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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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lehr mit dem Auslande allmälig gelegt haben, wenn nicht Befürchtungen in
Betreff der Zukunft hinzugetreten und gewisse Classen des Volkes von den
durch die Fremden ins Land gebrachten Neuerungen ganz besonders empfindlich
betroffen worden wären.

Wie bereits angedeutet, hat der Tellur oder Siogun im Grunde genom¬
men nicht das große Ansehen, welches man ihm gewöhnlich zuschreibt. Wie
wenig er über seine Vasallen vermag, geht schon daraus hervor, daß einer
derselben, der Fürst von Satzuma keinem Unterthan des Tellur gestattet, die
Grenzen seines Gebiets zu überschreiten, und daß er sich im Jahr 1860 er¬
lauben konnte, kaiserlichen Gesandten den Eintritt in sein Land zu wehren.
Die mit dem Tellur abgeschlossenen Verträge haben also nur für einen Theil
Japans volle Giltigkeit, und sie werden auch in diesem von dem hohen Adel,
den Damnos, nur theilweise gebilligt. Die Mehrzahl dieser Feudalherren er¬
blickt in den Fremden Feinde ihrer Privilegien und Interessen, und viele der¬
selben sind ebenso reich als mächtig. Fürsten wie der von Satzuma besitzen
ein Einkommen von jährlich 6 bis 7 Millionen Thalern und können Kriegs¬
heere von 30,000 Mann ins Feld stellen. Bis zur Eröffnung des Reichs war
fast alle Macht in den Händen der Daimios. Aus ihrer Mitte wurden die
Minister und die Statthalter der Provinzen genommen. Ihnen gehörte bei¬
nahe der ganze Grund und Boden. Sie fixirten die Preise der Lebensmittel
und aller Jndustrieerzeugnisse, nahmen von Allem ihre Rente und ließen den
Producenten nur so viel, um nothdürftig leben zu können. Da die Bevölke¬
rung Japans nicht sehr dicht ist und bis jetzt kein Export stattfand, so waren
alle Producte sehr wohlfeil, und so konnten die Feudalherren mit geringem
Aufwand ein großes Gefolge von Vasallen und Söldnern halten. Ein Jako-
nin (Gendarm oder Soldat) erhielt jährlich außer einem Quantum Reis nicht
mehr als 40 Jtzebu Sold, und davon hatte er nicht nur seine Familie zu er¬
nähren, sondern mußte sich auch in Seide kleiden.

Der Verkehr mit dem Ausland hat diese patriarchalischen Zustände be¬
deutend umgestaltet. Während die Bauern früher nur Reis und andere Feld¬
früchte bauten und davon nicht mehr erzeugten, als nöthig war, um ihren
Lebensunterhalt zu bestreiten und die ihnen auferlegten Abgaben zu gewinnen,
verlocken sie jetzt die hohen Seidenpreise Maulbeerbäume zu pflanzen und an¬
dere lohnende Anlagen vorzunehmen. Die Folge ist eine erhebliche Vertheue-
rung der Lebensmittel. Das niedere Volk leidet hierunter nicht; denn der er¬
höhte Gewinn aus ihren Aeckern setzt die Producenten in den Stand, auch
ihre Bedürfnisse theurer zu bezahlen und dem Arbeiter mehr Lohn zu geben.
Der nicht producirende Adel dagegen und dessen nur consunürcndes Gefolge
wird von jener Veränderung der Preise empfindlich berührt, und neue Steuern
aufzulegen würde bei dem conservativen Wesen des Landes ein gewagtes Unter-


lehr mit dem Auslande allmälig gelegt haben, wenn nicht Befürchtungen in
Betreff der Zukunft hinzugetreten und gewisse Classen des Volkes von den
durch die Fremden ins Land gebrachten Neuerungen ganz besonders empfindlich
betroffen worden wären.

Wie bereits angedeutet, hat der Tellur oder Siogun im Grunde genom¬
men nicht das große Ansehen, welches man ihm gewöhnlich zuschreibt. Wie
wenig er über seine Vasallen vermag, geht schon daraus hervor, daß einer
derselben, der Fürst von Satzuma keinem Unterthan des Tellur gestattet, die
Grenzen seines Gebiets zu überschreiten, und daß er sich im Jahr 1860 er¬
lauben konnte, kaiserlichen Gesandten den Eintritt in sein Land zu wehren.
Die mit dem Tellur abgeschlossenen Verträge haben also nur für einen Theil
Japans volle Giltigkeit, und sie werden auch in diesem von dem hohen Adel,
den Damnos, nur theilweise gebilligt. Die Mehrzahl dieser Feudalherren er¬
blickt in den Fremden Feinde ihrer Privilegien und Interessen, und viele der¬
selben sind ebenso reich als mächtig. Fürsten wie der von Satzuma besitzen
ein Einkommen von jährlich 6 bis 7 Millionen Thalern und können Kriegs¬
heere von 30,000 Mann ins Feld stellen. Bis zur Eröffnung des Reichs war
fast alle Macht in den Händen der Daimios. Aus ihrer Mitte wurden die
Minister und die Statthalter der Provinzen genommen. Ihnen gehörte bei¬
nahe der ganze Grund und Boden. Sie fixirten die Preise der Lebensmittel
und aller Jndustrieerzeugnisse, nahmen von Allem ihre Rente und ließen den
Producenten nur so viel, um nothdürftig leben zu können. Da die Bevölke¬
rung Japans nicht sehr dicht ist und bis jetzt kein Export stattfand, so waren
alle Producte sehr wohlfeil, und so konnten die Feudalherren mit geringem
Aufwand ein großes Gefolge von Vasallen und Söldnern halten. Ein Jako-
nin (Gendarm oder Soldat) erhielt jährlich außer einem Quantum Reis nicht
mehr als 40 Jtzebu Sold, und davon hatte er nicht nur seine Familie zu er¬
nähren, sondern mußte sich auch in Seide kleiden.

Der Verkehr mit dem Ausland hat diese patriarchalischen Zustände be¬
deutend umgestaltet. Während die Bauern früher nur Reis und andere Feld¬
früchte bauten und davon nicht mehr erzeugten, als nöthig war, um ihren
Lebensunterhalt zu bestreiten und die ihnen auferlegten Abgaben zu gewinnen,
verlocken sie jetzt die hohen Seidenpreise Maulbeerbäume zu pflanzen und an¬
dere lohnende Anlagen vorzunehmen. Die Folge ist eine erhebliche Vertheue-
rung der Lebensmittel. Das niedere Volk leidet hierunter nicht; denn der er¬
höhte Gewinn aus ihren Aeckern setzt die Producenten in den Stand, auch
ihre Bedürfnisse theurer zu bezahlen und dem Arbeiter mehr Lohn zu geben.
Der nicht producirende Adel dagegen und dessen nur consunürcndes Gefolge
wird von jener Veränderung der Preise empfindlich berührt, und neue Steuern
aufzulegen würde bei dem conservativen Wesen des Landes ein gewagtes Unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/273>, abgerufen am 27.09.2024.