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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Der Zwang ist aber auch nöthig. Die Landleute haben durchaus kein
Herz zur Sache. Ein polnischer Edelmann, welcher vorübergehend an einem
der Zuzüge Theil nahm, schrieb u. A.: "Etwa um ein Uhr Nachts hörten
wir in der nächsten Umgegend die Trommel schlagen und blasen. Wir mußten
vermuthen, daß wir verrathen seien und Militär heranrücke, um uns zu um¬
zingeln. Es entstand eine förmliche Verwirrung. Das gemeine Volk verlor
zuerst den Muth, obgleich alle von ihnen Eins getrunken hatten. Wir hatten
Noth sie zu beruhigen; denn alle schrien und behaupteten: die Herren haben
uns verrathen, verkauft. Man sieht, daß es bei dem gemeinen Mann an
Muth und einem ernsten Willen fehlt; er ist durch schädlichen Einfluß zu
sehr demoralisirt. Am allerwenigsten dürfen wir daher auf unsere Bauern
rechnen; die meisten von ihnen sind Preußen, die zwar polnisch sprechen,
aber deutsch fühlen und denken. Diese Erfahrung habe ich schon oft ge¬
macht."

Er hätte die Erfahrung auch bei den jungen Leuten machen können, welche
um ihre Einstellung ins Heer bitten, damit sie nicht nöthig haben "hinüber-
zugehen", bei dem Bauer, der neulich seinem Arzte zu danken kam, daß er sich
nicht wärmer um die gewünschte Jnvaliditätserklärung seines Sohnes bemüht
habe, der ja nun als Soldat am allerbesten bewahrt sei; er konnte sie aus
der Thatsache entnehmen, daß das Generalcommando wagen durfte, polnische
Rekruten und Reservisten in der Provinz zu lassen, ohne auch nur eine Deser¬
tion beklagen zu dürfen. Sie hätte ihm endlich in den vielen kräftigen
jungen Bürgern entgegentreten können, die sich trotz allen Agitationseifers
noch durchaus nicht zum Zuzüge rüsten. Und aus was für Leute besteht das
freiwillig herzugclaufene Volk, namentlich das mit deutschem oder jüdischem
Namen! Abscheuliche Physiognomien, unter denen ein Polizeiauge nicht Wenige
als gute Bekannte herausfinden möchte.

Uebrigens gewährt der Fang, welchen das Militär vor etwa siebzehn
Tagen in Pleschen gethan hat, einen ohngefähren Ueberblick über das Verhältniß
der Betheiligung nach den Ständen. Unter 64 Verhafteten waren 9 Edelleute,
9 Oekonomen, 11 Formats, 1 Kutscher, 1 Vogt, 2 Knechte, 1 Bedienter,
13 Handwerker aus kleinen Städten, 1 Organist*), 1 Müllergescll, 1 Schänker,
4 crwcrblose Personen; also von L9 Männern 13, die nur mittelbar vo>u
Adel abhängen.

Der Adel ist wirklich mit großer Opferfreudigkeit betheiligt, und aus seinen
Reihen, wie aus denen junger Literaten (freilich meist solcher, die mit Prü¬
fungen oder andren Fatalitäten in Kampf liegen), sind dem Aufruhr scrM



") Organisten sind vom Kirchenpatron auf Kündigung angestellt.

Der Zwang ist aber auch nöthig. Die Landleute haben durchaus kein
Herz zur Sache. Ein polnischer Edelmann, welcher vorübergehend an einem
der Zuzüge Theil nahm, schrieb u. A.: „Etwa um ein Uhr Nachts hörten
wir in der nächsten Umgegend die Trommel schlagen und blasen. Wir mußten
vermuthen, daß wir verrathen seien und Militär heranrücke, um uns zu um¬
zingeln. Es entstand eine förmliche Verwirrung. Das gemeine Volk verlor
zuerst den Muth, obgleich alle von ihnen Eins getrunken hatten. Wir hatten
Noth sie zu beruhigen; denn alle schrien und behaupteten: die Herren haben
uns verrathen, verkauft. Man sieht, daß es bei dem gemeinen Mann an
Muth und einem ernsten Willen fehlt; er ist durch schädlichen Einfluß zu
sehr demoralisirt. Am allerwenigsten dürfen wir daher auf unsere Bauern
rechnen; die meisten von ihnen sind Preußen, die zwar polnisch sprechen,
aber deutsch fühlen und denken. Diese Erfahrung habe ich schon oft ge¬
macht."

