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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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männer kaum in Frage kommen gegenüber jener schon seit Jahrzehnten im Gange
befindlichen, ebenso gewaltigen als segensreichen Umgestaltung, die sich mittelst
jener Arbeitervereine vollzieht, welche die SelbstcrzieKung zu Bildung und
Unabhängigkeit auf ihre Fahne geschrieben haben. Diese Bewegung macht
allerdings nicht viel von sich reden und gibt dem nach Wundern ausschauenden
journalistischen Geschäftsmann fast nie Gelegenheit zu Leitartikeln und Corre-
spondenzen. In ihrem Wesen liegt es, daß sie keine raschen und brillanten
Erfolge zeitigt, daß sie sich nicht auf den großen Markt hinausdrängt. Ihre
Erfolge sind aber um so nachhaltiger, als sie mühsam errungen werden. Sie
wächst wie der Wald stetig, aber in der Stille, und wer mit offnen Augen
und mit Theilnahme am Wohl und Wehe der Arbeiter unter den letzteren lebt,
sieht, daß sie nicht blos wächst, sondern in der Werkstatt, im Geschäftsleben
und nicht am wenigsten im Hause des Arbeiters bereits schöne Früchte trägt.

Wie Niemand läugnen wird, daß das Institut der S o muta gssch nten.
deren Einführung den Anfang dieser berechtigten Bewegung bildete, außer¬
ordentlich viel Gutes gewirkt hat. so wird kein Vorurteilsfreier und Wohl¬
wollender in Abrede stellen, daß die später entstandenen B ildüng s v ereilt e
der Handwerker eine große Anzahl junger Männer sehr erfreulich gehoben und
gefördert und sie in ganz anderen Grade für ein tüchtiges, ihnen selbst und
der bürgerlichen Gesellschaft nützliches Wirken erzogen haben, als das alte
Herbergs- und Wanderleben. Ja indem diese Vereine die Erziehung des
Arbeiters zur Selbständigkeit im Auge haben, müssen wir sie als einen
Fortschritt über die Sonntagsschulen hinaus betrachten. Sie sind einzig und
allein mit den Mitteln der Arbeiter gegründet und erhalten. In ihnen er¬
hebt das wetteifernde Streben für die Gesammtheit den Einzelnen über die
kleinlichen Verhältnisse des Lebens. Der geregelte Gang der Vereinsgcschäfte
gewöhnt jedes Mitglied, in gebildeten Formen mit den Genossen sowie mit der
Gesellschaft außerhalb des Vereins zu Verkehren. Neben reicher Belehrung und
Erweiterung des Gesichtskreises gewährt das ganze Institut Hebung des Selbst¬
gefühls, Förderung pflichtmäßigen Sinnes und jene Erziehung zum echten
Staatsbürger, die neben dem eignen Recht und Interesse auch die Rechte und
Interessen Anderer anerkennen und jenes diesen mit Billigkeit und Bescheiden¬
heit ncbenordnen und eingliedern lehrt.

So haben jene Vereine bereits eine gute Anzahl von Männern ausgebildet,
die sich selbst achtend Andern Achtung und Wohlwollen abgewinnen. Aller¬
dings geht mancher hindurch, ohne sich die Vortheile anzueignen, die ihm ge¬
boten sind, und Tausende haben entweder keine Gelegenheit sich zu beteiligen,
oder nicht den rechten Willen und die Energie zu ernstem Streben. Aber
trotz solcher Ausfälle in der Rechnung haben diese Genossenschaften schon un¬
gemein viel gewirkt, und trotz mancher Hindernisse von Seiten argwöhnischer


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männer kaum in Frage kommen gegenüber jener schon seit Jahrzehnten im Gange
befindlichen, ebenso gewaltigen als segensreichen Umgestaltung, die sich mittelst
jener Arbeitervereine vollzieht, welche die SelbstcrzieKung zu Bildung und
Unabhängigkeit auf ihre Fahne geschrieben haben. Diese Bewegung macht
allerdings nicht viel von sich reden und gibt dem nach Wundern ausschauenden
journalistischen Geschäftsmann fast nie Gelegenheit zu Leitartikeln und Corre-
spondenzen. In ihrem Wesen liegt es, daß sie keine raschen und brillanten
Erfolge zeitigt, daß sie sich nicht auf den großen Markt hinausdrängt. Ihre
Erfolge sind aber um so nachhaltiger, als sie mühsam errungen werden. Sie
wächst wie der Wald stetig, aber in der Stille, und wer mit offnen Augen
und mit Theilnahme am Wohl und Wehe der Arbeiter unter den letzteren lebt,
sieht, daß sie nicht blos wächst, sondern in der Werkstatt, im Geschäftsleben
und nicht am wenigsten im Hause des Arbeiters bereits schöne Früchte trägt.

Wie Niemand läugnen wird, daß das Institut der S o muta gssch nten.
deren Einführung den Anfang dieser berechtigten Bewegung bildete, außer¬
ordentlich viel Gutes gewirkt hat. so wird kein Vorurteilsfreier und Wohl¬
wollender in Abrede stellen, daß die später entstandenen B ildüng s v ereilt e
der Handwerker eine große Anzahl junger Männer sehr erfreulich gehoben und
gefördert und sie in ganz anderen Grade für ein tüchtiges, ihnen selbst und
der bürgerlichen Gesellschaft nützliches Wirken erzogen haben, als das alte
Herbergs- und Wanderleben. Ja indem diese Vereine die Erziehung des
Arbeiters zur Selbständigkeit im Auge haben, müssen wir sie als einen
Fortschritt über die Sonntagsschulen hinaus betrachten. Sie sind einzig und
allein mit den Mitteln der Arbeiter gegründet und erhalten. In ihnen er¬
hebt das wetteifernde Streben für die Gesammtheit den Einzelnen über die
kleinlichen Verhältnisse des Lebens. Der geregelte Gang der Vereinsgcschäfte
gewöhnt jedes Mitglied, in gebildeten Formen mit den Genossen sowie mit der
Gesellschaft außerhalb des Vereins zu Verkehren. Neben reicher Belehrung und
Erweiterung des Gesichtskreises gewährt das ganze Institut Hebung des Selbst¬
gefühls, Förderung pflichtmäßigen Sinnes und jene Erziehung zum echten
Staatsbürger, die neben dem eignen Recht und Interesse auch die Rechte und
Interessen Anderer anerkennen und jenes diesen mit Billigkeit und Bescheiden¬
heit ncbenordnen und eingliedern lehrt.

So haben jene Vereine bereits eine gute Anzahl von Männern ausgebildet,
die sich selbst achtend Andern Achtung und Wohlwollen abgewinnen. Aller¬
dings geht mancher hindurch, ohne sich die Vortheile anzueignen, die ihm ge¬
boten sind, und Tausende haben entweder keine Gelegenheit sich zu beteiligen,
oder nicht den rechten Willen und die Energie zu ernstem Streben. Aber
trotz solcher Ausfälle in der Rechnung haben diese Genossenschaften schon un¬
gemein viel gewirkt, und trotz mancher Hindernisse von Seiten argwöhnischer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/287>, abgerufen am 27.09.2024.