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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Herr Lassalle und die Arbeiter.
i.

Obwohl unsrer Ueberzeugung nach die "Arbeiterbewegung", von der
die Zeitungen seit einigen Monaten so viel zu berichten wissen, die ihr zu¬
geschriebene Bedeutung nicht hat, mag es doch nicht unnütz sein, wenn wir
im Folgenden einen Blick auf Ursachen und Verlauf derselben werfen, wäre es
auch nur, um zu zeigen, daß die Sache im Grunde kaum der vielen Tinte
und Druckerschwärze werth ist, die ihrethalben verbraucht wurde.

Verfasser dieser Zeilen spricht mit vollem Bedacht und aus langjähriger
Erfahrung. Selbst Arbeiter gewesen, gegenwärtig Arbeitgeber, darf er sagen,
daß er Wesen und Charakter, Bedürfniß und Streben der arbeitenden Classen
Deutschlands hinreichend kennt, und aus dieser Kenntniß heraus behauptet er:
jene Bewegung ist ein bloßes Kunstprvduct und hat in der Masse unsrer Ar¬
beiter keinen Boden. Von einigen Ehrgeizigen, die für ihr kleines Licht einen
möglichst großen Leuchter haben möchten, angestiftet, von einer fast verschwin¬
dend geringen Minderheit der zum Anschluß Aufgeforderten beachtet, von noch
Wenigeren gebilligt und unterstützt, hat sie den Schein der Wichtigkeit nur
durch drei Umstände gewonnen. Einmal durch die Aengstlichkeit gewisser guter
Seelen, die in jedem Windgekräusel auf der Oberfläche des sogenannten vierten
Standes schon die Vorboten eines furchtbaren socialen oder politischen Orkans
sehen. Dann durch die irrlichtelirende Gesinnungslosigkeit gewisser Zeitungs¬
redactionen, welche in der steten Jagd nach Pickantem, Interessanten und
Echausfirendem die wahre Kunst des Nedigirens erblickt, und der es nicht dar¬
auf ankommt, aus einem Pudel einen Elephanten zu machen, wenn es nur
dem Geschäft Nutzen zu verheißen scheint. Ein dritter Umstand endlich sind die
Beifallsrufe, welche aus den Lagern aller Gegner der Fortschrittspartei er¬
schallten, weil sie in der Agitation Von Lassalle und Genossen einen Hebel wo
nicht zum Sturz doch zur Schwächung der von ihnen allen gleich sehr, wenn
auch von den Einen aus diesen, von den Andern aus jenen Gründen gehaßten
Partei der Reform auftauchen sahen. Wir hörten die Junkcrschcift Bravo ru¬
fen und Theilnahme am Schicksal der Arbeiter heucheln, einmal weil die Be¬
wegung sich gegen Schulze-Delitzschs Schöpfung richtete, dann weil es immer


Grenzboten II. 1863. 36
Herr Lassalle und die Arbeiter.
i.

Obwohl unsrer Ueberzeugung nach die „Arbeiterbewegung", von der
die Zeitungen seit einigen Monaten so viel zu berichten wissen, die ihr zu¬
geschriebene Bedeutung nicht hat, mag es doch nicht unnütz sein, wenn wir
im Folgenden einen Blick auf Ursachen und Verlauf derselben werfen, wäre es
auch nur, um zu zeigen, daß die Sache im Grunde kaum der vielen Tinte
und Druckerschwärze werth ist, die ihrethalben verbraucht wurde.

