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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Abgeordneten geradezu aufgegeben worden, sich der Fortschrittspartei anzu¬
schließen. Da zu diesen vier neben Jordan die beiden Hauptwortführer des
pfälzischen Liberalismus gehören, Umbschciden und Christmann, so hat jener
Vorgang seine Bedeutung für die ganze Pfalz. Das liberale Localblatt der
Provinz,, der in Ludwigshafen erscheinende Pfälzer Curier, unterläßt zwar nicht
seine vor den Wahlen gespickte zweideutige Rolle fortzusetzen, indem er den
Gewählten empfiehlt, vor allen Dingen als eine geschlossene pfälzische Partei
in München aufzutreten, allein der Particularismus hat heutzutage Wind und
Wetter gegen sich, und die natürliche Schwerkraft der Dinge wird wohl dafür
sorgen, daß die beiden Hauptbestandtheile der Minderheit in der Regel wenig¬
stens der Mehrheit gegenüber geschlossen auftreten. Eine Persönlichkeit, die
diesen Proceß aufhalten könnte, der Statistiker und Redacteur Kolb in Frank¬
furt -- einst "von Speier" zubenannt -- hat es in seiner heimischen Provinz
nur bis zum Ersatzmann gebracht und wird voraussichtlich vorerst nicht in die
Kammer gelangen.

Eine dritte Gruppe unabhängiger Liberaler bilden mehre der in Nieder¬
bayern gewählten Männer, wie der Buchhändler Waldbauer in Passau, der
Gastwirth Föderer in Vilshofen und der Landwirth Urban in Vilsbiburg
nebst ihrem Anhang. Diese werden nicht durch Dick und Dünn, aber doch
in manchen Fragen mit der Fortschrittspartei zusammengehen. Große Er¬
eignisse konnten sogar sie nicht minder als die achtzehn Pfälzer mit derselbe"
in Eins verschmelzen. Ueber sechzig bis siebzig Stimme" unter andert-
halbhundert verfügend, wäre die liberale Minderheit dann eine Oppo¬
sition, mit welcher Regierung und Mehrheit nicht so leicht fertig werde"
würden.

Ohne die extreme Ungunst der Ereignisse wäre schon diesmal der Wahl¬
kampf glücklicher verlaufen. Aber was die Fortschrittspartei unterscheidet, ihre
nationale Gesinnung und Tendenz, erschwerte ihr den Sieg selbst auf sonst
günstigem Boden, statt ihn zu erleichtern. Ihre Redner waren nicht im
Stande, auf errungene oder in sicherer Aussicht stehende Triumphe der von
ihnen vertretenen Idee hinzuweisen. Sie konnten kaum behaupten, daß ihr
deutsches Programm zuversichtlich die schwere Probe aushalten werde, welcher
es gegenwärtig unterworfen wird. Sie mußten also mehr ein allgemeines
Vertrauen zu ihrer persönlichen Einsicht und Willenskraft als den Glauben an
einen gewissen klar bezeichneten Weg der vaterländischen Entwicklung in An¬
spruch nehmen. Im Innern fehlte es an großen weitverbreiteten und durch¬
gängig empfundenen Beschwerden, welche die Herzen auf ihre Seite hätten
bringen können. Nur die Furcht vor möglichen zukünftigen Uebeln, nicht der
Unmuth über bestehende, stritt für sie -- ein schwacher Antrieb für die große
Mehrzahl der Menschen. Unter diesen Umständen ist es fast ein Wunder zu


Abgeordneten geradezu aufgegeben worden, sich der Fortschrittspartei anzu¬
schließen. Da zu diesen vier neben Jordan die beiden Hauptwortführer des
pfälzischen Liberalismus gehören, Umbschciden und Christmann, so hat jener
Vorgang seine Bedeutung für die ganze Pfalz. Das liberale Localblatt der
Provinz,, der in Ludwigshafen erscheinende Pfälzer Curier, unterläßt zwar nicht
seine vor den Wahlen gespickte zweideutige Rolle fortzusetzen, indem er den
Gewählten empfiehlt, vor allen Dingen als eine geschlossene pfälzische Partei
in München aufzutreten, allein der Particularismus hat heutzutage Wind und
Wetter gegen sich, und die natürliche Schwerkraft der Dinge wird wohl dafür
sorgen, daß die beiden Hauptbestandtheile der Minderheit in der Regel wenig¬
stens der Mehrheit gegenüber geschlossen auftreten. Eine Persönlichkeit, die
diesen Proceß aufhalten könnte, der Statistiker und Redacteur Kolb in Frank¬
furt — einst „von Speier" zubenannt — hat es in seiner heimischen Provinz
nur bis zum Ersatzmann gebracht und wird voraussichtlich vorerst nicht in die
Kammer gelangen.

Eine dritte Gruppe unabhängiger Liberaler bilden mehre der in Nieder¬
bayern gewählten Männer, wie der Buchhändler Waldbauer in Passau, der
Gastwirth Föderer in Vilshofen und der Landwirth Urban in Vilsbiburg
nebst ihrem Anhang. Diese werden nicht durch Dick und Dünn, aber doch
in manchen Fragen mit der Fortschrittspartei zusammengehen. Große Er¬
eignisse konnten sogar sie nicht minder als die achtzehn Pfälzer mit derselbe»
in Eins verschmelzen. Ueber sechzig bis siebzig Stimme» unter andert-
halbhundert verfügend, wäre die liberale Minderheit dann eine Oppo¬
sition, mit welcher Regierung und Mehrheit nicht so leicht fertig werde"
würden.

