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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Noch schlimmere Nachrichten brachten die letzten Posten. Die fremdenfeind¬
liche Partei hat mit keckster Verletzung des Völkerrechts das Haus der britischen
Gesandtschaft zu Jeddo in die Luft gesprengt, und die Negierung des Tennu
hat ihre bisher bezweifelte Schwache gegenüber dieser Partei offen und unzwei¬
deutig bekannt: sie hat die angeblich zur Befestigung der mit den europäischen
Mächten abgeschlossenen Verträge im vorigen Jahre zu uns abgeordneten, in
unsern Hauptstädten als Boten schöner Hoffnungen vielfach gefeierten Gesandten
bei ihrer Rückkunft ihrer Würden und Aemter entsetzt, weil ihnen ihre eigent¬
liche Aufgabe. Aufschub des Vollzugs der Bestimmungen jener Tractate zu er¬
langen, mißlungen war. Ein solcher Vertrag besteht auch zwischen Preußen
und Japan, und da derselbe sehr wesentliche Interessen betrifft und in den
Kreisen der Sachkenner zu großen Erwartungen für die Zukunft Anlaß gab,
so wird eine Erörterung der hier in Frage kommenden Verhältnisse von
Nutzen sein.

Wir betrachten, indem wir dabei vorzüglich den neuesten Mittheilungen
über Japan*) folgen, zuerst die Bedeutung dieses Reiches, welches nicht mit
Unrecht das "Großbritannien Ostasiens" genannt worden ist, für den Handel
Europas, dann die Ursachen der jetzt dort sich entwickelnden Krisis und schlie߬
lich die Widerstandsmittel der Japanesen für den Fall eines Angriffs von
europäischer Seite.

Wenn manche Reisende von der commerziellen Bedeutung Japans geringe
Begriffe hegten, so ist unser Berichterstatter entschieden anderer Meinung, und
die Thatsachen, die er anführt, stellen die Richtigkeit seiner Erwartungen außer
Zweifel. Bis 1837, wo die Holländer durch Vertrag größere Handelsfreiheit
erlangten, bestand ein Haupttheil ihrer Einfuhr in Rohseide, die sie aus China
holten. Bis dahin baute man in Japan nur nothdürftig so viel Seide, als
für den Bedarf der höhern Stände erforderlich war; denn die Regierung be¬
stimmte die Preise, und so blieb dem Erzeuger nur ein geringer Gewinn, der
nicht zu größerer Anstrengung bewegen konnte. Jetzt aber findet der japane¬
sische Sandmann, daß er mindestens das Fünffache der frühern Einnahme für
seine Seide erzielen kann, und die Folge ist, daß schon 1860 allein von Joku-
hama 6000 Ballen Rohseide nach Europa verschifft wurden, abgesehen von den
großen Quantitäten Manufacturseide, die alljährlich aus Nangasaki zu uns kommt,
und nicht zu vergessen, daß von Seiten des Staates nichts für. wohl aber von
Seiten der dabei interessirten Beamten manches gegen das Emporblühen dieses
Handelszweigs geschehen ist. und daß andrerseits die ausgeführte Seide bisher



-) Die preußische Expedition nach China, Japan und Sinn in den Jahren 1860, 1861
und 1862, Nciscbricfe von Reinhold Werner, Lieutenant zur See 1. Classe. Zwei Theile.
Leipzig, F. A. Brockhaus. 1863.

Noch schlimmere Nachrichten brachten die letzten Posten. Die fremdenfeind¬
liche Partei hat mit keckster Verletzung des Völkerrechts das Haus der britischen
Gesandtschaft zu Jeddo in die Luft gesprengt, und die Negierung des Tennu
hat ihre bisher bezweifelte Schwache gegenüber dieser Partei offen und unzwei¬
deutig bekannt: sie hat die angeblich zur Befestigung der mit den europäischen
Mächten abgeschlossenen Verträge im vorigen Jahre zu uns abgeordneten, in
unsern Hauptstädten als Boten schöner Hoffnungen vielfach gefeierten Gesandten
bei ihrer Rückkunft ihrer Würden und Aemter entsetzt, weil ihnen ihre eigent¬
liche Aufgabe. Aufschub des Vollzugs der Bestimmungen jener Tractate zu er¬
langen, mißlungen war. Ein solcher Vertrag besteht auch zwischen Preußen
und Japan, und da derselbe sehr wesentliche Interessen betrifft und in den
Kreisen der Sachkenner zu großen Erwartungen für die Zukunft Anlaß gab,
so wird eine Erörterung der hier in Frage kommenden Verhältnisse von
Nutzen sein.

Wir betrachten, indem wir dabei vorzüglich den neuesten Mittheilungen
über Japan*) folgen, zuerst die Bedeutung dieses Reiches, welches nicht mit
Unrecht das „Großbritannien Ostasiens" genannt worden ist, für den Handel
Europas, dann die Ursachen der jetzt dort sich entwickelnden Krisis und schlie߬
lich die Widerstandsmittel der Japanesen für den Fall eines Angriffs von
europäischer Seite.

