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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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mus wieder zum Leben verhalfen, ist in staatsrechtlichen Schriften genügend
nachgewiesen. Für den einfachen Volksverstand bedürfte es solchen Nachweises
nicht. Es leuchtete jedem ein, daß ein gegebenes Wort, ein geleistetes Ge-
löbniß. ein verkündigtes Gesetz nicht in einem Wege rückgängig gemacht werden
konnte, welcher es ganz unbeachtet ließ, daß ein Wort gegeben, ein Gelöbnis;
geleistet, ein Gesetz verkündigt war. Der Rechtssinn des Volkes ward durch
das von den neuen Ministern mit dem Volksrecht getriebene Spiel auf das
tiefste verletzt und empört, und gewiß hätte ein offener Gewaltact. gestützt auf
die ausgesprochene Ueberzeugung von seiner Nothwendigkeit, viel weniger ver¬
derblich auf die öffentliche Sittlichkeit eingewirkt, als die zum Zweck der Wieder¬
herstellung des Feudalismus aufgebotene Rechtskünstclei.




Der drohende Conflict mit Japan.

Während im continentalen Europa die polnische Frage den Gesichtskreis
verdüsterte, England einem verhängnißvollen Kriege mit Amerika entgegen
zutreiben schien, traf um die Mitte des vorigen Monats auch aus dem fernen
Ostasien unerfreuliche, mehr als eine der Mächte in ihren Interessen bedrohende
Kunde ein. Längst schon herrschte in Japan, dem kaum erst unserm Handel und
Gewerbfleiß erschlossenen, bedenkliche Gährung gegen die einem einflußreichen
Theile des Volkes verhaßten und selbst der Regierung jedenfalls unbequemen
Fremden, die sich durch mancherlei Feindseligkeit kundgab. Eine Zeit lang
konnte man glauben, diese Aufregung werde sich legen. Aber die neueren
Nachrichten haben dargethan, daß dazu wenig Hoffnung ist, daß die Unzufrieden¬
heit täglich wächst und daß eine allgemeine Revolution im Anzüge ist. Zu¬
nächst wiederholte Mordversuche gegen die Mitglieder der neuerrichteten Con-
sulate und Handelshäuser. Dann Auswanderung des Adels aus Jeddo, der
den Ausländern geöffneten und den Angriffen derselben bloßgestellten Residenz
des Tellur, nach Miako, der Stadt im Innern, in welcher der Mikado, der
sogenannte geistliche Kaiser Japans, jetzt das Haupt, wenigstens das Panier
der Mißvergnügten, Hof hält. Endlich eine gebieterische Aufforderung des
letzteren an die weltliche Regierung, die westlichen Barbaren ohne Verzug aus
dem Lande zu treiben.


mus wieder zum Leben verhalfen, ist in staatsrechtlichen Schriften genügend
nachgewiesen. Für den einfachen Volksverstand bedürfte es solchen Nachweises
nicht. Es leuchtete jedem ein, daß ein gegebenes Wort, ein geleistetes Ge-
löbniß. ein verkündigtes Gesetz nicht in einem Wege rückgängig gemacht werden
konnte, welcher es ganz unbeachtet ließ, daß ein Wort gegeben, ein Gelöbnis;
geleistet, ein Gesetz verkündigt war. Der Rechtssinn des Volkes ward durch
das von den neuen Ministern mit dem Volksrecht getriebene Spiel auf das
tiefste verletzt und empört, und gewiß hätte ein offener Gewaltact. gestützt auf
die ausgesprochene Ueberzeugung von seiner Nothwendigkeit, viel weniger ver¬
derblich auf die öffentliche Sittlichkeit eingewirkt, als die zum Zweck der Wieder¬
herstellung des Feudalismus aufgebotene Rechtskünstclei.




Der drohende Conflict mit Japan.