Ohne die extreme Ungunst der Ereignisse wäre schon diesmal der Wahl¬
kampf glücklicher verlaufen. Aber was die Fortschrittspartei unterscheidet, ihre
nationale Gesinnung und Tendenz, erschwerte ihr den Sieg selbst auf sonst
günstigem Boden, statt ihn zu erleichtern. Ihre Redner waren nicht im
Stande, auf errungene oder in sicherer Aussicht stehende Triumphe der von
ihnen vertretenen Idee hinzuweisen. Sie konnten kaum behaupten, daß ihr
deutsches Programm zuversichtlich die schwere Probe aushalten werde, welcher
es gegenwärtig unterworfen wird. Sie mußten also mehr ein allgemeines
Vertrauen zu ihrer persönlichen Einsicht und Willenskraft als den Glauben an
einen gewissen klar bezeichneten Weg der vaterländischen Entwicklung in An¬
spruch nehmen. Im Innern fehlte es an großen weitverbreiteten und durch¬
gängig empfundenen Beschwerden, welche die Herzen auf ihre Seite hätten
bringen können. Nur die Furcht vor möglichen zukünftigen Uebeln, nicht der
Unmuth über bestehende, stritt für sie — ein schwacher Antrieb für die große
Mehrzahl der Menschen. Unter diesen Umständen ist es fast ein Wunder zu


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[0206] Abgeordneten geradezu aufgegeben worden, sich der Fortschrittspartei anzu¬ schließen. Da zu diesen vier neben Jordan die beiden Hauptwortführer des pfälzischen Liberalismus gehören, Umbschciden und Christmann, so hat jener Vorgang seine Bedeutung für die ganze Pfalz. Das liberale Localblatt der Provinz,, der in Ludwigshafen erscheinende Pfälzer Curier, unterläßt zwar nicht seine vor den Wahlen gespickte zweideutige Rolle fortzusetzen, indem er den Gewählten empfiehlt, vor allen Dingen als eine geschlossene pfälzische Partei in München aufzutreten, allein der Particularismus hat heutzutage Wind und Wetter gegen sich, und die natürliche Schwerkraft der Dinge wird wohl dafür sorgen, daß die beiden Hauptbestandtheile der Minderheit in der Regel wenig¬ stens der Mehrheit gegenüber geschlossen auftreten. Eine Persönlichkeit, die diesen Proceß aufhalten könnte, der Statistiker und Redacteur Kolb in Frank¬ furt — einst „von Speier" zubenannt — hat es in seiner heimischen Provinz nur bis zum Ersatzmann gebracht und wird voraussichtlich vorerst nicht in die Kammer gelangen. Eine dritte Gruppe unabhängiger Liberaler bilden mehre der in Nieder¬ bayern gewählten Männer, wie der Buchhändler Waldbauer in Passau, der Gastwirth Föderer in Vilshofen und der Landwirth Urban in Vilsbiburg nebst ihrem Anhang. Diese werden nicht durch Dick und Dünn, aber doch in manchen Fragen mit der Fortschrittspartei zusammengehen. Große Er¬ eignisse konnten sogar sie nicht minder als die achtzehn Pfälzer mit derselbe» in Eins verschmelzen. Ueber sechzig bis siebzig Stimme» unter andert- halbhundert verfügend, wäre die liberale Minderheit dann eine Oppo¬ sition, mit welcher Regierung und Mehrheit nicht so leicht fertig werde" würden. Ohne die extreme Ungunst der Ereignisse wäre schon diesmal der Wahl¬ kampf glücklicher verlaufen. Aber was die Fortschrittspartei unterscheidet, ihre nationale Gesinnung und Tendenz, erschwerte ihr den Sieg selbst auf sonst günstigem Boden, statt ihn zu erleichtern. Ihre Redner waren nicht im Stande, auf errungene oder in sicherer Aussicht stehende Triumphe der von ihnen vertretenen Idee hinzuweisen. Sie konnten kaum behaupten, daß ihr deutsches Programm zuversichtlich die schwere Probe aushalten werde, welcher es gegenwärtig unterworfen wird. Sie mußten also mehr ein allgemeines Vertrauen zu ihrer persönlichen Einsicht und Willenskraft als den Glauben an einen gewissen klar bezeichneten Weg der vaterländischen Entwicklung in An¬ spruch nehmen. Im Innern fehlte es an großen weitverbreiteten und durch¬ gängig empfundenen Beschwerden, welche die Herzen auf ihre Seite hätten bringen können. Nur die Furcht vor möglichen zukünftigen Uebeln, nicht der Unmuth über bestehende, stritt für sie — ein schwacher Antrieb für die große Mehrzahl der Menschen. Unter diesen Umständen ist es fast ein Wunder zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/206>, abgerufen am 20.10.2024.