutzend Vereinen das<lb/>
Kriegsgeschrei &#x201E;hie Lassalle!" ertönt, so klingt ihm aus Hunderten und aber<lb/>
Hunderten der Ruf &#x201E;hie Schulze-Delitzsch" entgegen, der einerseits den Sym¬<lb/>
pathien für eine ruhige, vernunftgemäße Entwickelung ihrer wirthschaftlichen An¬<lb/>
gelegenheiten Ausdruck gibt, anderseits das Glaubensbekenntniß der nationa¬<lb/>
len Fortschrittspartei in sich schließt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_927"> Fragen wir nach dem Anstoß ;n der Arbeiterbewegung neuen Stiles, die<lb/>
beiläufig ihren Höhepunkt wohl schon überschritten hat, so liegt zunächst auf<lb/>
der Hand, daß die Leiter und Veranstalter der Sache durchaus nicht nach einem<lb/>
klar gefaßten Plane handelten. Einmal hat sich der ursprünglich ausgespro¬<lb/>
chene Zweck der Bewegung im Laufe weniger Wochen völlig verändert, und<lb/>
anderseits haben die Führer in derselben Zeit durchweg andere Ansichten über<lb/>
ihre Stellung zu den politischen Vorgängen und Parteien gewonnen. Was sie<lb/>
bewegte, war die Empfindung, daß sie zu der Arbeit, die ihnen Geburt und<lb/>
Erziehung, vielleicht auch frühere Neigung angewiesen hatten, wenig, desto mehr<lb/>
aber für die Thätigkeit von Volksrednern paßten, und die Bemerkung, daß die<lb/>
Gegenwart einem Uevertritt aus jenem Kreise in diesen günstige Aussichten bot.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_928"> Eine andere Triebfeder war offenbar der mit jener Ueberzeugung, zu Besse¬<lb/>
rem als bloßer Handarbeit geartet zu sein, verwandte persönliche Ehrgeiz, ein<lb/>
Fehler, der nur zu häusig bei Leuten, die sich dem öffentlichen Leben widmen,<lb/>
anzutreffen ist. Diese kleinliche Eitelkeit, die sich überall vordrängt, sich für<lb/>
unfehlbar hält, bei jedem auftauchenden Bestreben das Wort ergreift und an<lb/>
die Spitze tritt, und wo keine Bewegung in Stadt oder Staat eMrt. eine<lb/>
schafft, lediglich um zu Präsidiren, sich selbst reden zu hören, maßgebend zu<lb/>
sein, ist eine der ärgsten Feindinnen unsres politischen Lebens, eine der<lb/>
häufigsten Ursachen unsrer Parteizerklüftung, und sie hat nun auch unter den<lb/>
Arbeitern Zwiespalt und Schaden angerichtet.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0289] angestrebt wurde, was nicht recht bedacht und nicht an der Zeit war. so brachte doch überall der gesunde Sinn der großen Masse der Betheiligten den momen¬ tan gestörten Gang bald wieder in das rechte Geleis, Die Gesammtentwickelung der sämmtlichen Pereine ging erfolgreich vorwärts, und mit ihr bildete sich in ganz Deutschland bei dem immer reger werdenden politischen Leben auch unter den Arbeitern ein starkes Contingent für die liberale Partei aus — eine Zu¬ sammengehörigkeit dieser Partei und der Arbeitervereine, die von keiner Seile irgend einem Zweifel unterlag. So standen die Dinge bis zum vergangenen Herbste. Wenn auch die Arbeitervereine keineswegs als politische Clubs aufzutreten gemeint waren, so erscholl doch aus ihrer Mitte überall der Ruf freudiger Zustimmung, als sich die große folgenreiche Einigung der liberalen Parteien im preußischen Abgeord- netenhause vollzog, und im Großen und Ganzen hat dieses Verhältniß sich auch heute nicht geändert. Wenn aus einem halben Dutzend Vereinen das Kriegsgeschrei „hie Lassalle!" ertönt, so klingt ihm aus Hunderten und aber Hunderten der Ruf „hie Schulze-Delitzsch" entgegen, der einerseits den Sym¬ pathien für eine ruhige, vernunftgemäße Entwickelung ihrer wirthschaftlichen An¬ gelegenheiten Ausdruck gibt, anderseits das Glaubensbekenntniß der nationa¬ len Fortschrittspartei in sich schließt. Fragen wir nach dem Anstoß ;n der Arbeiterbewegung neuen Stiles, die beiläufig ihren Höhepunkt wohl schon überschritten hat, so liegt zunächst auf der Hand, daß die Leiter und Veranstalter der Sache durchaus nicht nach einem klar gefaßten Plane handelten. Einmal hat sich der ursprünglich ausgespro¬ chene Zweck der Bewegung im Laufe weniger Wochen völlig verändert, und anderseits haben die Führer in derselben Zeit durchweg andere Ansichten über ihre Stellung zu den politischen Vorgängen und Parteien gewonnen. Was sie bewegte, war die Empfindung, daß sie zu der Arbeit, die ihnen Geburt und Erziehung, vielleicht auch frühere Neigung angewiesen hatten, wenig, desto mehr aber für die Thätigkeit von Volksrednern paßten, und die Bemerkung, daß die Gegenwart einem Uevertritt aus jenem Kreise in diesen günstige Aussichten bot. Eine andere Triebfeder war offenbar der mit jener Ueberzeugung, zu Besse¬ rem als bloßer Handarbeit geartet zu sein, verwandte persönliche Ehrgeiz, ein Fehler, der nur zu häusig bei Leuten, die sich dem öffentlichen Leben widmen, anzutreffen ist. Diese kleinliche Eitelkeit, die sich überall vordrängt, sich für unfehlbar hält, bei jedem auftauchenden Bestreben das Wort ergreift und an die Spitze tritt, und wo keine Bewegung in Stadt oder Staat eMrt. eine schafft, lediglich um zu Präsidiren, sich selbst reden zu hören, maßgebend zu sein, ist eine der ärgsten Feindinnen unsres politischen Lebens, eine der häufigsten Ursachen unsrer Parteizerklüftung, und sie hat nun auch unter den Arbeitern Zwiespalt und Schaden angerichtet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/289
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/289>, abgerufen am 27.09.2024.