Verfasser dieser Zeilen spricht mit vollem Bedacht und aus langjähriger
Erfahrung. Selbst Arbeiter gewesen, gegenwärtig Arbeitgeber, darf er sagen,
daß er Wesen und Charakter, Bedürfniß und Streben der arbeitenden Classen
Deutschlands hinreichend kennt, und aus dieser Kenntniß heraus behauptet er:
jene Bewegung ist ein bloßes Kunstprvduct und hat in der Masse unsrer Ar¬
beiter keinen Boden. Von einigen Ehrgeizigen, die für ihr kleines Licht einen
möglichst großen Leuchter haben möchten, angestiftet, von einer fast verschwin¬
dend geringen Minderheit der zum Anschluß Aufgeforderten beachtet, von noch
Wenigeren gebilligt und unterstützt, hat sie den Schein der Wichtigkeit nur
durch drei Umstände gewonnen. Einmal durch die Aengstlichkeit gewisser guter
Seelen, die in jedem Windgekräusel auf der Oberfläche des sogenannten vierten
Standes schon die Vorboten eines furchtbaren socialen oder politischen Orkans
sehen. Dann durch die irrlichtelirende Gesinnungslosigkeit gewisser Zeitungs¬
redactionen, welche in der steten Jagd nach Pickantem, Interessanten und
Echausfirendem die wahre Kunst des Nedigirens erblickt, und der es nicht dar¬
auf ankommt, aus einem Pudel einen Elephanten zu machen, wenn es nur
dem Geschäft Nutzen zu verheißen scheint. Ein dritter Umstand endlich sind die
Beifallsrufe, welche aus den Lagern aller Gegner der Fortschrittspartei er¬
schallten, weil sie in der Agitation Von Lassalle und Genossen einen Hebel wo
nicht zum Sturz doch zur Schwächung der von ihnen allen gleich sehr, wenn
auch von den Einen aus diesen, von den Andern aus jenen Gründen gehaßten
Partei der Reform auftauchen sahen. Wir hörten die Junkcrschcift Bravo ru¬
fen und Theilnahme am Schicksal der Arbeiter heucheln, einmal weil die Be¬
wegung sich gegen Schulze-Delitzschs Schöpfung richtete, dann weil es immer


Grenzboten II. 1863. 36
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[0285] Herr Lassalle und die Arbeiter. i. Obwohl unsrer Ueberzeugung nach die „Arbeiterbewegung", von der die Zeitungen seit einigen Monaten so viel zu berichten wissen, die ihr zu¬ geschriebene Bedeutung nicht hat, mag es doch nicht unnütz sein, wenn wir im Folgenden einen Blick auf Ursachen und Verlauf derselben werfen, wäre es auch nur, um zu zeigen, daß die Sache im Grunde kaum der vielen Tinte und Druckerschwärze werth ist, die ihrethalben verbraucht wurde. Verfasser dieser Zeilen spricht mit vollem Bedacht und aus langjähriger Erfahrung. Selbst Arbeiter gewesen, gegenwärtig Arbeitgeber, darf er sagen, daß er Wesen und Charakter, Bedürfniß und Streben der arbeitenden Classen Deutschlands hinreichend kennt, und aus dieser Kenntniß heraus behauptet er: jene Bewegung ist ein bloßes Kunstprvduct und hat in der Masse unsrer Ar¬ beiter keinen Boden. Von einigen Ehrgeizigen, die für ihr kleines Licht einen möglichst großen Leuchter haben möchten, angestiftet, von einer fast verschwin¬ dend geringen Minderheit der zum Anschluß Aufgeforderten beachtet, von noch Wenigeren gebilligt und unterstützt, hat sie den Schein der Wichtigkeit nur durch drei Umstände gewonnen. Einmal durch die Aengstlichkeit gewisser guter Seelen, die in jedem Windgekräusel auf der Oberfläche des sogenannten vierten Standes schon die Vorboten eines furchtbaren socialen oder politischen Orkans sehen. Dann durch die irrlichtelirende Gesinnungslosigkeit gewisser Zeitungs¬ redactionen, welche in der steten Jagd nach Pickantem, Interessanten und Echausfirendem die wahre Kunst des Nedigirens erblickt, und der es nicht dar¬ auf ankommt, aus einem Pudel einen Elephanten zu machen, wenn es nur dem Geschäft Nutzen zu verheißen scheint. Ein dritter Umstand endlich sind die Beifallsrufe, welche aus den Lagern aller Gegner der Fortschrittspartei er¬ schallten, weil sie in der Agitation Von Lassalle und Genossen einen Hebel wo nicht zum Sturz doch zur Schwächung der von ihnen allen gleich sehr, wenn auch von den Einen aus diesen, von den Andern aus jenen Gründen gehaßten Partei der Reform auftauchen sahen. Wir hörten die Junkcrschcift Bravo ru¬ fen und Theilnahme am Schicksal der Arbeiter heucheln, einmal weil die Be¬ wegung sich gegen Schulze-Delitzschs Schöpfung richtete, dann weil es immer Grenzboten II. 1863. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/285>, abgerufen am 27.09.2024.