Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.gerungen, so lange es an Nußland einen Verbündeten, aber noch nicht einen Es ist augenscheinlich, daß eine active Politik im Oriente nicht durch¬ gerungen, so lange es an Nußland einen Verbündeten, aber noch nicht einen Es ist augenscheinlich, daß eine active Politik im Oriente nicht durch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188252"/> <p xml:id="ID_718" prev="#ID_717"> gerungen, so lange es an Nußland einen Verbündeten, aber noch nicht einen<lb/> Rivalen fand. Vor der Concurrenz mit Nußland, die zu einem Conflicte der<lb/> Interessen zu sichren begann, als beide Staaten bis an die Fürstenthümer der<lb/> untern Donau vorgerückt waren, wich es zurück und legte sich selbst die Schran¬<lb/> ken auf. die es Nußland, dem es die Donauländer nicht überlassen konnte, und<lb/> dem es im Kampfe um die Beute nicht zu begegnen wagte, auferlegen wollte.<lb/> Groß geworden im Kampfe wider die türkische Macht ward es der Beschützer<lb/> der türkischen Ohnmacht. Der zu Reichenbach inaugmirte Wendepunkt in den<lb/> Verhältnissen des europäischen Staatensystems ward auch der Wendepunkt für<lb/> Oestreichs orientalische Politik. Es verzichtete darauf, bestimmend und leitend<lb/> auf dem Felde zu wirken, aus dem allein sein Wirken Früchte bringen konnte,<lb/> und verzehrte seine Kräfte in Aufgaben, deren Verfolgung es zum principiellen<lb/> Gegner aller neuen Lebenskeime machen mußte, die auf dem von der franzö¬<lb/> sischen Revolution durchackerten Boden Europas auskeimten und langsam, aber<lb/> unaufhaltsam emporwuchsen. Daß Thugut sich nachmals nut Nußland über<lb/> eine Theilung der Türkei einigte, war eins der gewohnten Impromptus dieses<lb/> erfindungreichen, aber frivolen Staatsmannes, der den bedenklichen Folgen eines<lb/> abenteuerlichen Entwurfes dadurch vorzubeugen liebte, daß er sich nach der ent¬<lb/> gegengesetzten Nichtung hin in noch abenteuerlichere Combinationen einließ.<lb/> Das Project war eine verwegene Veilcität, welche most charakteristisch ist für<lb/> das haltungslose, jeder festen Nichtung entbehrende Herumtappeu und Tasten<lb/> der damaligen Staatskunst, eine ernstliche Bedeutung indessen nicht gewinnen<lb/> konnte. So lange die Revolutionskriege dauerten, stand übrigens die orienta¬<lb/> lische Politik >n zweiter ^mie. Nach dem Falle Napolens aber trat nochmals<lb/> die Frage an Oestreich heran, welche Stellung es der Türkei gegenüber ein¬<lb/> nehmen wollte. Drei Momente kamen als ausschlaggebend bei der Wahl in<lb/> Betracht: die Stellung Oestreichs zu Deutschland und zu Italien, sein Ver¬<lb/> hältniß zu Nußland und die Rücksicht auf die nationale Heterogenität der das<lb/> Reich bildenden Bestandtheile. Die drei Momente waren aber so vielfach von<lb/> einander bedingt, baß wir sie auch in der Betrachtung nicht vollständig von<lb/> einander scheiden können.</p><lb/> <p xml:id="ID_719" next="#ID_720"> Es ist augenscheinlich, daß eine active Politik im Oriente nicht durch¬<lb/> zuführen war, wenn Metternich die deutschen und italienischen Verhältnisse be-<lb/> herrschen wollte. Denn um diese Rolle durchzuführen, bedürfte er mindestens<lb/> der Neutralität, ja unter Umständen des Beistandes Rußlands. Nußland war<lb/> aber, wie schon in den ersten Phasen der nationalen Bewegungen in Italien<lb/> hervortrat/ein sehr mißtrauischer, anspruchsvoller und schwer zu behandelnder<lb/> Bundesgenosse, den auch der leiseste Anschein einer activen Politik im Oriente<lb/> sofort zum Rivalen und Gegner gemacht haben würde. Diesem Gegner auf<lb/> einem für ihn günstigen Boden mit getheilten Kräften entgegenzutreten,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0225]
gerungen, so lange es an Nußland einen Verbündeten, aber noch nicht einen
Rivalen fand. Vor der Concurrenz mit Nußland, die zu einem Conflicte der
Interessen zu sichren begann, als beide Staaten bis an die Fürstenthümer der
untern Donau vorgerückt waren, wich es zurück und legte sich selbst die Schran¬
ken auf. die es Nußland, dem es die Donauländer nicht überlassen konnte, und
dem es im Kampfe um die Beute nicht zu begegnen wagte, auferlegen wollte.
