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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Stüve, Münchhausen und Sehele hat er einen trägen Trotz entgegengesetzt, der
18SS die Regierung zum Staatsstreich hindrängte und jetzt voraussichtlich das
Volk zur Aufnahme des Verfassungskampfes nöthigen wird. Um der armen
und auf die Staatspfründen angewiesenen hannoverschen Ritterschaft etwas ab¬
zugewinnen, mühten die neuen Minister Männer von ganz anderer Energie
und Stellung sein, als sie sind. Sie werden also auf die Dauer schwerlich
im Stande sein das Land von dem Entschlüsse abzuhalten, von der aussichts¬
losen Reform der jetzigen octroyirten Verfassung überzugehen zur Zurückfor-
derung der widerrechtlich aufgehobenen Verfassung von 1848. Man wird ihnen
eine Frist zu ihrem Experiment gönnen; wäre es auch nur um die ganze Be¬
völkerung mit der Ueberzeugung zu durchdringen, daß nur der Verfassungs¬
tampf überhaupt Erfolge verspricht. Aber da man Preußens Beispiel vor
Augen hat, so werden wenigstens die denkenden Köpfe an diesen Versuch von
vornherein mit einem Mißtrauen herantreten, das falsche Hingebung, damit
eine Verlängerung des nicht zum Ziele führenden Weges, und die Zeit und
Kraft raubende Umbildung der liberalen Partei erspart. So werden die nicht
zu überspringenden Stufen mindestens ungleich rascher und sicherer, als in
Preußen zurückgelegt werden.

Indem die Liberalen sich also vorbehalten, im Nothfall auf die noch im¬
mer zu Recht bestehende Verfassung von 1848 zurückzugreifen, werden sie das
Ministerium in allen vernünftigen Reformen unterstützen, welche es seinerseits
in Vorschlag bringen mag, und etwaige Lücken durch eigne Initiative ergänzen.
Sie werden der Regierung also nicht im Voraus eine scharfe und unerbittliche
Opposition ankündigen, wohl aber als eine vollkommen unabhängige Volkspartei
zu einer solchen sich bereit halten, wofern die Regierung dieselbe durch ver¬
kehrtes Thun oder auch durch Nichtsthun herausfordert. Auf dieser Grundlage
die Mehrzahl der wählenden Bevölkerung zu sammeln, kann bei einiger der
Bedeutung der Stunde angemessener Thätigkeit und Beweglichkeit nicht schwer
halten. Das Ministerium hat zwar die Vermuthung des guten Willens er¬
weckt, aber es fehlt ihm nicht nur an Vertrauen zu seiner Energie in der Ueber¬
windung höfischen und ritterschaftlichen Widerstandes, sondern auch an Namen
von alter und allgemeiner Popularität. Der Justizminister Windthorst ist von
den Exministern, welche 1856 die Opposition gegen Borries führten, zwar der
rührigste und gewandteste, aber auch der, welchem man durchweg am wenigsten
traut. Sein sehr hervortretender unruhiger Ehrgeiz und seine ultramontanen
Verbindungen verhindern, daß er über einige katholische Kreise hinaus Anhang
im Lande gewinne. Den katholischen Politikern freilich ist er schon als Mini¬
ster ihrer Confession -- eine von Georg dem Fünften eingeführte Neuerung
in dem altprotestantischen Lande Hannover -- ein Gegenstand der Verehrung
und des unbedingten Gehorsams; aber deren Einfluß reicht nicht weit. Herr


Stüve, Münchhausen und Sehele hat er einen trägen Trotz entgegengesetzt, der
18SS die Regierung zum Staatsstreich hindrängte und jetzt voraussichtlich das
Volk zur Aufnahme des Verfassungskampfes nöthigen wird. Um der armen
und auf die Staatspfründen angewiesenen hannoverschen Ritterschaft etwas ab¬
zugewinnen, mühten die neuen Minister Männer von ganz anderer Energie
und Stellung sein, als sie sind. Sie werden also auf die Dauer schwerlich
im Stande sein das Land von dem Entschlüsse abzuhalten, von der aussichts¬
losen Reform der jetzigen octroyirten Verfassung überzugehen zur Zurückfor-
derung der widerrechtlich aufgehobenen Verfassung von 1848. Man wird ihnen
eine Frist zu ihrem Experiment gönnen; wäre es auch nur um die ganze Be¬
völkerung mit der Ueberzeugung zu durchdringen, daß nur der Verfassungs¬
tampf überhaupt Erfolge verspricht. Aber da man Preußens Beispiel vor
Augen hat, so werden wenigstens die denkenden Köpfe an diesen Versuch von
vornherein mit einem Mißtrauen herantreten, das falsche Hingebung, damit
eine Verlängerung des nicht zum Ziele führenden Weges, und die Zeit und
Kraft raubende Umbildung der liberalen Partei erspart. So werden die nicht
zu überspringenden Stufen mindestens ungleich rascher und sicherer, als in
Preußen zurückgelegt werden.

