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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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V. Hammerstein erfreut sich der Liebe seiner vormaligen Amtseingescssencn, aber
über diesen kleinen Kreis hinaus ist er kaum bekannt. Auch den Cultusminister
Lichtenberg kennen nur die eigentlichen politischen Kreise als einen wohlgesinnten
ängstlichen Ehrenmann; den erregten protestantischen Massen hat er eher An¬
stoß gegeben durch die vermittelnde Thätigkeit im Kirchcnstreit, welche er bisher
zu entwickeln hatte. Den neuen Finanzminister Erxleben kannten vor seiner
Ernennung nicht einmal die Politiker. Bleiben der Graf Platen im auswär¬
tigen Amt und der "dauerhafte" Kriegsminister von Brandis. die als Mit¬
schuldige des Systems Borries-Kiclmansegge natürlich nicht dazu beitragen, dem
Ministerium Popularität zu verschaffen. Nun scheint es freilich, daß dasselbe
bei den Wahlen auch auf den Einfluß der übrigen Exminister rechnet. Stüves
Collegen Braun haben sie zum Landdrosten in Stade gemacht -- den Grafen
Bennigsen wenigstens zum königlichen Commissär bei der internationalen land-
wirthschaftlichen Ausstellung in Hamburg. Liberal und großdeutsch-particulari-
st'sah. Wie sie sind, haben sie Ansprüche auf Stüves Unterstützung, den keine
Erfahrung hat zum Deutschen erziehen können, sondern der immer noch in erster
Linie Osnabrücker und in zweiter lediglich Hannoveraner ist. Sollte diese Ver¬
bindung noch rechtzeitig in verständlichen Zeichen an die Oeffentlichkeit treten,
so hätte die Fortschrittspartei allerdings den Nachhall der Verdienste gegen sich,
welche jene Männer sich in früherer Zeit um das Land erworben haben. Allein
auch dieses Hinderniß würde sie überwinden; es ist doch allenthalben ein star¬
kes Gefühl von der Unfähigkeit dieser altliberalen Größen verbreitet, der wach¬
senden Schwierigkeiten und ganz neuen Verwickelungen der Lage Herr zu werden.

Zwei starke Strömungen aus Nebengcbieten der eigentlichen Politik unter¬
stützen die Fortschrittspartei: die handelspolitische und die kirchliche. Was die
erstere betrifft, so ist die Gefahr des Zollvereins zwar noch zu entfernt, um
die Gemüther schon in ihren Tiefen aufzuregen. Zum Theil deswegen werden
-- in Hannover wie in Bayern - die Wahlen so früh ausgeschrieben wor¬
den sein. Allein auch von den Handelsverträgen mit Frankreich und Belgien
hui das Land nur Vortheil zu erwarten. Dies steht so fest, daß der gro߬
deutsche Parteihäuptling v. Nössing im vorigen Herbst in Frankfurt bekanntlich
geradezu erklärte, Hannover würde mit der Verwerfung des "Franzoscnvertrags"
seinen grvßdeutschen Freunden ein Opfer bringen, und daß die Negierung selbst sich
nicht getraut, ihre Abneigung gegen den Vertrag auf angebliche Landesintcresscn
ZU stützen. Dies zu thun blieb der komischen Figur des hauptstädtischen groß-
deutschen Vereins vorbehalten, einem gewissen Dr. Bärens, der den bremischen
Landwirthen, als sie sich für den Vertrag aussprachen, zurief, sie wollten also
französische Einquartirung haben? Die Agitation zu Gunsten des Handels¬
vertrags und des durch dessen Verwerfung bedrohten Zollvereins wird jetzt mit
allem Ernst ins Werk gesetzt werden, und es ist nicht zu bezweifeln, daß sie


V. Hammerstein erfreut sich der Liebe seiner vormaligen Amtseingescssencn, aber
über diesen kleinen Kreis hinaus ist er kaum bekannt. Auch den Cultusminister
Lichtenberg kennen nur die eigentlichen politischen Kreise als einen wohlgesinnten
ängstlichen Ehrenmann; den erregten protestantischen Massen hat er eher An¬
stoß gegeben durch die vermittelnde Thätigkeit im Kirchcnstreit, welche er bisher
zu entwickeln hatte. Den neuen Finanzminister Erxleben kannten vor seiner
Ernennung nicht einmal die Politiker. Bleiben der Graf Platen im auswär¬
tigen Amt und der „dauerhafte" Kriegsminister von Brandis. die als Mit¬
schuldige des Systems Borries-Kiclmansegge natürlich nicht dazu beitragen, dem
Ministerium Popularität zu verschaffen. Nun scheint es freilich, daß dasselbe
bei den Wahlen auch auf den Einfluß der übrigen Exminister rechnet. Stüves
Collegen Braun haben sie zum Landdrosten in Stade gemacht — den Grafen
Bennigsen wenigstens zum königlichen Commissär bei der internationalen land-
wirthschaftlichen Ausstellung in Hamburg. Liberal und großdeutsch-particulari-
st'sah. Wie sie sind, haben sie Ansprüche auf Stüves Unterstützung, den keine
Erfahrung hat zum Deutschen erziehen können, sondern der immer noch in erster
Linie Osnabrücker und in zweiter lediglich Hannoveraner ist. Sollte diese Ver¬
bindung noch rechtzeitig in verständlichen Zeichen an die Oeffentlichkeit treten,
so hätte die Fortschrittspartei allerdings den Nachhall der Verdienste gegen sich,
welche jene Männer sich in früherer Zeit um das Land erworben haben. Allein
auch dieses Hinderniß würde sie überwinden; es ist doch allenthalben ein star¬
kes Gefühl von der Unfähigkeit dieser altliberalen Größen verbreitet, der wach¬
senden Schwierigkeiten und ganz neuen Verwickelungen der Lage Herr zu werden.

Zwei starke Strömungen aus Nebengcbieten der eigentlichen Politik unter¬
stützen die Fortschrittspartei: die handelspolitische und die kirchliche. Was die
erstere betrifft, so ist die Gefahr des Zollvereins zwar noch zu entfernt, um
die Gemüther schon in ihren Tiefen aufzuregen. Zum Theil deswegen werden
— in Hannover wie in Bayern - die Wahlen so früh ausgeschrieben wor¬
den sein. Allein auch von den Handelsverträgen mit Frankreich und Belgien
hui das Land nur Vortheil zu erwarten. Dies steht so fest, daß der gro߬
deutsche Parteihäuptling v. Nössing im vorigen Herbst in Frankfurt bekanntlich
geradezu erklärte, Hannover würde mit der Verwerfung des „Franzoscnvertrags"
seinen grvßdeutschen Freunden ein Opfer bringen, und daß die Negierung selbst sich
nicht getraut, ihre Abneigung gegen den Vertrag auf angebliche Landesintcresscn
ZU stützen. Dies zu thun blieb der komischen Figur des hauptstädtischen groß-
deutschen Vereins vorbehalten, einem gewissen Dr. Bärens, der den bremischen
Landwirthen, als sie sich für den Vertrag aussprachen, zurief, sie wollten also
französische Einquartirung haben? Die Agitation zu Gunsten des Handels¬
vertrags und des durch dessen Verwerfung bedrohten Zollvereins wird jetzt mit
allem Ernst ins Werk gesetzt werden, und es ist nicht zu bezweifeln, daß sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/249>, abgerufen am 27.09.2024.