Wenn manche Reisende von der commerziellen Bedeutung Japans geringe
Begriffe hegten, so ist unser Berichterstatter entschieden anderer Meinung, und
die Thatsachen, die er anführt, stellen die Richtigkeit seiner Erwartungen außer
Zweifel. Bis 1837, wo die Holländer durch Vertrag größere Handelsfreiheit
erlangten, bestand ein Haupttheil ihrer Einfuhr in Rohseide, die sie aus China
holten. Bis dahin baute man in Japan nur nothdürftig so viel Seide, als
für den Bedarf der höhern Stände erforderlich war; denn die Regierung be¬
stimmte die Preise, und so blieb dem Erzeuger nur ein geringer Gewinn, der
nicht zu größerer Anstrengung bewegen konnte. Jetzt aber findet der japane¬
sische Sandmann, daß er mindestens das Fünffache der frühern Einnahme für
seine Seide erzielen kann, und die Folge ist, daß schon 1860 allein von Joku-
hama 6000 Ballen Rohseide nach Europa verschifft wurden, abgesehen von den
großen Quantitäten Manufacturseide, die alljährlich aus Nangasaki zu uns kommt,
und nicht zu vergessen, daß von Seiten des Staates nichts für. wohl aber von
Seiten der dabei interessirten Beamten manches gegen das Emporblühen dieses
Handelszweigs geschehen ist. und daß andrerseits die ausgeführte Seide bisher



-) Die preußische Expedition nach China, Japan und Sinn in den Jahren 1860, 1861
und 1862, Nciscbricfe von Reinhold Werner, Lieutenant zur See 1. Classe. Zwei Theile.
Leipzig, F. A. Brockhaus. 1863.
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[0265] Noch schlimmere Nachrichten brachten die letzten Posten. Die fremdenfeind¬ liche Partei hat mit keckster Verletzung des Völkerrechts das Haus der britischen Gesandtschaft zu Jeddo in die Luft gesprengt, und die Negierung des Tennu hat ihre bisher bezweifelte Schwache gegenüber dieser Partei offen und unzwei¬ deutig bekannt: sie hat die angeblich zur Befestigung der mit den europäischen Mächten abgeschlossenen Verträge im vorigen Jahre zu uns abgeordneten, in unsern Hauptstädten als Boten schöner Hoffnungen vielfach gefeierten Gesandten bei ihrer Rückkunft ihrer Würden und Aemter entsetzt, weil ihnen ihre eigent¬ liche Aufgabe. Aufschub des Vollzugs der Bestimmungen jener Tractate zu er¬ langen, mißlungen war. Ein solcher Vertrag besteht auch zwischen Preußen und Japan, und da derselbe sehr wesentliche Interessen betrifft und in den Kreisen der Sachkenner zu großen Erwartungen für die Zukunft Anlaß gab, so wird eine Erörterung der hier in Frage kommenden Verhältnisse von Nutzen sein. Wir betrachten, indem wir dabei vorzüglich den neuesten Mittheilungen über Japan*) folgen, zuerst die Bedeutung dieses Reiches, welches nicht mit Unrecht das „Großbritannien Ostasiens" genannt worden ist, für den Handel Europas, dann die Ursachen der jetzt dort sich entwickelnden Krisis und schlie߬ lich die Widerstandsmittel der Japanesen für den Fall eines Angriffs von europäischer Seite. Wenn manche Reisende von der commerziellen Bedeutung Japans geringe Begriffe hegten, so ist unser Berichterstatter entschieden anderer Meinung, und die Thatsachen, die er anführt, stellen die Richtigkeit seiner Erwartungen außer Zweifel. Bis 1837, wo die Holländer durch Vertrag größere Handelsfreiheit erlangten, bestand ein Haupttheil ihrer Einfuhr in Rohseide, die sie aus China holten. Bis dahin baute man in Japan nur nothdürftig so viel Seide, als für den Bedarf der höhern Stände erforderlich war; denn die Regierung be¬ stimmte die Preise, und so blieb dem Erzeuger nur ein geringer Gewinn, der nicht zu größerer Anstrengung bewegen konnte. Jetzt aber findet der japane¬ sische Sandmann, daß er mindestens das Fünffache der frühern Einnahme für seine Seide erzielen kann, und die Folge ist, daß schon 1860 allein von Joku- hama 6000 Ballen Rohseide nach Europa verschifft wurden, abgesehen von den großen Quantitäten Manufacturseide, die alljährlich aus Nangasaki zu uns kommt, und nicht zu vergessen, daß von Seiten des Staates nichts für. wohl aber von Seiten der dabei interessirten Beamten manches gegen das Emporblühen dieses Handelszweigs geschehen ist. und daß andrerseits die ausgeführte Seide bisher -) Die preußische Expedition nach China, Japan und Sinn in den Jahren 1860, 1861 und 1862, Nciscbricfe von Reinhold Werner, Lieutenant zur See 1. Classe. Zwei Theile. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1863.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/265>, abgerufen am 20.10.2024.