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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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nächsten Streitgegenstand hinaus. Die Bevölkerung betrachtete dieselbe als
Vorkämpfern! der Freiheit überhaupt und widmete ihren Bestrebungen die leb¬
hafteste Sympathie. Ein unbestimmtes Gefühl, daß die Verfassung nicht mehr
den Zwecken des modernen Staates genüge und daß die Adelsherrschaft die
Quelle vieler Uebelstände sei, bemächtigte sich des Landes.

Da erschien der März des Jahres 1848 und brachte das im Verborgenen ge¬
reifte Verlangen nach einer gründlichen politischen Reform zu jähem und stürmischem
Ausdruck. Ein Ruf ging durch das ganze Land: der Ruf nach politischer Frei¬
heit in den Formen eine Repräsentativverfassung. Es war nicht eine einzelne
Partei, welche diesen Ruf erhob, sondern die gesammte Bevölkerung war darin
einig, daß die alte Verfassung morsch geworden sei und sobald als möglich
durch eine völlig neue ersetzt werden müsse. Mochten auch Einzelne nur wider¬
strebend sich von dem Alten lossagen: die politische Nothwendigkeit dies zu
thun läugnete Keiner. Selbst solche Elemente, denen man so viel Verständniß
ihrer Zeit und politische Regsamkeit kaum zugetraut hätte, schlössen sich der
allgemeinen Bewegung an. Die Corporation der rostocker Universität sogar
hielt es für ihre Pflicht, dem Großherzoge am 12. März 1848 die Bitte um
zeitgemäße Reform der Landesverfassung vorzutragen.

Der Großherzog fand sich anfangs nur zögernd in die unerwartet hervor-
getretenen Wünsche und Forderungen. Als aber die Nachrichten vom 13. März
in Wien und vom 18. März in Berlin einen klareren Blick in die Lage der
Dinge eröffneten und dazu ein Schreiben seines Oheims, des Königs Friedrich
Wilhelm des Vierten von Preußen einlief, welches dringend zur Nachahmung
des in Berlin gegebenen Beispiels aufforderte, da war auch für den Großher-
zog die Zeit gekommen, wo er sich rückhaltslos über seine Absichten aussprach
und die von allen Seiten andrängenden Petitionen durch eine Proclamation
beantwortete, in welcher er deren vollständigste Erfüllung zusicherte. Diese "in
23. März erlassene Proclamation -- "An meine Mecklenburger" -- welche
schon in der äußeren Form den Charakter einer ganz persönlichen Kundgebung
trägt, beginnt mit den Worten: "Die gewaltige Wendung der politischen Ver¬
hältnisse veranlaßt mich, meinem theuren Lande zu sagen, wie ichs meine und
was ich will." Sie wendet sich dann zunächst zu den allgemein deutscheu
Verhältnissen. "Daß der deutsche Bund einer Reorganisation bedarf, dringend
bedarf, kann nach den Stimmen, die in allen Theilen des gemeinsamen deut¬
schen Vaterlandes laut geworden sind, nicht mehr bezweifelt werden. Ein
freies, einiges und darum starkes Deutschland, wie es die von außen drohenden
Gefahren so gebieterisch erheischen, kann aber nur unter Mitwirkung volks¬
tümlicher Elemente wieder geboren, nur auf dieser Basis befestigt werden"
u. s. w. Es folgt sodann die Erklärung über die Neubildung der mecklen¬
burgischen Verfassung. "In unserem engeren Vaterlande wäre eine Reform der


nächsten Streitgegenstand hinaus. Die Bevölkerung betrachtete dieselbe als
Vorkämpfern! der Freiheit überhaupt und widmete ihren Bestrebungen die leb¬
hafteste Sympathie. Ein unbestimmtes Gefühl, daß die Verfassung nicht mehr
den Zwecken des modernen Staates genüge und daß die Adelsherrschaft die
Quelle vieler Uebelstände sei, bemächtigte sich des Landes.

Da erschien der März des Jahres 1848 und brachte das im Verborgenen ge¬
reifte Verlangen nach einer gründlichen politischen Reform zu jähem und stürmischem
Ausdruck. Ein Ruf ging durch das ganze Land: der Ruf nach politischer Frei¬
heit in den Formen eine Repräsentativverfassung. Es war nicht eine einzelne
Partei, welche diesen Ruf erhob, sondern die gesammte Bevölkerung war darin
einig, daß die alte Verfassung morsch geworden sei und sobald als möglich
durch eine völlig neue ersetzt werden müsse. Mochten auch Einzelne nur wider¬
strebend sich von dem Alten lossagen: die politische Nothwendigkeit dies zu
thun läugnete Keiner. Selbst solche Elemente, denen man so viel Verständniß
ihrer Zeit und politische Regsamkeit kaum zugetraut hätte, schlössen sich der
allgemeinen Bewegung an. Die Corporation der rostocker Universität sogar
hielt es für ihre Pflicht, dem Großherzoge am 12. März 1848 die Bitte um
zeitgemäße Reform der Landesverfassung vorzutragen.

Der Großherzog fand sich anfangs nur zögernd in die unerwartet hervor-
getretenen Wünsche und Forderungen. Als aber die Nachrichten vom 13. März
in Wien und vom 18. März in Berlin einen klareren Blick in die Lage der
Dinge eröffneten und dazu ein Schreiben seines Oheims, des Königs Friedrich
Wilhelm des Vierten von Preußen einlief, welches dringend zur Nachahmung
des in Berlin gegebenen Beispiels aufforderte, da war auch für den Großher-
zog die Zeit gekommen, wo er sich rückhaltslos über seine Absichten aussprach
und die von allen Seiten andrängenden Petitionen durch eine Proclamation
beantwortete, in welcher er deren vollständigste Erfüllung zusicherte. Diese »in
23. März erlassene Proclamation — „An meine Mecklenburger" — welche
schon in der äußeren Form den Charakter einer ganz persönlichen Kundgebung
trägt, beginnt mit den Worten: „Die gewaltige Wendung der politischen Ver¬
hältnisse veranlaßt mich, meinem theuren Lande zu sagen, wie ichs meine und
was ich will." Sie wendet sich dann zunächst zu den allgemein deutscheu
Verhältnissen. „Daß der deutsche Bund einer Reorganisation bedarf, dringend
bedarf, kann nach den Stimmen, die in allen Theilen des gemeinsamen deut¬
schen Vaterlandes laut geworden sind, nicht mehr bezweifelt werden. Ein
freies, einiges und darum starkes Deutschland, wie es die von außen drohenden
Gefahren so gebieterisch erheischen, kann aber nur unter Mitwirkung volks¬
tümlicher Elemente wieder geboren, nur auf dieser Basis befestigt werden"
u. s. w. Es folgt sodann die Erklärung über die Neubildung der mecklen¬
burgischen Verfassung. „In unserem engeren Vaterlande wäre eine Reform der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/214>, abgerufen am 20.10.2024.