Groß geworden im Kampfe wider die türkische Macht ward es der Beschützer
der türkischen Ohnmacht. Der zu Reichenbach inaugmirte Wendepunkt in den
Verhältnissen des europäischen Staatensystems ward auch der Wendepunkt für
Oestreichs orientalische Politik. Es verzichtete darauf, bestimmend und leitend
auf dem Felde zu wirken, aus dem allein sein Wirken Früchte bringen konnte,
und verzehrte seine Kräfte in Aufgaben, deren Verfolgung es zum principiellen
Gegner aller neuen Lebenskeime machen mußte, die auf dem von der franzö¬
sischen Revolution durchackerten Boden Europas auskeimten und langsam, aber
unaufhaltsam emporwuchsen. Daß Thugut sich nachmals nut Nußland über
eine Theilung der Türkei einigte, war eins der gewohnten Impromptus dieses
erfindungreichen, aber frivolen Staatsmannes, der den bedenklichen Folgen eines
abenteuerlichen Entwurfes dadurch vorzubeugen liebte, daß er sich nach der ent¬
gegengesetzten Nichtung hin in noch abenteuerlichere Combinationen einließ.
Das Project war eine verwegene Veilcität, welche most charakteristisch ist für
das haltungslose, jeder festen Nichtung entbehrende Herumtappeu und Tasten
der damaligen Staatskunst, eine ernstliche Bedeutung indessen nicht gewinnen
konnte. So lange die Revolutionskriege dauerten, stand übrigens die orienta¬
lische Politik >n zweiter ^mie. Nach dem Falle Napolens aber trat nochmals
die Frage an Oestreich heran, welche Stellung es der Türkei gegenüber ein¬
nehmen wollte. Drei Momente kamen als ausschlaggebend bei der Wahl in
Betracht: die Stellung Oestreichs zu Deutschland und zu Italien, sein Ver¬
hältniß zu Nußland und die Rücksicht auf die nationale Heterogenität der das
Reich bildenden Bestandtheile. Die drei Momente waren aber so vielfach von
einander bedingt, baß wir sie auch in der Betrachtung nicht vollständig von
einander scheiden können.
Es ist augenscheinlich, daß eine active Politik im Oriente nicht durch¬
zuführen war, wenn Metternich die deutschen und italienischen Verhältnisse be-
herrschen wollte. Denn um diese Rolle durchzuführen, bedürfte er mindestens
der Neutralität, ja unter Umständen des Beistandes Rußlands. Nußland war
aber, wie schon in den ersten Phasen der nationalen Bewegungen in Italien
hervortrat/ein sehr mißtrauischer, anspruchsvoller und schwer zu behandelnder
Bundesgenosse, den auch der leiseste Anschein einer activen Politik im Oriente
sofort zum Rivalen und Gegner gemacht haben würde. Diesem Gegner auf
einem für ihn günstigen Boden mit getheilten Kräften entgegenzutreten,
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