Er hätte die Erfahrung auch bei den jungen Leuten machen können, welche
um ihre Einstellung ins Heer bitten, damit sie nicht nöthig haben „hinüber-
zugehen", bei dem Bauer, der neulich seinem Arzte zu danken kam, daß er sich
nicht wärmer um die gewünschte Jnvaliditätserklärung seines Sohnes bemüht
habe, der ja nun als Soldat am allerbesten bewahrt sei; er konnte sie aus
der Thatsache entnehmen, daß das Generalcommando wagen durfte, polnische
Rekruten und Reservisten in der Provinz zu lassen, ohne auch nur eine Deser¬
tion beklagen zu dürfen. Sie hätte ihm endlich in den vielen kräftigen
jungen Bürgern entgegentreten können, die sich trotz allen Agitationseifers
noch durchaus nicht zum Zuzüge rüsten. Und aus was für Leute besteht das
freiwillig herzugclaufene Volk, namentlich das mit deutschem oder jüdischem
Namen! Abscheuliche Physiognomien, unter denen ein Polizeiauge nicht Wenige
als gute Bekannte herausfinden möchte.

Uebrigens gewährt der Fang, welchen das Militär vor etwa siebzehn
Tagen in Pleschen gethan hat, einen ohngefähren Ueberblick über das Verhältniß
der Betheiligung nach den Ständen. Unter 64 Verhafteten waren 9 Edelleute,
9 Oekonomen, 11 Formats, 1 Kutscher, 1 Vogt, 2 Knechte, 1 Bedienter,
13 Handwerker aus kleinen Städten, 1 Organist*), 1 Müllergescll, 1 Schänker,
4 crwcrblose Personen; also von L9 Männern 13, die nur mittelbar vo>u
Adel abhängen.

Der Adel ist wirklich mit großer Opferfreudigkeit betheiligt, und aus seinen
Reihen, wie aus denen junger Literaten (freilich meist solcher, die mit Prü¬
fungen oder andren Fatalitäten in Kampf liegen), sind dem Aufruhr scrM



") Organisten sind vom Kirchenpatron auf Kündigung angestellt.
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[0252] Der Zwang ist aber auch nöthig. Die Landleute haben durchaus kein Herz zur Sache. Ein polnischer Edelmann, welcher vorübergehend an einem der Zuzüge Theil nahm, schrieb u. A.: „Etwa um ein Uhr Nachts hörten wir in der nächsten Umgegend die Trommel schlagen und blasen. Wir mußten vermuthen, daß wir verrathen seien und Militär heranrücke, um uns zu um¬ zingeln. Es entstand eine förmliche Verwirrung. Das gemeine Volk verlor zuerst den Muth, obgleich alle von ihnen Eins getrunken hatten. Wir hatten Noth sie zu beruhigen; denn alle schrien und behaupteten: die Herren haben uns verrathen, verkauft. Man sieht, daß es bei dem gemeinen Mann an Muth und einem ernsten Willen fehlt; er ist durch schädlichen Einfluß zu sehr demoralisirt. Am allerwenigsten dürfen wir daher auf unsere Bauern rechnen; die meisten von ihnen sind Preußen, die zwar polnisch sprechen, aber deutsch fühlen und denken. Diese Erfahrung habe ich schon oft ge¬ macht." Er hätte die Erfahrung auch bei den jungen Leuten machen können, welche um ihre Einstellung ins Heer bitten, damit sie nicht nöthig haben „hinüber- zugehen", bei dem Bauer, der neulich seinem Arzte zu danken kam, daß er sich nicht wärmer um die gewünschte Jnvaliditätserklärung seines Sohnes bemüht habe, der ja nun als Soldat am allerbesten bewahrt sei; er konnte sie aus der Thatsache entnehmen, daß das Generalcommando wagen durfte, polnische Rekruten und Reservisten in der Provinz zu lassen, ohne auch nur eine Deser¬ tion beklagen zu dürfen. Sie hätte ihm endlich in den vielen kräftigen jungen Bürgern entgegentreten können, die sich trotz allen Agitationseifers noch durchaus nicht zum Zuzüge rüsten. Und aus was für Leute besteht das freiwillig herzugclaufene Volk, namentlich das mit deutschem oder jüdischem Namen! Abscheuliche Physiognomien, unter denen ein Polizeiauge nicht Wenige als gute Bekannte herausfinden möchte. Uebrigens gewährt der Fang, welchen das Militär vor etwa siebzehn Tagen in Pleschen gethan hat, einen ohngefähren Ueberblick über das Verhältniß der Betheiligung nach den Ständen. Unter 64 Verhafteten waren 9 Edelleute, 9 Oekonomen, 11 Formats, 1 Kutscher, 1 Vogt, 2 Knechte, 1 Bedienter, 13 Handwerker aus kleinen Städten, 1 Organist*), 1 Müllergescll, 1 Schänker, 4 crwcrblose Personen; also von L9 Männern 13, die nur mittelbar vo>u Adel abhängen. Der Adel ist wirklich mit großer Opferfreudigkeit betheiligt, und aus seinen Reihen, wie aus denen junger Literaten (freilich meist solcher, die mit Prü¬ fungen oder andren Fatalitäten in Kampf liegen), sind dem Aufruhr scrM ") Organisten sind vom Kirchenpatron auf Kündigung angestellt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/252>, abgerufen am 20.10.2024.