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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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schmelzen, hielt sie dieselben vielmehr in Spannung, um sie gegen einander
wirken und sich an einander zerreiben z" lassen. Sowohl Metternichs Stabilitäts¬
politik in ihrem ängstlichen Bestreben, jedes Auftauchen der Nationalitätcnfrage zu
verhüten, wie Bachs und Schwarzenbergs schroffe Ccntralisationspolitik, die sich
von dem metternichschcn System mehr durch die gesteigerte Energie als durch das
Ziel unterscheidet, stützte sich vor allem aus die Rivalität der magyarischen und
der slavischen Elemente. Und auch gegenwärtig, wo das handhabe Experimen¬
tiren auf constitutionellen Wege wiederholt wird, ist die Eifersucht der östlichen
Nationalitäten der Kitt, der den tief zerrütteten Bau des Staates zu-
sammenhält.

Daß ein derartiges System, welches die Einheit des Reiches auf das
gegenseitige Abstoßen seiner Elemente begründen will, und um die Existenz
des Ganzen zu erhalten, die Lebenskraft der Theile zerstört, keine große Hoff¬
nung auf einen dauernden Erfolg gewährt, ist allerdings sehr klar. Indessen
läßt sich nicht in Abrede stellen, daß, wenn Oestreich einmal darauf verzichtet,
seine ganze Kraft auf die Verschmelzung dieser Völkerschaften zu verwenden,
ein anderer Ausweg als der angegebene ihm gar nicht übrig bleibt. Der Ver¬
such einer schöpferischen Politik im Osten mit halber Kraft könnte nur verderb¬
et) sein. Denn wenn wir auch die Stärke des Widerstandes, den jeder Versuch
der Art bei den Slaven finden würde, an sich nicht allzu hoch anschlagen, so
darf man nicht vergessen, daß jede gegen Oestreich gerichtete Bewegung die¬
ser Stämme einen gewaltigen Stützpunkt in der slavischen Bevölkerung der
Türkei und Rußlands finden würde. Das drohende Gespenst eines südslavisch-
rumänischen Reiches ist das Hinderniß, welches jede freie wahrhaft fruchtbare
Lebensthätigkeit Oestreichs lähmt und es in Bahnen festhält, auf denen es
Wohl schreitet, aber nicht vorwärts geht. Daß gegenwärtig Nußland mit den
civilisirtesten der slavischen Stämme in offener Fehde ringt, ist ein für Oestreich
in vieler Beziehung günstiges, in andrer Beziehung aber auch gefährliches
Ereigniß, mit dem zu spielen die östreichischen Staatsmänner trotz der verführe¬
rischen Verlockungen denn doch die ernstesten Bedenken tragen. Die südslavi¬
schen Sympathien für Rußland bleiben davon unberührt, und die augenblick¬
lich wohl gestörte Einwirkung Rußlands auf die Südslaven wird, sobald die
jetzigen Verlegenheiten des Czarenreiches beseitigt sein werden, ohne Zweifel
mit erneuter Lebhaftigkeit aufgenommen werden.

Die Bewegungen der slavischen Stämme in der Türkei sind also sowohl
wegen ihrer Einwirkung auf die Austroslavcn mit Gefahr verbunden, als auch,
weil dieselben nach Rußland gravitiren und jeder erfolgreiche Aufstand derselben
Rußland zum mittelbaren oder unmittelbaren Herrn der Donaufürstenthümer
machen würde. Dies zu verhindern ist aber ohne Zweifel die erste unter den
defensiven Aufgaben der östreichischen Politik, da mit der Gründung einer


schmelzen, hielt sie dieselben vielmehr in Spannung, um sie gegen einander
wirken und sich an einander zerreiben z» lassen. Sowohl Metternichs Stabilitäts¬
politik in ihrem ängstlichen Bestreben, jedes Auftauchen der Nationalitätcnfrage zu
verhüten, wie Bachs und Schwarzenbergs schroffe Ccntralisationspolitik, die sich
von dem metternichschcn System mehr durch die gesteigerte Energie als durch das
Ziel unterscheidet, stützte sich vor allem aus die Rivalität der magyarischen und
der slavischen Elemente. Und auch gegenwärtig, wo das handhabe Experimen¬
tiren auf constitutionellen Wege wiederholt wird, ist die Eifersucht der östlichen
Nationalitäten der Kitt, der den tief zerrütteten Bau des Staates zu-
sammenhält.

