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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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wäre aber ein überaus verwegenes und hoffnungsloses Unterfangen gewesen.
Mit Recht wird die unfruchtbare Politik getadelt, die für Oestreich schließlich
aus diesem Dilemma hervorging. Doch darf man nicht vergessen, daß die
Aufgabe, die Oestreich nach Osten rief, auch bei Anspannung aller Kräfte eine
sehr schwierige und verdrießliche war, daß sie dem allgemeinen Zuge der dama¬
ligen Politik widersprach und daß die Magnete, die Oestreich nach Deutschland
und Italien zogen, sehr stark und für eine bis zur vollendeten Meisterschaft
routinirte, aber jedes Schwunges, jedes höheren Gesichtspunktes, jeder Pro-
ductivität ermangelnde Staatskunst, wie die Metternichs war, überaus ver¬
lockend waren. Dabei war es nicht etwa eine willkürliche staatsmännische Laune,
wenn Oestreich nach der Herrschaft in Deutschland und Italien strebte. Es ver¬
folgte vielmehr in diesem Streben ererbte Tendenzen seiner Politik, Tendenzen,
auf denen zum großen Theil gerade die glänzenden Titel des östreichischen Namens
beruhten. Sollte Oestreich in beiden Ländern seine Ansprüche herabstimmen, um i"
Italien dem nationalen Elemente, in Deutschland dem preußischen Staate die
Stellung abzutreten, die es selbst ohne Mühe und Gefahren behauptete,? Ein
derartiger Act der Selbstbeschränkung ließ sich nur erwarten, wenn die Aussicht
auf glänzende Erfolge nach Osten wirkte.

Statt der Aussicht auf glänzende Erfolge zeigten sich aber von jeder Seite
zunächst nur Schwierigkeiten, die indessen für eine schöpferische Staatskunst
keineswegs unüberwindlich waren. Leider lag indessen in den Verhältnissen
keine unmittelbare Nöthigung, es mit einer solchen zu versuchen, da, auch ab¬
gesehen von den schon bewährten, aus der allgemeinen politischen Lage sich er¬
gebenden Erwägungen, die eigenthümlichen gegenseitigen Beziehungen der öst¬
lichen Stämme des Reiches der politischen Routine, dem traditionellen System
des Finessirens eine bequeme Handhabe zur Entwickelung ihrer Künste boten.
Offenbar ist Ungarn der Kernpunkt der östlichen Gruppe der Monarchie, jedoch
umgeben und vermischt mit einer Anzahl meist slavischer Elemente, die im
Gegensatze zum Magyarenthum stehen. Man kann gewiß nicht sagen, daß
diese Stämme Sympathien für den Gesammtstaat Oestreich empfinden; ihre
Träume sind theils auf ein erneutes Polen, theils auf ein südflavischeö Reich
gerichtet. Aber sie sind doch nicht blind dagegen, daß sie gerade durch ihre
Verbindung mit dem Gesammtstaate Oestreich einigermaßen vor drohender
Magyarisirung gesichert sind. Sie sind verhältnißmcißig gute Oestreichs, wür¬
den aber aufhören es zu sein, sobald Oestreich, um sich in die Lage zu ver¬
setzen, zu einer activen Politik in den orientalischen Angelegenheiten überzugehen,
dem magyarischen Elemente eine übergreifende Entwickelung gestatten, oder gar
Ungarn zum leitenden Bestandtheile des Reiches, zum Schwerpunkt seiner Poli¬
tik machen wollte. Vor dieser schweren, aber großen und fruchtbaren Aufgabe
wich die östreichische Staatskunst zurück. Unfähig, die spröden Stoffe zu ver-


wäre aber ein überaus verwegenes und hoffnungsloses Unterfangen gewesen.
Mit Recht wird die unfruchtbare Politik getadelt, die für Oestreich schließlich
aus diesem Dilemma hervorging. Doch darf man nicht vergessen, daß die
Aufgabe, die Oestreich nach Osten rief, auch bei Anspannung aller Kräfte eine
sehr schwierige und verdrießliche war, daß sie dem allgemeinen Zuge der dama¬
ligen Politik widersprach und daß die Magnete, die Oestreich nach Deutschland
und Italien zogen, sehr stark und für eine bis zur vollendeten Meisterschaft
routinirte, aber jedes Schwunges, jedes höheren Gesichtspunktes, jeder Pro-
ductivität ermangelnde Staatskunst, wie die Metternichs war, überaus ver¬
lockend waren. Dabei war es nicht etwa eine willkürliche staatsmännische Laune,
wenn Oestreich nach der Herrschaft in Deutschland und Italien strebte. Es ver¬
folgte vielmehr in diesem Streben ererbte Tendenzen seiner Politik, Tendenzen,
auf denen zum großen Theil gerade die glänzenden Titel des östreichischen Namens
beruhten. Sollte Oestreich in beiden Ländern seine Ansprüche herabstimmen, um i»
Italien dem nationalen Elemente, in Deutschland dem preußischen Staate die
Stellung abzutreten, die es selbst ohne Mühe und Gefahren behauptete,? Ein
derartiger Act der Selbstbeschränkung ließ sich nur erwarten, wenn die Aussicht
auf glänzende Erfolge nach Osten wirkte.

Statt der Aussicht auf glänzende Erfolge zeigten sich aber von jeder Seite
zunächst nur Schwierigkeiten, die indessen für eine schöpferische Staatskunst
keineswegs unüberwindlich waren. Leider lag indessen in den Verhältnissen
keine unmittelbare Nöthigung, es mit einer solchen zu versuchen, da, auch ab¬
gesehen von den schon bewährten, aus der allgemeinen politischen Lage sich er¬
gebenden Erwägungen, die eigenthümlichen gegenseitigen Beziehungen der öst¬
lichen Stämme des Reiches der politischen Routine, dem traditionellen System
des Finessirens eine bequeme Handhabe zur Entwickelung ihrer Künste boten.
Offenbar ist Ungarn der Kernpunkt der östlichen Gruppe der Monarchie, jedoch
umgeben und vermischt mit einer Anzahl meist slavischer Elemente, die im
Gegensatze zum Magyarenthum stehen. Man kann gewiß nicht sagen, daß
diese Stämme Sympathien für den Gesammtstaat Oestreich empfinden; ihre
Träume sind theils auf ein erneutes Polen, theils auf ein südflavischeö Reich
gerichtet. Aber sie sind doch nicht blind dagegen, daß sie gerade durch ihre
Verbindung mit dem Gesammtstaate Oestreich einigermaßen vor drohender
Magyarisirung gesichert sind. Sie sind verhältnißmcißig gute Oestreichs, wür¬
den aber aufhören es zu sein, sobald Oestreich, um sich in die Lage zu ver¬
setzen, zu einer activen Politik in den orientalischen Angelegenheiten überzugehen,
dem magyarischen Elemente eine übergreifende Entwickelung gestatten, oder gar
Ungarn zum leitenden Bestandtheile des Reiches, zum Schwerpunkt seiner Poli¬
tik machen wollte. Vor dieser schweren, aber großen und fruchtbaren Aufgabe
wich die östreichische Staatskunst zurück. Unfähig, die spröden Stoffe zu ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/226>, abgerufen am 20.10.2024.