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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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gische Intelligenz natürlich wieder Kliefoth und dessen Dirigent wieder Kapsel
war. Man hatte auf diese Weise das landesherrliche Kirchenregiment bei Be¬
stand erhalten und sich damit einen festen Punkt gesichert, von wo man um
so eher den constitutionellen Staat zu untergraben hoffen konnte, als der
Oberkirchenrath an der Spitze einer Landeskirche stand, deren Gemeinden nicht
organisirt waren und mit ihren Pastoren in der absolutesten Abhängigkeit Vom
Oberkirchenrath sich befanden. Dieser Schritt ward auch schon damals als
in feindlicher Act der kliefothschen Partei gegen das Staatsgrundgesetz auf¬
gefaßt. Aber die Partei wollte den wahren Sinn desselben noch nicht ein¬
gestehen, indem sie ein Interesse hatte, den Großherzog unvermerkt und all-
mälig durch die Conservirung seines obcrbischöflichen Amts in Conflicte mit
seinen constitutionellen Pflichten zu bringen. Erst zwölf Jahre später ist
Kliefoth mit dem offenen Bekenntniß hervorgetreten, daß er den modernen
Rechtsstaat, das heißt den constitutionellen Staat, für unverträglich mit der
Institution des landesherrlichen Kirchenregiments halte und daß er es für die
Ausgabe der Kirche ansehe, den modernen Rechtsstaat zu bekämpfen und dadurch
das jener Institution entgegenstehende Hinderniß zu entfernen. (Vgl. Kliefoth,
über das Verhältniß der Landesherrn als Inhaber der Kirchengewalt zu ihren
Kirchenbchörden. Schwerin, 1862.)

Kliefoth stand aus seinem früheren Verhältniß als Lehrer und Erzieher
des Großherzogs diesem fortwährend sehr nahe. Der Großherzog zog ihn nicht
blos in allgemeinen Angelegenheiten, sondern auch in Gewissenszweifcln zu
Rath. Kliefoth benutzte diese Stellung, um den Großherzog auf das Bedenk¬
liche und Gefährliche einzelner Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes vom
kirchlichen Standpunkt aus hinzuweisen und Zweifel in ihm zu wecken. ob er
es wohl vor Gott verantworten könne, die Bekenner Christi so zu betrüben,
wie es ihm als unausbleibliche Folge der Durchführung jener Bestimmungen
vorgestellt ward. Damit war denn die Bahn für Weiteres geebnet. Das
Festhalten an dem gegebenen Wort und der gelobten Treue konnte als ein
Bruch der schuldigen Treue gegen Gott, und der Abfall von Gesetz und Recht
als ein Gott wohlgefälliges Werk und als ein dem Volke geleisteter Dienst
ausgemalt werden. Die Lehre der Kirchlichen von der übergcsetzlichen Stellung
des Fürsten von Gottes Gnaden bot einen Hebel dar, um die Bedenken wegen
der durch das Gelöbniß eingegangenen Verpflichtungen aus den Angeln zu heben-

An dieser kirchlichen Agitation gegen das Staatsgrundgesetz ist allem An¬
scheine nach auch die junge Gemahlin des Großherzogs nicht unbetheiligt ge¬
blieben. Als Erbtheil ihrer Familie, welche in beiden Ascendentenlinien die
zinzcndorsischcn Einflüsse stark/hatte auf sich einwirken lassen, hatte sie ein
Christenthum mitgebracht, weiches auf die Beurtheilung weltlicher Dinge wenig
eingerichtet war, und in Werken der Wohlthätigkeit, in der Stiftung von christ-


gische Intelligenz natürlich wieder Kliefoth und dessen Dirigent wieder Kapsel
war. Man hatte auf diese Weise das landesherrliche Kirchenregiment bei Be¬
stand erhalten und sich damit einen festen Punkt gesichert, von wo man um
so eher den constitutionellen Staat zu untergraben hoffen konnte, als der
Oberkirchenrath an der Spitze einer Landeskirche stand, deren Gemeinden nicht
organisirt waren und mit ihren Pastoren in der absolutesten Abhängigkeit Vom
Oberkirchenrath sich befanden. Dieser Schritt ward auch schon damals als
in feindlicher Act der kliefothschen Partei gegen das Staatsgrundgesetz auf¬
gefaßt. Aber die Partei wollte den wahren Sinn desselben noch nicht ein¬
gestehen, indem sie ein Interesse hatte, den Großherzog unvermerkt und all-
mälig durch die Conservirung seines obcrbischöflichen Amts in Conflicte mit
seinen constitutionellen Pflichten zu bringen. Erst zwölf Jahre später ist
Kliefoth mit dem offenen Bekenntniß hervorgetreten, daß er den modernen
Rechtsstaat, das heißt den constitutionellen Staat, für unverträglich mit der
Institution des landesherrlichen Kirchenregiments halte und daß er es für die
Ausgabe der Kirche ansehe, den modernen Rechtsstaat zu bekämpfen und dadurch
das jener Institution entgegenstehende Hinderniß zu entfernen. (Vgl. Kliefoth,
über das Verhältniß der Landesherrn als Inhaber der Kirchengewalt zu ihren
Kirchenbchörden. Schwerin, 1862.)

Kliefoth stand aus seinem früheren Verhältniß als Lehrer und Erzieher
des Großherzogs diesem fortwährend sehr nahe. Der Großherzog zog ihn nicht
blos in allgemeinen Angelegenheiten, sondern auch in Gewissenszweifcln zu
Rath. Kliefoth benutzte diese Stellung, um den Großherzog auf das Bedenk¬
liche und Gefährliche einzelner Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes vom
kirchlichen Standpunkt aus hinzuweisen und Zweifel in ihm zu wecken. ob er
es wohl vor Gott verantworten könne, die Bekenner Christi so zu betrüben,
wie es ihm als unausbleibliche Folge der Durchführung jener Bestimmungen
vorgestellt ward. Damit war denn die Bahn für Weiteres geebnet. Das
Festhalten an dem gegebenen Wort und der gelobten Treue konnte als ein
Bruch der schuldigen Treue gegen Gott, und der Abfall von Gesetz und Recht
als ein Gott wohlgefälliges Werk und als ein dem Volke geleisteter Dienst
ausgemalt werden. Die Lehre der Kirchlichen von der übergcsetzlichen Stellung
des Fürsten von Gottes Gnaden bot einen Hebel dar, um die Bedenken wegen
der durch das Gelöbniß eingegangenen Verpflichtungen aus den Angeln zu heben-

An dieser kirchlichen Agitation gegen das Staatsgrundgesetz ist allem An¬
scheine nach auch die junge Gemahlin des Großherzogs nicht unbetheiligt ge¬
blieben. Als Erbtheil ihrer Familie, welche in beiden Ascendentenlinien die
zinzcndorsischcn Einflüsse stark/hatte auf sich einwirken lassen, hatte sie ein
Christenthum mitgebracht, weiches auf die Beurtheilung weltlicher Dinge wenig
eingerichtet war, und in Werken der Wohlthätigkeit, in der Stiftung von christ-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/260>, abgerufen am 27.09.2024.