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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Einige Beispiele aus der Fülle lustiger Geschichten, welche Damaskus sich
von ihnen erzählt, mögen ihre Weltanschauung charakterisiren und ihnen die
Stellung anweisen, die sie in der Classenordnung der wunderlichen Käuze ein¬
zunehmen haben. Wie sie in den Libanon gekommen sind, bleibt Gegenstand
bloßer Vermuthung. Möglich, daß die Chelbunier Nachkommen germanischer
Laien sind, die durch die Kreuzzüge in diesen Winkel Syriens verschlagen
wurden. Möglich auch, daß sie, welche der Sage nach früher Christen waren,
bei den Rechtgläubigen eine levis rotae inaeulg, behalten haben, mit der sich
im Laufe der Zeit allerlei in der Luft schwebende Anekdoten verbanden. Ge¬
wiß oder doch sehr wahrscheinlich ist nur. daß diese in der Luft schwebenden
Anekdoten und schwanke nicht hier zu Lande gewachsen sind, sondern aus der
Urheimat!) unsrer Culturgeschichte, d. h. aus Indien stammen, woher ja auch eine
gute Anzahl unsrer Märchen gebürtig sind. Die Ähnlichkeit mehrer der fol¬
genden Geschichtchen mit denen, die uns das Buch von den Schildbürgern
meldet, springt so in die Augen, daß es eines ausführlichen Hinweises auf sie
nicht bedarf, und andere wieder erinnern sogar in manchen Nebenumständen
an Schwabcnstückchcn. die von verschiedenen noch heute existirenden und blü¬
henden Orten Deutschlands berichtet werden.

Einst verbarg sich der Vollmond in Chelbun hinter dichten Wolken, so das"
er vollständig verloren gegangen zu sein schien. Alles gerieth in Aufregung,
und man rief nach dem Mudebbir (dein klugen Mann und Allerweltsrathgebcr)
des Ortes, um. seine Meinung zu vernehmen. Er kam, und seine Ansicht ging
dahin, daß die Bauern eines Nachbardorfes den Mond gestohlen hätten.
Sogleich luden sämmtliche Mannen von Chelbun ihre langen Flinten und
machten sich nach dem besagten Dorfe auf, um den Dieben ihren Raub wieder
abzujagen. Noch aber waren sie nicht bis zur Stelle gelangt, als der Mond
wieder in vollem Glänze aus den Wolken trat. Triumphirend zogen die
Tapfern^ heim, überzeugt, daß jene aus Furcht vor ihren kriegerischen Anstalten
den Mond wieder herausgegeben hätten.

Ein ander Mal war den Chelbunier" ein Berg nicht recht, da er ihnen die
Mittagssonne entzog. Rasch entschlossen machten sie sich daran, ihn ein Stück
bei Seite zu rücken, aber unglücklicherweise riß ihnen der um einen Baum ge¬
schlungene Strick, mit dem die Versetzung des Berges bewerkstelligt werden
sollte, und viele thaten dabei einen bösen Fall.

Ferner wollte das Volk von Chelbun einst eine Republik begründen, und
fast hätten sie dieselbe fertig bekommen. Der Plan scheiterte nur daran, daß
das Städtchen nicht so viel Männer besaß, um die Aemter zu besetzen, welche
man zu schaffen gedachte.

Eine vierte Geschichte. Lange schon wurmte es die Chelbunier, daß die
Damascener sie über die Achsel ansahen. Endlich kam der Verdruß zum Aus-


Einige Beispiele aus der Fülle lustiger Geschichten, welche Damaskus sich
von ihnen erzählt, mögen ihre Weltanschauung charakterisiren und ihnen die
Stellung anweisen, die sie in der Classenordnung der wunderlichen Käuze ein¬
zunehmen haben. Wie sie in den Libanon gekommen sind, bleibt Gegenstand
bloßer Vermuthung. Möglich, daß die Chelbunier Nachkommen germanischer
Laien sind, die durch die Kreuzzüge in diesen Winkel Syriens verschlagen
wurden. Möglich auch, daß sie, welche der Sage nach früher Christen waren,
bei den Rechtgläubigen eine levis rotae inaeulg, behalten haben, mit der sich
im Laufe der Zeit allerlei in der Luft schwebende Anekdoten verbanden. Ge¬
wiß oder doch sehr wahrscheinlich ist nur. daß diese in der Luft schwebenden
Anekdoten und schwanke nicht hier zu Lande gewachsen sind, sondern aus der
Urheimat!) unsrer Culturgeschichte, d. h. aus Indien stammen, woher ja auch eine
gute Anzahl unsrer Märchen gebürtig sind. Die Ähnlichkeit mehrer der fol¬
genden Geschichtchen mit denen, die uns das Buch von den Schildbürgern
meldet, springt so in die Augen, daß es eines ausführlichen Hinweises auf sie
nicht bedarf, und andere wieder erinnern sogar in manchen Nebenumständen
an Schwabcnstückchcn. die von verschiedenen noch heute existirenden und blü¬
henden Orten Deutschlands berichtet werden.

