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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Landesvertretung. auch abgesehen von den Wcltcreignisscn der neuesten Zeit,
unvermeidlich gewesen. Sie ist jetzt das dringendste Erfordernis). Es liegt die
Nothwendigkeit vor, daß Mecklenburg in die Mihe der constitutionellen Staa¬
ten eintrete, und weil ich diese Nothwendigkeit erkenne, so ist es mein
ernster Vorsatz, daß der Schritt unverzüglich geschehe." Zur näheren Andeutung
des Charakters, welcher nach der Absicht des Großherzogs die constitutionelle
Staatsverfassung 'haben sollte, werden einzelne Momente -- freies Versamm-
lungs- und Vereinsrecht, Freiheit der Presse. Volksbewaffnung, Schwurgerichte
u. s. w. -- als im Geiste der Repräsentativverfassung liegend bezeichnet. "Dies
ist die Bahn der Reformen," so hieß es dann weiterhin, "welche ich. mit vol¬
lem Bewußtsein der Gewichtigkeit des Schrittes, bereits betreten habe und die
ich durch alle mir. als Landesherrn. zustehende Mittel zu verfolgen entschlos¬
sen bin."

Von einem Widerspruch gegen die Ausführung der hier gegebenen Ver¬
heißungen war damals so wenig die Rede, daß selbst die Ritterschaft die an¬
gekündigte Zusammenberufung eines außerordentlichen Landtags nicht erwarten
konnte, um ihre Zustimmung zu den Entschließungen des Großherzogs dem
Lande kundzugeben. Auf einer Versammlung von Mitgliedern der Ritter¬
schaft am 14. April ward eine Erklärung in diesem Sinne beschlossen. Die
Unterzeichner -- vier Landräthe. zwei Landmarschälle. 74 adelige und 80 dur-
> gcrliche Gutsbesitzer -- versichern darin, "daß sie alle und jede Sonderrechte,
welche ihnen bisher verfassungsmäßig zugestanden haben, freiwillig und gern,
um das Wohl des Vaterlandes zu fördern, opfern wollen, um in den neuen
Institutionen den Wünschen ihrer Mitbürger Genüge zu geben." Die Bürger¬
meister, niemals gewohnt, in politischen Dingen selbständig aufzutreten, sondern
stets äußeren Impulsen folgend, waren bei der damaligen Stimmung der Bür¬
gerschaften noch größere Nullitäten als sonst und durften daher eine ähnliche
gemeinsame Manifestation wie die aus der Mitte der Ritterschaft hervor-
gegangene nicht für angemessen halten. Sie erwarteten schweigend die Winke
der Regierung.

Der vom Großherzog einberufene Landtag, welcher zu der Einführung der
Repräsentativverfassung seine Zustimmung geben sollte, trat noch im April zu¬
sammen. Man einigte sich über den Weg der Hinüberlcitung des Feudalstaats
in den constitutionellen Staat und namentlich über ein proviforisches Wahl¬
gesetz für eine mit Mecklenburg-Strelitz gemeinsame Abgeordnetenkammer, welcher
die Aufgabe zugewiesen ward, für jedes der beiden Großherzogthümcr mit des¬
sen Landesherrn eine Repräsentativverfassung zu vereinbaren. Der Großherzog
sanctionirte die auf seine Proposition von dem Landtag abgegebene Erklärung,
"daß die Stände ihre bisherigen grundgcsctzlichcn Landstandschaftsrechte zu der
Folge aufgeben, daß künftig nur gewählte Repräsentanten die Ständcvcrsamm-


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Landesvertretung. auch abgesehen von den Wcltcreignisscn der neuesten Zeit,
unvermeidlich gewesen. Sie ist jetzt das dringendste Erfordernis). Es liegt die
Nothwendigkeit vor, daß Mecklenburg in die Mihe der constitutionellen Staa¬
ten eintrete, und weil ich diese Nothwendigkeit erkenne, so ist es mein
ernster Vorsatz, daß der Schritt unverzüglich geschehe." Zur näheren Andeutung
des Charakters, welcher nach der Absicht des Großherzogs die constitutionelle
Staatsverfassung 'haben sollte, werden einzelne Momente — freies Versamm-
lungs- und Vereinsrecht, Freiheit der Presse. Volksbewaffnung, Schwurgerichte
u. s. w. — als im Geiste der Repräsentativverfassung liegend bezeichnet. „Dies
ist die Bahn der Reformen," so hieß es dann weiterhin, „welche ich. mit vol¬
lem Bewußtsein der Gewichtigkeit des Schrittes, bereits betreten habe und die
ich durch alle mir. als Landesherrn. zustehende Mittel zu verfolgen entschlos¬
sen bin."

