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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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welche mir Graf Eulenburg verhandelten, wegen zu großer Nachgiebigkeit gegen
die Forderungen der Preußen, zu der bekannten Strafe verurtheilt wurde,
"einen plötzlichen Blutsturz zu bekommen", zu deutsch: sich selbst den Bauch
aufzuschlitzen. Durch sie erhielt der letzte Kaiser den Befehl, sich desgleichen
zu thun, lediglich aus dem Grunde, weil er sich durch Abschluß des Vertrags
mit den Amerikanern bei seinen scheinbar unterwürfigen, in Wirklichkeit aber
den Kaiserthron beherrschenden Vasallen mißliebig gemacht. Durch einen aus
der Mitte dieser Aristokratie wurde 1860 der wegen Minderjährigkeit des Thron¬
folgers eingesetzte Regent ermordet. Auf offner Straße netten in Jeddo grif¬
fen die Leute des Fürsten von Milo die Sänfte des Regenten an und schlugen
letzterem den Kopf ab, und es gelang nicht einmal der Mörder habhaft zu
werden.

Indeß so groß die Macht des Adels auch ist, scheint derselbe dennoch mit
einem allgemeinen Losbruch zu zögern, und sicher in richtiger Erkenntniß, wie
viel er damit wagen würde. Sollte die feudale Partei den Kampf wagen, so
kann derselbe nur mit ihrer Niederlage endigen, da sich die fremden Mächte
auf die Seite der Regierung des Tellur stellen werden, und andrerseits ein
großer Theil des Volks für diesen eintreten wird. Durch den wachsenden Han¬
del und das beständige Zuströmen fremder Elemente bereitet sich eine sociale
Revolution vor, und selbst ohne äußern Anstoß muß über kurz oder lang das
geistig so begabte und so weit in der Cultur fortgeschrittene Volk Japans die
Fesseln, die es jetzt trägt, abschütteln und die Freiheit gewinnen, welche es
aus Grund jener Eigenschaften beanspruchen kann.

Der schlimmste Fall, der sich denken läßt, ist, daß die Regierung sich ge¬
zwungen glaubt, den Daimios nachzugeben und mit ihnen gemeinschaftliche
Sache gegen die Fremden zu machen. Der Kampf wird dann ein harter wer¬
den und starke Heere werden nothwendig sein, um Erfolge wie in China zu
erzielen. Aber das Ende wird dennoch der entschiedene Sieg der Civilisa¬
tion sein.

Die militärischen Verhältnisse des Landes sind allerdings noch wenig be¬
kannt. Zur Zeit der Portugiesen zählte das Heer des Tellur 100,000 Mann
Fußvolk und 20,000 Reiter. Dazu kamen die Contingente der Vasallenfürsten,
im Ganzen 368.000 Mann Infanterie und 39,000 Mann Kavallerie. Bei dem
conservativen Charakter des Landes ist es möglich, daß die Armee desselben
noch jetzt diese Stärke hat, doch ist wahrscheinlicher, daß die eigentlichen kaiser¬
lichen Truppen nicht mehr so zahlreich sind; wenigstens sieht man in Jeddo
nur wenige von ihnen. Dagegen mögen die Vasallencontingente dieselbe Zahl
haben, wie einst; denn die Feudalfürsten haben sich stets darin gefallen, soviel
Militär als möglich zu halten. -

Nach dem Aeußern zu urtheilen, sind die japanischen Soldaten den chine-


welche mir Graf Eulenburg verhandelten, wegen zu großer Nachgiebigkeit gegen
die Forderungen der Preußen, zu der bekannten Strafe verurtheilt wurde,
„einen plötzlichen Blutsturz zu bekommen", zu deutsch: sich selbst den Bauch
aufzuschlitzen. Durch sie erhielt der letzte Kaiser den Befehl, sich desgleichen
zu thun, lediglich aus dem Grunde, weil er sich durch Abschluß des Vertrags
mit den Amerikanern bei seinen scheinbar unterwürfigen, in Wirklichkeit aber
den Kaiserthron beherrschenden Vasallen mißliebig gemacht. Durch einen aus
der Mitte dieser Aristokratie wurde 1860 der wegen Minderjährigkeit des Thron¬
folgers eingesetzte Regent ermordet. Auf offner Straße netten in Jeddo grif¬
fen die Leute des Fürsten von Milo die Sänfte des Regenten an und schlugen
letzterem den Kopf ab, und es gelang nicht einmal der Mörder habhaft zu
werden.

Indeß so groß die Macht des Adels auch ist, scheint derselbe dennoch mit
einem allgemeinen Losbruch zu zögern, und sicher in richtiger Erkenntniß, wie
viel er damit wagen würde. Sollte die feudale Partei den Kampf wagen, so
kann derselbe nur mit ihrer Niederlage endigen, da sich die fremden Mächte
auf die Seite der Regierung des Tellur stellen werden, und andrerseits ein
großer Theil des Volks für diesen eintreten wird. Durch den wachsenden Han¬
del und das beständige Zuströmen fremder Elemente bereitet sich eine sociale
Revolution vor, und selbst ohne äußern Anstoß muß über kurz oder lang das
geistig so begabte und so weit in der Cultur fortgeschrittene Volk Japans die
Fesseln, die es jetzt trägt, abschütteln und die Freiheit gewinnen, welche es
aus Grund jener Eigenschaften beanspruchen kann.

Der schlimmste Fall, der sich denken läßt, ist, daß die Regierung sich ge¬
zwungen glaubt, den Daimios nachzugeben und mit ihnen gemeinschaftliche
Sache gegen die Fremden zu machen. Der Kampf wird dann ein harter wer¬
den und starke Heere werden nothwendig sein, um Erfolge wie in China zu
erzielen. Aber das Ende wird dennoch der entschiedene Sieg der Civilisa¬
tion sein.

Die militärischen Verhältnisse des Landes sind allerdings noch wenig be¬
kannt. Zur Zeit der Portugiesen zählte das Heer des Tellur 100,000 Mann
Fußvolk und 20,000 Reiter. Dazu kamen die Contingente der Vasallenfürsten,
im Ganzen 368.000 Mann Infanterie und 39,000 Mann Kavallerie. Bei dem
conservativen Charakter des Landes ist es möglich, daß die Armee desselben
noch jetzt diese Stärke hat, doch ist wahrscheinlicher, daß die eigentlichen kaiser¬
lichen Truppen nicht mehr so zahlreich sind; wenigstens sieht man in Jeddo
nur wenige von ihnen. Dagegen mögen die Vasallencontingente dieselbe Zahl
haben, wie einst; denn die Feudalfürsten haben sich stets darin gefallen, soviel
Militär als möglich zu halten. -

Nach dem Aeußern zu urtheilen, sind die japanischen Soldaten den chine-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/276>, abgerufen am 27.09.2024.