Einst verbarg sich der Vollmond in Chelbun hinter dichten Wolken, so das»
er vollständig verloren gegangen zu sein schien. Alles gerieth in Aufregung,
und man rief nach dem Mudebbir (dein klugen Mann und Allerweltsrathgebcr)
des Ortes, um. seine Meinung zu vernehmen. Er kam, und seine Ansicht ging
dahin, daß die Bauern eines Nachbardorfes den Mond gestohlen hätten.
Sogleich luden sämmtliche Mannen von Chelbun ihre langen Flinten und
machten sich nach dem besagten Dorfe auf, um den Dieben ihren Raub wieder
abzujagen. Noch aber waren sie nicht bis zur Stelle gelangt, als der Mond
wieder in vollem Glänze aus den Wolken trat. Triumphirend zogen die
Tapfern^ heim, überzeugt, daß jene aus Furcht vor ihren kriegerischen Anstalten
den Mond wieder herausgegeben hätten.

Ein ander Mal war den Chelbunier» ein Berg nicht recht, da er ihnen die
Mittagssonne entzog. Rasch entschlossen machten sie sich daran, ihn ein Stück
bei Seite zu rücken, aber unglücklicherweise riß ihnen der um einen Baum ge¬
schlungene Strick, mit dem die Versetzung des Berges bewerkstelligt werden
sollte, und viele thaten dabei einen bösen Fall.

Ferner wollte das Volk von Chelbun einst eine Republik begründen, und
fast hätten sie dieselbe fertig bekommen. Der Plan scheiterte nur daran, daß
das Städtchen nicht so viel Männer besaß, um die Aemter zu besetzen, welche
man zu schaffen gedachte.

Eine vierte Geschichte. Lange schon wurmte es die Chelbunier, daß die
Damascener sie über die Achsel ansahen. Endlich kam der Verdruß zum Aus-


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[0238] Einige Beispiele aus der Fülle lustiger Geschichten, welche Damaskus sich von ihnen erzählt, mögen ihre Weltanschauung charakterisiren und ihnen die Stellung anweisen, die sie in der Classenordnung der wunderlichen Käuze ein¬ zunehmen haben. Wie sie in den Libanon gekommen sind, bleibt Gegenstand bloßer Vermuthung. Möglich, daß die Chelbunier Nachkommen germanischer Laien sind, die durch die Kreuzzüge in diesen Winkel Syriens verschlagen wurden. Möglich auch, daß sie, welche der Sage nach früher Christen waren, bei den Rechtgläubigen eine levis rotae inaeulg, behalten haben, mit der sich im Laufe der Zeit allerlei in der Luft schwebende Anekdoten verbanden. Ge¬ wiß oder doch sehr wahrscheinlich ist nur. daß diese in der Luft schwebenden Anekdoten und schwanke nicht hier zu Lande gewachsen sind, sondern aus der Urheimat!) unsrer Culturgeschichte, d. h. aus Indien stammen, woher ja auch eine gute Anzahl unsrer Märchen gebürtig sind. Die Ähnlichkeit mehrer der fol¬ genden Geschichtchen mit denen, die uns das Buch von den Schildbürgern meldet, springt so in die Augen, daß es eines ausführlichen Hinweises auf sie nicht bedarf, und andere wieder erinnern sogar in manchen Nebenumständen an Schwabcnstückchcn. die von verschiedenen noch heute existirenden und blü¬ henden Orten Deutschlands berichtet werden. Einst verbarg sich der Vollmond in Chelbun hinter dichten Wolken, so das» er vollständig verloren gegangen zu sein schien. Alles gerieth in Aufregung, und man rief nach dem Mudebbir (dein klugen Mann und Allerweltsrathgebcr) des Ortes, um. seine Meinung zu vernehmen. Er kam, und seine Ansicht ging dahin, daß die Bauern eines Nachbardorfes den Mond gestohlen hätten. Sogleich luden sämmtliche Mannen von Chelbun ihre langen Flinten und machten sich nach dem besagten Dorfe auf, um den Dieben ihren Raub wieder abzujagen. Noch aber waren sie nicht bis zur Stelle gelangt, als der Mond wieder in vollem Glänze aus den Wolken trat. Triumphirend zogen die Tapfern^ heim, überzeugt, daß jene aus Furcht vor ihren kriegerischen Anstalten den Mond wieder herausgegeben hätten. Ein ander Mal war den Chelbunier» ein Berg nicht recht, da er ihnen die Mittagssonne entzog. Rasch entschlossen machten sie sich daran, ihn ein Stück bei Seite zu rücken, aber unglücklicherweise riß ihnen der um einen Baum ge¬ schlungene Strick, mit dem die Versetzung des Berges bewerkstelligt werden sollte, und viele thaten dabei einen bösen Fall. Ferner wollte das Volk von Chelbun einst eine Republik begründen, und fast hätten sie dieselbe fertig bekommen. Der Plan scheiterte nur daran, daß das Städtchen nicht so viel Männer besaß, um die Aemter zu besetzen, welche man zu schaffen gedachte. Eine vierte Geschichte. Lange schon wurmte es die Chelbunier, daß die Damascener sie über die Achsel ansahen. Endlich kam der Verdruß zum Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/238>, abgerufen am 27.09.2024.