Indem die Liberalen sich also vorbehalten, im Nothfall auf die noch im¬
mer zu Recht bestehende Verfassung von 1848 zurückzugreifen, werden sie das
Ministerium in allen vernünftigen Reformen unterstützen, welche es seinerseits
in Vorschlag bringen mag, und etwaige Lücken durch eigne Initiative ergänzen.
Sie werden der Regierung also nicht im Voraus eine scharfe und unerbittliche
Opposition ankündigen, wohl aber als eine vollkommen unabhängige Volkspartei
zu einer solchen sich bereit halten, wofern die Regierung dieselbe durch ver¬
kehrtes Thun oder auch durch Nichtsthun herausfordert. Auf dieser Grundlage
die Mehrzahl der wählenden Bevölkerung zu sammeln, kann bei einiger der
Bedeutung der Stunde angemessener Thätigkeit und Beweglichkeit nicht schwer
halten. Das Ministerium hat zwar die Vermuthung des guten Willens er¬
weckt, aber es fehlt ihm nicht nur an Vertrauen zu seiner Energie in der Ueber¬
windung höfischen und ritterschaftlichen Widerstandes, sondern auch an Namen
von alter und allgemeiner Popularität. Der Justizminister Windthorst ist von
den Exministern, welche 1856 die Opposition gegen Borries führten, zwar der
rührigste und gewandteste, aber auch der, welchem man durchweg am wenigsten
traut. Sein sehr hervortretender unruhiger Ehrgeiz und seine ultramontanen
Verbindungen verhindern, daß er über einige katholische Kreise hinaus Anhang
im Lande gewinne. Den katholischen Politikern freilich ist er schon als Mini¬
ster ihrer Confession — eine von Georg dem Fünften eingeführte Neuerung
in dem altprotestantischen Lande Hannover — ein Gegenstand der Verehrung
und des unbedingten Gehorsams; aber deren Einfluß reicht nicht weit. Herr


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[0248] Stüve, Münchhausen und Sehele hat er einen trägen Trotz entgegengesetzt, der 18SS die Regierung zum Staatsstreich hindrängte und jetzt voraussichtlich das Volk zur Aufnahme des Verfassungskampfes nöthigen wird. Um der armen und auf die Staatspfründen angewiesenen hannoverschen Ritterschaft etwas ab¬ zugewinnen, mühten die neuen Minister Männer von ganz anderer Energie und Stellung sein, als sie sind. Sie werden also auf die Dauer schwerlich im Stande sein das Land von dem Entschlüsse abzuhalten, von der aussichts¬ losen Reform der jetzigen octroyirten Verfassung überzugehen zur Zurückfor- derung der widerrechtlich aufgehobenen Verfassung von 1848. Man wird ihnen eine Frist zu ihrem Experiment gönnen; wäre es auch nur um die ganze Be¬ völkerung mit der Ueberzeugung zu durchdringen, daß nur der Verfassungs¬ tampf überhaupt Erfolge verspricht. Aber da man Preußens Beispiel vor Augen hat, so werden wenigstens die denkenden Köpfe an diesen Versuch von vornherein mit einem Mißtrauen herantreten, das falsche Hingebung, damit eine Verlängerung des nicht zum Ziele führenden Weges, und die Zeit und Kraft raubende Umbildung der liberalen Partei erspart. So werden die nicht zu überspringenden Stufen mindestens ungleich rascher und sicherer, als in Preußen zurückgelegt werden. Indem die Liberalen sich also vorbehalten, im Nothfall auf die noch im¬ mer zu Recht bestehende Verfassung von 1848 zurückzugreifen, werden sie das Ministerium in allen vernünftigen Reformen unterstützen, welche es seinerseits in Vorschlag bringen mag, und etwaige Lücken durch eigne Initiative ergänzen. Sie werden der Regierung also nicht im Voraus eine scharfe und unerbittliche Opposition ankündigen, wohl aber als eine vollkommen unabhängige Volkspartei zu einer solchen sich bereit halten, wofern die Regierung dieselbe durch ver¬ kehrtes Thun oder auch durch Nichtsthun herausfordert. Auf dieser Grundlage die Mehrzahl der wählenden Bevölkerung zu sammeln, kann bei einiger der Bedeutung der Stunde angemessener Thätigkeit und Beweglichkeit nicht schwer halten. Das Ministerium hat zwar die Vermuthung des guten Willens er¬ weckt, aber es fehlt ihm nicht nur an Vertrauen zu seiner Energie in der Ueber¬ windung höfischen und ritterschaftlichen Widerstandes, sondern auch an Namen von alter und allgemeiner Popularität. Der Justizminister Windthorst ist von den Exministern, welche 1856 die Opposition gegen Borries führten, zwar der rührigste und gewandteste, aber auch der, welchem man durchweg am wenigsten traut. Sein sehr hervortretender unruhiger Ehrgeiz und seine ultramontanen Verbindungen verhindern, daß er über einige katholische Kreise hinaus Anhang im Lande gewinne. Den katholischen Politikern freilich ist er schon als Mini¬ ster ihrer Confession — eine von Georg dem Fünften eingeführte Neuerung in dem altprotestantischen Lande Hannover — ein Gegenstand der Verehrung und des unbedingten Gehorsams; aber deren Einfluß reicht nicht weit. Herr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/248>, abgerufen am 27.09.2024.