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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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bruns. Es wurde Rath gehalten, wie man der hochmüthigen Großstadt einen
recht handgreiflichen Beweis geben könne, daß sie Unrecht habe, die Nach¬
barn von Chelbun geringzuschätzen, und der Mudebbir schlug vor, man solle
derselben seine Lampendochte bis auf Weiteres vorenthalten. Der Rath gefiel;
denn man meinte, nun müßten die Leute von Damaskus des Nachts im Dun¬
keln herumtappen. Leider war diese Rechnung ohne den Wirth gemacht; denn
die Damascener fanden Mittel und Wege, der ihnen angedrohten allgemeinen
Verfinsterung vorzubeugen. Ja die Chelbunier waren durch ihr Verfahren so¬
gar aus dem Regen in die Traufe gerathen. Noch heute rufen die Straßen¬
buben von Damaskus ihnen, die längst wieder mit ihren Dochten zu Markte
kommen, die Neckerei nach: "Was wäre Damaskus ohne eure Lampendochte!"

Noch besser sind folgende drei Anekdoten, die Petermann Von Chelbun
mittheilt.

Ein würdiger Bürger des Städtchens wollte Holz auf seinem Esel nach
der Hauptstadt führen. Er war aber ein Mann von barmherzigem Gemüth,
und da er bemerkte, daß dem Esel die Last zu schwer wurde, so nahm er ihm
die Scheite ab, lud sie sich selbst auf den Rücken und setzte sich damit auf den
Esel, auf diese Weise artig und verständig Rücksicht gegen sein Vieh mit Be¬
quemlichkeit für sich selbst verbindend.

Ein andrer Bewohner des syrischen Lalenburg war von seiner Gattin mit
einem Kinde beschenkt worden, und so mußte er eine Wiege haben. Was that
er, um sie nicht zu groß, aber auch nicht zu klein zu kaufen? Er maß die
Länge des Kindes mit beiden Händen und ging dann so mit ausgebreiteten
Armen die drei Stunden bis Damaskus. Hier aber litt sein kluger Ge¬
danke sehr bald Schiffbruch. Er gerieth in das Gedränge der Basars, wurde
von den ihm Begegnenden bald rechts, bald links an den Ellbogen gestoßen
und verlor so das Maß. Ein echter Mann von Chelbun indeß weiß sich immer
zu helfen, und so wußte es auch der unsere. Er ging nach Hause zurück, band
einen Stock, welcher genau die Länge der erforderlichen Wiege hatte, sich zwischen
die beiden ausgebreiteten Arme und gelangte so glücklich zu einem Tischler und
durch diesen zu seinem Begehr.

Ein Knabe von Chelbun hatte einst seine Hand in einen enghalsigen
Krug gesteckt, um sich einige von den in diesem aufbewahrten Walnüssen zu
nehmen, und konnte, da er die Hand voll hatte, sie nicht wieder herausbringen.
Er schrie jämmerlich, so daß die gesammte Bürgerschaft darüber zusammenlief.
Aber wie sehr man sich auch anstrengte, der Hand mit den Nüssen einen Aus¬
weg aus ihrer Gefangenschaft zu ersinnen, es ließ sich keiner finden. Endlich
erschien der Mudebbir, legte den Finger an die Nase und entdeckte nach einigem
Nachdenken den Ausweg. Seine Meinung ging kurz und schlicht dahin, man
müsse die Hand, abhauen. Schon war man im Begriff, dieser Weisheit mit


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bruns. Es wurde Rath gehalten, wie man der hochmüthigen Großstadt einen
recht handgreiflichen Beweis geben könne, daß sie Unrecht habe, die Nach¬
barn von Chelbun geringzuschätzen, und der Mudebbir schlug vor, man solle
derselben seine Lampendochte bis auf Weiteres vorenthalten. Der Rath gefiel;
denn man meinte, nun müßten die Leute von Damaskus des Nachts im Dun¬
keln herumtappen. Leider war diese Rechnung ohne den Wirth gemacht; denn
die Damascener fanden Mittel und Wege, der ihnen angedrohten allgemeinen
Verfinsterung vorzubeugen. Ja die Chelbunier waren durch ihr Verfahren so¬
gar aus dem Regen in die Traufe gerathen. Noch heute rufen die Straßen¬
buben von Damaskus ihnen, die längst wieder mit ihren Dochten zu Markte
kommen, die Neckerei nach: „Was wäre Damaskus ohne eure Lampendochte!"

Noch besser sind folgende drei Anekdoten, die Petermann Von Chelbun
mittheilt.

Ein würdiger Bürger des Städtchens wollte Holz auf seinem Esel nach
der Hauptstadt führen. Er war aber ein Mann von barmherzigem Gemüth,
und da er bemerkte, daß dem Esel die Last zu schwer wurde, so nahm er ihm
die Scheite ab, lud sie sich selbst auf den Rücken und setzte sich damit auf den
Esel, auf diese Weise artig und verständig Rücksicht gegen sein Vieh mit Be¬
quemlichkeit für sich selbst verbindend.