Während im continentalen Europa die polnische Frage den Gesichtskreis
verdüsterte, England einem verhängnißvollen Kriege mit Amerika entgegen
zutreiben schien, traf um die Mitte des vorigen Monats auch aus dem fernen
Ostasien unerfreuliche, mehr als eine der Mächte in ihren Interessen bedrohende
Kunde ein. Längst schon herrschte in Japan, dem kaum erst unserm Handel und
Gewerbfleiß erschlossenen, bedenkliche Gährung gegen die einem einflußreichen
Theile des Volkes verhaßten und selbst der Regierung jedenfalls unbequemen
Fremden, die sich durch mancherlei Feindseligkeit kundgab. Eine Zeit lang
konnte man glauben, diese Aufregung werde sich legen. Aber die neueren
Nachrichten haben dargethan, daß dazu wenig Hoffnung ist, daß die Unzufrieden¬
heit täglich wächst und daß eine allgemeine Revolution im Anzüge ist. Zu¬
nächst wiederholte Mordversuche gegen die Mitglieder der neuerrichteten Con-
sulate und Handelshäuser. Dann Auswanderung des Adels aus Jeddo, der
den Ausländern geöffneten und den Angriffen derselben bloßgestellten Residenz
des Tellur, nach Miako, der Stadt im Innern, in welcher der Mikado, der
sogenannte geistliche Kaiser Japans, jetzt das Haupt, wenigstens das Panier
der Mißvergnügten, Hof hält. Endlich eine gebieterische Aufforderung des
letzteren an die weltliche Regierung, die westlichen Barbaren ohne Verzug aus
dem Lande zu treiben.


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[0264] mus wieder zum Leben verhalfen, ist in staatsrechtlichen Schriften genügend nachgewiesen. Für den einfachen Volksverstand bedürfte es solchen Nachweises nicht. Es leuchtete jedem ein, daß ein gegebenes Wort, ein geleistetes Ge- löbniß. ein verkündigtes Gesetz nicht in einem Wege rückgängig gemacht werden konnte, welcher es ganz unbeachtet ließ, daß ein Wort gegeben, ein Gelöbnis; geleistet, ein Gesetz verkündigt war. Der Rechtssinn des Volkes ward durch das von den neuen Ministern mit dem Volksrecht getriebene Spiel auf das tiefste verletzt und empört, und gewiß hätte ein offener Gewaltact. gestützt auf die ausgesprochene Ueberzeugung von seiner Nothwendigkeit, viel weniger ver¬ derblich auf die öffentliche Sittlichkeit eingewirkt, als die zum Zweck der Wieder¬ herstellung des Feudalismus aufgebotene Rechtskünstclei. Der drohende Conflict mit Japan. Während im continentalen Europa die polnische Frage den Gesichtskreis verdüsterte, England einem verhängnißvollen Kriege mit Amerika entgegen zutreiben schien, traf um die Mitte des vorigen Monats auch aus dem fernen Ostasien unerfreuliche, mehr als eine der Mächte in ihren Interessen bedrohende Kunde ein. Längst schon herrschte in Japan, dem kaum erst unserm Handel und Gewerbfleiß erschlossenen, bedenkliche Gährung gegen die einem einflußreichen Theile des Volkes verhaßten und selbst der Regierung jedenfalls unbequemen Fremden, die sich durch mancherlei Feindseligkeit kundgab. Eine Zeit lang konnte man glauben, diese Aufregung werde sich legen. Aber die neueren Nachrichten haben dargethan, daß dazu wenig Hoffnung ist, daß die Unzufrieden¬ heit täglich wächst und daß eine allgemeine Revolution im Anzüge ist. Zu¬ nächst wiederholte Mordversuche gegen die Mitglieder der neuerrichteten Con- sulate und Handelshäuser. Dann Auswanderung des Adels aus Jeddo, der den Ausländern geöffneten und den Angriffen derselben bloßgestellten Residenz des Tellur, nach Miako, der Stadt im Innern, in welcher der Mikado, der sogenannte geistliche Kaiser Japans, jetzt das Haupt, wenigstens das Panier der Mißvergnügten, Hof hält. Endlich eine gebieterische Aufforderung des letzteren an die weltliche Regierung, die westlichen Barbaren ohne Verzug aus dem Lande zu treiben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/264>, abgerufen am 27.09.2024.