Daß ein derartiges System, welches die Einheit des Reiches auf das
gegenseitige Abstoßen seiner Elemente begründen will, und um die Existenz
des Ganzen zu erhalten, die Lebenskraft der Theile zerstört, keine große Hoff¬
nung auf einen dauernden Erfolg gewährt, ist allerdings sehr klar. Indessen
läßt sich nicht in Abrede stellen, daß, wenn Oestreich einmal darauf verzichtet,
seine ganze Kraft auf die Verschmelzung dieser Völkerschaften zu verwenden,
ein anderer Ausweg als der angegebene ihm gar nicht übrig bleibt. Der Ver¬
such einer schöpferischen Politik im Osten mit halber Kraft könnte nur verderb¬
et) sein. Denn wenn wir auch die Stärke des Widerstandes, den jeder Versuch
der Art bei den Slaven finden würde, an sich nicht allzu hoch anschlagen, so
darf man nicht vergessen, daß jede gegen Oestreich gerichtete Bewegung die¬
ser Stämme einen gewaltigen Stützpunkt in der slavischen Bevölkerung der
Türkei und Rußlands finden würde. Das drohende Gespenst eines südslavisch-
rumänischen Reiches ist das Hinderniß, welches jede freie wahrhaft fruchtbare
Lebensthätigkeit Oestreichs lähmt und es in Bahnen festhält, auf denen es
Wohl schreitet, aber nicht vorwärts geht. Daß gegenwärtig Nußland mit den
civilisirtesten der slavischen Stämme in offener Fehde ringt, ist ein für Oestreich
in vieler Beziehung günstiges, in andrer Beziehung aber auch gefährliches
Ereigniß, mit dem zu spielen die östreichischen Staatsmänner trotz der verführe¬
rischen Verlockungen denn doch die ernstesten Bedenken tragen. Die südslavi¬
schen Sympathien für Rußland bleiben davon unberührt, und die augenblick¬
lich wohl gestörte Einwirkung Rußlands auf die Südslaven wird, sobald die
jetzigen Verlegenheiten des Czarenreiches beseitigt sein werden, ohne Zweifel
mit erneuter Lebhaftigkeit aufgenommen werden.

Die Bewegungen der slavischen Stämme in der Türkei sind also sowohl
wegen ihrer Einwirkung auf die Austroslavcn mit Gefahr verbunden, als auch,
weil dieselben nach Rußland gravitiren und jeder erfolgreiche Aufstand derselben
Rußland zum mittelbaren oder unmittelbaren Herrn der Donaufürstenthümer
machen würde. Dies zu verhindern ist aber ohne Zweifel die erste unter den
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[0227] schmelzen, hielt sie dieselben vielmehr in Spannung, um sie gegen einander wirken und sich an einander zerreiben z» lassen. Sowohl Metternichs Stabilitäts¬ politik in ihrem ängstlichen Bestreben, jedes Auftauchen der Nationalitätcnfrage zu verhüten, wie Bachs und Schwarzenbergs schroffe Ccntralisationspolitik, die sich von dem metternichschcn System mehr durch die gesteigerte Energie als durch das Ziel unterscheidet, stützte sich vor allem aus die Rivalität der magyarischen und der slavischen Elemente. Und auch gegenwärtig, wo das handhabe Experimen¬ tiren auf constitutionellen Wege wiederholt wird, ist die Eifersucht der östlichen Nationalitäten der Kitt, der den tief zerrütteten Bau des Staates zu- sammenhält. Daß ein derartiges System, welches die Einheit des Reiches auf das gegenseitige Abstoßen seiner Elemente begründen will, und um die Existenz des Ganzen zu erhalten, die Lebenskraft der Theile zerstört, keine große Hoff¬ nung auf einen dauernden Erfolg gewährt, ist allerdings sehr klar. Indessen läßt sich nicht in Abrede stellen, daß, wenn Oestreich einmal darauf verzichtet, seine ganze Kraft auf die Verschmelzung dieser Völkerschaften zu verwenden, ein anderer Ausweg als der angegebene ihm gar nicht übrig bleibt. Der Ver¬ such einer schöpferischen Politik im Osten mit halber Kraft könnte nur verderb¬ et) sein. Denn wenn wir auch die Stärke des Widerstandes, den jeder Versuch der Art bei den Slaven finden würde, an sich nicht allzu hoch anschlagen, so darf man nicht vergessen, daß jede gegen Oestreich gerichtete Bewegung die¬ ser Stämme einen gewaltigen Stützpunkt in der slavischen Bevölkerung der Türkei und Rußlands finden würde. Das drohende Gespenst eines südslavisch- rumänischen Reiches ist das Hinderniß, welches jede freie wahrhaft fruchtbare Lebensthätigkeit Oestreichs lähmt und es in Bahnen festhält, auf denen es Wohl schreitet, aber nicht vorwärts geht. Daß gegenwärtig Nußland mit den civilisirtesten der slavischen Stämme in offener Fehde ringt, ist ein für Oestreich in vieler Beziehung günstiges, in andrer Beziehung aber auch gefährliches Ereigniß, mit dem zu spielen die östreichischen Staatsmänner trotz der verführe¬ rischen Verlockungen denn doch die ernstesten Bedenken tragen. Die südslavi¬ schen Sympathien für Rußland bleiben davon unberührt, und die augenblick¬ lich wohl gestörte Einwirkung Rußlands auf die Südslaven wird, sobald die jetzigen Verlegenheiten des Czarenreiches beseitigt sein werden, ohne Zweifel mit erneuter Lebhaftigkeit aufgenommen werden. Die Bewegungen der slavischen Stämme in der Türkei sind also sowohl wegen ihrer Einwirkung auf die Austroslavcn mit Gefahr verbunden, als auch, weil dieselben nach Rußland gravitiren und jeder erfolgreiche Aufstand derselben Rußland zum mittelbaren oder unmittelbaren Herrn der Donaufürstenthümer machen würde. Dies zu verhindern ist aber ohne Zweifel die erste unter den defensiven Aufgaben der östreichischen Politik, da mit der Gründung einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/227>, abgerufen am 20.10.2024.