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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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durch die mindestens zeitweilige Lücke, welche Preußens Verfinsterung in das
Programm des Nationalvereins gerissen hat. Es ist sonst durchaus nicht zu¬
fällig, daß Hannover sich gleich an den ersten Anfängen dieses Vereins hervor¬
ragend betheiligt und ihm seinen Präsidenten geliefert hat. In Hannover
hatte sich, von Stüve verführt, ein großer Theil der Bevölkerung eingebildet,
das Ereignis; von 1837 könne sich nicht wiederholen, und der allgemeine Um¬
sturz der 1848 errungenen Volksrechte werde an ihrem Lande unschädlich vorüber¬
gehen. Die Enttäuschung, welche 18S6 eintrat, war gründlich. Ader voll¬
ständig war auch ihre Wirkung. Das Gefühl der Abhängigkeit vom übrigen
Deutschland, die Schicksalsgemeinschaft mit allen andern deutschen Stämmen
war bereits allgemein geworden, als die Aufregung des Jahrs 1869 Gelegen¬
heit gab demselben Ausdruck und Folge zu geben. Es war deswegen kein
Wunder, wenn hannoversche Vaterlandsfreunde sich dem Versuch, durch fried¬
liche und gesetzliche Agitation mit der Begründung der nationalen Einheit zu¬
gleich die verfassungsmäßige Freiheit sicherzustellen, mit besonderer Wärme und
Ausdauer Hingaben. Da sie kein Stammesvorurtheil gegen ihre preußischen
Nachbarn zu überwinden hatten, so nahmen sie auch an der bevorzugten Stel¬
lung keinen Anstoß, weiche das einmal gegebene Verhältniß der Macht der
Dynastie Hohenzollern im künftigen deutschen Reiche einzuräumen nöthigte. Die
Dynastie Hohenzollern setzt indessen die Geduld des deutschen Volks auf eine
harte Probe; und es wird sich fragen, ob man im Zeitalter der Eisenbahnen
und Telegraphen so lange auf sie warten mag, als es dauert, bis sie ihre Zeit
und Umgebung einigermaßen begriffen hat. Es fragt sich serner, ob die bis
jetzt betrogene Rechnung auf sie das Nefvrmstreben des Nationalvereins nicht
überhaupt hoffnungslos macht, und ob sich in Folge dessen nicht die Bevöl¬
kerung selbst in sonst zugänglichen Gegenden von demselben abwenden wird.
Dies ist die wichtigste Frage unter denen, über welche der Ausgang des han-
noverschen Wahlkampfes entscheiden wird. Es liegt auf der Hand, daß das
Zusammentreffen der preußischen Krisis mit einem leidlich liberalen Regiment
im Innern der hannoverschen Fortschrittspartei ihre Aufgabe so gut erschwert
wie das in Bayern der Fall gewesen ist und nur in Nassau Dank der hart¬
näckigen Verblendung des Fürsten hintangehalten wird.

Indessen darf man nicht glauben, daß ein etwaiger politischer Bankerott
des Nativnalvcreins in Hannover schon gleichbedeutend sein würde mit der
Herrschaft der particularistischen großdeutschen Richtung. Die Koryphäen des
Nationalvercins sind hier auch seit Jahren die anerkannten und beliebten Führer
des activen Liberalismus, von denen man nicht abfallen, mit denen man viel¬
mehr gemeinschaftlich alsdann neue Ziele sich stecken und aufsuchen würde.
Etwas Anderes wäre es vielleicht, wenn der König sich entschlossen hätte oder
noch entschließen könnte, der Freiheit im Innern alle überhaupt populären Zu-


durch die mindestens zeitweilige Lücke, welche Preußens Verfinsterung in das
Programm des Nationalvereins gerissen hat. Es ist sonst durchaus nicht zu¬
fällig, daß Hannover sich gleich an den ersten Anfängen dieses Vereins hervor¬
ragend betheiligt und ihm seinen Präsidenten geliefert hat. In Hannover
hatte sich, von Stüve verführt, ein großer Theil der Bevölkerung eingebildet,
das Ereignis; von 1837 könne sich nicht wiederholen, und der allgemeine Um¬
sturz der 1848 errungenen Volksrechte werde an ihrem Lande unschädlich vorüber¬
gehen. Die Enttäuschung, welche 18S6 eintrat, war gründlich. Ader voll¬
ständig war auch ihre Wirkung. Das Gefühl der Abhängigkeit vom übrigen
Deutschland, die Schicksalsgemeinschaft mit allen andern deutschen Stämmen
war bereits allgemein geworden, als die Aufregung des Jahrs 1869 Gelegen¬
heit gab demselben Ausdruck und Folge zu geben. Es war deswegen kein
Wunder, wenn hannoversche Vaterlandsfreunde sich dem Versuch, durch fried¬
liche und gesetzliche Agitation mit der Begründung der nationalen Einheit zu¬
gleich die verfassungsmäßige Freiheit sicherzustellen, mit besonderer Wärme und
Ausdauer Hingaben. Da sie kein Stammesvorurtheil gegen ihre preußischen
Nachbarn zu überwinden hatten, so nahmen sie auch an der bevorzugten Stel¬
lung keinen Anstoß, weiche das einmal gegebene Verhältniß der Macht der
Dynastie Hohenzollern im künftigen deutschen Reiche einzuräumen nöthigte. Die
Dynastie Hohenzollern setzt indessen die Geduld des deutschen Volks auf eine
harte Probe; und es wird sich fragen, ob man im Zeitalter der Eisenbahnen
und Telegraphen so lange auf sie warten mag, als es dauert, bis sie ihre Zeit
und Umgebung einigermaßen begriffen hat. Es fragt sich serner, ob die bis
jetzt betrogene Rechnung auf sie das Nefvrmstreben des Nationalvereins nicht
überhaupt hoffnungslos macht, und ob sich in Folge dessen nicht die Bevöl¬
kerung selbst in sonst zugänglichen Gegenden von demselben abwenden wird.
Dies ist die wichtigste Frage unter denen, über welche der Ausgang des han-
noverschen Wahlkampfes entscheiden wird. Es liegt auf der Hand, daß das
Zusammentreffen der preußischen Krisis mit einem leidlich liberalen Regiment
im Innern der hannoverschen Fortschrittspartei ihre Aufgabe so gut erschwert
wie das in Bayern der Fall gewesen ist und nur in Nassau Dank der hart¬
näckigen Verblendung des Fürsten hintangehalten wird.

Indessen darf man nicht glauben, daß ein etwaiger politischer Bankerott
des Nativnalvcreins in Hannover schon gleichbedeutend sein würde mit der
Herrschaft der particularistischen großdeutschen Richtung. Die Koryphäen des
Nationalvercins sind hier auch seit Jahren die anerkannten und beliebten Führer
des activen Liberalismus, von denen man nicht abfallen, mit denen man viel¬
mehr gemeinschaftlich alsdann neue Ziele sich stecken und aufsuchen würde.
Etwas Anderes wäre es vielleicht, wenn der König sich entschlossen hätte oder
noch entschließen könnte, der Freiheit im Innern alle überhaupt populären Zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/246>, abgerufen am 27.09.2024.