Ein andrer Bewohner des syrischen Lalenburg war von seiner Gattin mit
einem Kinde beschenkt worden, und so mußte er eine Wiege haben. Was that
er, um sie nicht zu groß, aber auch nicht zu klein zu kaufen? Er maß die
Länge des Kindes mit beiden Händen und ging dann so mit ausgebreiteten
Armen die drei Stunden bis Damaskus. Hier aber litt sein kluger Ge¬
danke sehr bald Schiffbruch. Er gerieth in das Gedränge der Basars, wurde
von den ihm Begegnenden bald rechts, bald links an den Ellbogen gestoßen
und verlor so das Maß. Ein echter Mann von Chelbun indeß weiß sich immer
zu helfen, und so wußte es auch der unsere. Er ging nach Hause zurück, band
einen Stock, welcher genau die Länge der erforderlichen Wiege hatte, sich zwischen
die beiden ausgebreiteten Arme und gelangte so glücklich zu einem Tischler und
durch diesen zu seinem Begehr.

Ein Knabe von Chelbun hatte einst seine Hand in einen enghalsigen
Krug gesteckt, um sich einige von den in diesem aufbewahrten Walnüssen zu
nehmen, und konnte, da er die Hand voll hatte, sie nicht wieder herausbringen.
Er schrie jämmerlich, so daß die gesammte Bürgerschaft darüber zusammenlief.
Aber wie sehr man sich auch anstrengte, der Hand mit den Nüssen einen Aus¬
weg aus ihrer Gefangenschaft zu ersinnen, es ließ sich keiner finden. Endlich
erschien der Mudebbir, legte den Finger an die Nase und entdeckte nach einigem
Nachdenken den Ausweg. Seine Meinung ging kurz und schlicht dahin, man
müsse die Hand, abhauen. Schon war man im Begriff, dieser Weisheit mit


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[0239] bruns. Es wurde Rath gehalten, wie man der hochmüthigen Großstadt einen recht handgreiflichen Beweis geben könne, daß sie Unrecht habe, die Nach¬ barn von Chelbun geringzuschätzen, und der Mudebbir schlug vor, man solle derselben seine Lampendochte bis auf Weiteres vorenthalten. Der Rath gefiel; denn man meinte, nun müßten die Leute von Damaskus des Nachts im Dun¬ keln herumtappen. Leider war diese Rechnung ohne den Wirth gemacht; denn die Damascener fanden Mittel und Wege, der ihnen angedrohten allgemeinen Verfinsterung vorzubeugen. Ja die Chelbunier waren durch ihr Verfahren so¬ gar aus dem Regen in die Traufe gerathen. Noch heute rufen die Straßen¬ buben von Damaskus ihnen, die längst wieder mit ihren Dochten zu Markte kommen, die Neckerei nach: „Was wäre Damaskus ohne eure Lampendochte!" Noch besser sind folgende drei Anekdoten, die Petermann Von Chelbun mittheilt. Ein würdiger Bürger des Städtchens wollte Holz auf seinem Esel nach der Hauptstadt führen. Er war aber ein Mann von barmherzigem Gemüth, und da er bemerkte, daß dem Esel die Last zu schwer wurde, so nahm er ihm die Scheite ab, lud sie sich selbst auf den Rücken und setzte sich damit auf den Esel, auf diese Weise artig und verständig Rücksicht gegen sein Vieh mit Be¬ quemlichkeit für sich selbst verbindend. Ein andrer Bewohner des syrischen Lalenburg war von seiner Gattin mit einem Kinde beschenkt worden, und so mußte er eine Wiege haben. Was that er, um sie nicht zu groß, aber auch nicht zu klein zu kaufen? Er maß die Länge des Kindes mit beiden Händen und ging dann so mit ausgebreiteten Armen die drei Stunden bis Damaskus. Hier aber litt sein kluger Ge¬ danke sehr bald Schiffbruch. Er gerieth in das Gedränge der Basars, wurde von den ihm Begegnenden bald rechts, bald links an den Ellbogen gestoßen und verlor so das Maß. Ein echter Mann von Chelbun indeß weiß sich immer zu helfen, und so wußte es auch der unsere. Er ging nach Hause zurück, band einen Stock, welcher genau die Länge der erforderlichen Wiege hatte, sich zwischen die beiden ausgebreiteten Arme und gelangte so glücklich zu einem Tischler und durch diesen zu seinem Begehr. Ein Knabe von Chelbun hatte einst seine Hand in einen enghalsigen Krug gesteckt, um sich einige von den in diesem aufbewahrten Walnüssen zu nehmen, und konnte, da er die Hand voll hatte, sie nicht wieder herausbringen. Er schrie jämmerlich, so daß die gesammte Bürgerschaft darüber zusammenlief. Aber wie sehr man sich auch anstrengte, der Hand mit den Nüssen einen Aus¬ weg aus ihrer Gefangenschaft zu ersinnen, es ließ sich keiner finden. Endlich erschien der Mudebbir, legte den Finger an die Nase und entdeckte nach einigem Nachdenken den Ausweg. Seine Meinung ging kurz und schlicht dahin, man müsse die Hand, abhauen. Schon war man im Begriff, dieser Weisheit mit 30*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/239>, abgerufen am 27.09.2024.