Von einem Widerspruch gegen die Ausführung der hier gegebenen Ver¬
heißungen war damals so wenig die Rede, daß selbst die Ritterschaft die an¬
gekündigte Zusammenberufung eines außerordentlichen Landtags nicht erwarten
konnte, um ihre Zustimmung zu den Entschließungen des Großherzogs dem
Lande kundzugeben. Auf einer Versammlung von Mitgliedern der Ritter¬
schaft am 14. April ward eine Erklärung in diesem Sinne beschlossen. Die
Unterzeichner — vier Landräthe. zwei Landmarschälle. 74 adelige und 80 dur-
> gcrliche Gutsbesitzer — versichern darin, „daß sie alle und jede Sonderrechte,
welche ihnen bisher verfassungsmäßig zugestanden haben, freiwillig und gern,
um das Wohl des Vaterlandes zu fördern, opfern wollen, um in den neuen
Institutionen den Wünschen ihrer Mitbürger Genüge zu geben." Die Bürger¬
meister, niemals gewohnt, in politischen Dingen selbständig aufzutreten, sondern
stets äußeren Impulsen folgend, waren bei der damaligen Stimmung der Bür¬
gerschaften noch größere Nullitäten als sonst und durften daher eine ähnliche
gemeinsame Manifestation wie die aus der Mitte der Ritterschaft hervor-
gegangene nicht für angemessen halten. Sie erwarteten schweigend die Winke
der Regierung.

Der vom Großherzog einberufene Landtag, welcher zu der Einführung der
Repräsentativverfassung seine Zustimmung geben sollte, trat noch im April zu¬
sammen. Man einigte sich über den Weg der Hinüberlcitung des Feudalstaats
in den constitutionellen Staat und namentlich über ein proviforisches Wahl¬
gesetz für eine mit Mecklenburg-Strelitz gemeinsame Abgeordnetenkammer, welcher
die Aufgabe zugewiesen ward, für jedes der beiden Großherzogthümcr mit des¬
sen Landesherrn eine Repräsentativverfassung zu vereinbaren. Der Großherzog
sanctionirte die auf seine Proposition von dem Landtag abgegebene Erklärung,
„daß die Stände ihre bisherigen grundgcsctzlichcn Landstandschaftsrechte zu der
Folge aufgeben, daß künftig nur gewählte Repräsentanten die Ständcvcrsamm-


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[0215] Landesvertretung. auch abgesehen von den Wcltcreignisscn der neuesten Zeit, unvermeidlich gewesen. Sie ist jetzt das dringendste Erfordernis). Es liegt die Nothwendigkeit vor, daß Mecklenburg in die Mihe der constitutionellen Staa¬ ten eintrete, und weil ich diese Nothwendigkeit erkenne, so ist es mein ernster Vorsatz, daß der Schritt unverzüglich geschehe." Zur näheren Andeutung des Charakters, welcher nach der Absicht des Großherzogs die constitutionelle Staatsverfassung 'haben sollte, werden einzelne Momente — freies Versamm- lungs- und Vereinsrecht, Freiheit der Presse. Volksbewaffnung, Schwurgerichte u. s. w. — als im Geiste der Repräsentativverfassung liegend bezeichnet. „Dies ist die Bahn der Reformen," so hieß es dann weiterhin, „welche ich. mit vol¬ lem Bewußtsein der Gewichtigkeit des Schrittes, bereits betreten habe und die ich durch alle mir. als Landesherrn. zustehende Mittel zu verfolgen entschlos¬ sen bin." Von einem Widerspruch gegen die Ausführung der hier gegebenen Ver¬ heißungen war damals so wenig die Rede, daß selbst die Ritterschaft die an¬ gekündigte Zusammenberufung eines außerordentlichen Landtags nicht erwarten konnte, um ihre Zustimmung zu den Entschließungen des Großherzogs dem Lande kundzugeben. Auf einer Versammlung von Mitgliedern der Ritter¬ schaft am 14. April ward eine Erklärung in diesem Sinne beschlossen. Die Unterzeichner — vier Landräthe. zwei Landmarschälle. 74 adelige und 80 dur- > gcrliche Gutsbesitzer — versichern darin, „daß sie alle und jede Sonderrechte, welche ihnen bisher verfassungsmäßig zugestanden haben, freiwillig und gern, um das Wohl des Vaterlandes zu fördern, opfern wollen, um in den neuen Institutionen den Wünschen ihrer Mitbürger Genüge zu geben." Die Bürger¬ meister, niemals gewohnt, in politischen Dingen selbständig aufzutreten, sondern stets äußeren Impulsen folgend, waren bei der damaligen Stimmung der Bür¬ gerschaften noch größere Nullitäten als sonst und durften daher eine ähnliche gemeinsame Manifestation wie die aus der Mitte der Ritterschaft hervor- gegangene nicht für angemessen halten. Sie erwarteten schweigend die Winke der Regierung. Der vom Großherzog einberufene Landtag, welcher zu der Einführung der Repräsentativverfassung seine Zustimmung geben sollte, trat noch im April zu¬ sammen. Man einigte sich über den Weg der Hinüberlcitung des Feudalstaats in den constitutionellen Staat und namentlich über ein proviforisches Wahl¬ gesetz für eine mit Mecklenburg-Strelitz gemeinsame Abgeordnetenkammer, welcher die Aufgabe zugewiesen ward, für jedes der beiden Großherzogthümcr mit des¬ sen Landesherrn eine Repräsentativverfassung zu vereinbaren. Der Großherzog sanctionirte die auf seine Proposition von dem Landtag abgegebene Erklärung, „daß die Stände ihre bisherigen grundgcsctzlichcn Landstandschaftsrechte zu der Folge aufgeben, daß künftig nur gewählte Repräsentanten die Ständcvcrsamm- 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/215>, abgerufen am 20.10.2024.