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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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neuen Grundlage die nationale Frage zum Austrage zu bringen, oder mußte
die Partei gleich jetzt eine ganz bestimmte Stellung zur deutschen Frage nehmen?
Der ersteren Auffassung schienen sich namentlich die demokratischen Führer zuzu¬
wenden, während die letztere Ansicht besonders von den Mitgliedern der libe¬
ralen Partei zur Bedingung der Verständigung gemacht zu werden schien. Das
Erstere versprach ohne Zweifel einen nächsten größeren Erfolg, und wenn es
daher nur darauf ankam, liberale Abgeordnete in die zweite Kammer zu bringen,
so verdiente dies unbedingt den Vorzug. Allein darauf kam es doch wohl nicht
an. Sachsen erfreut sich im Ganzen nicht der ungünstigsten innern Ver¬
hältnisse; freilich halten sich fast alle seine inneren Einrichtungen in einer
gewissen liberalen Halbheit, es sind sogar viele der wesentlichsten Bedin¬
gungen gesicherter Freiheit gar nicht vorhanden, allein die gesetzlichen Grund¬
lagen gewinnen ja erst ihren Charakter durch den Geist der Verwaltung, und
in dieser Beziehung weiß Herr v. Beust den Leuten nicht allzu unbequem zu
werden und insbesondere den Verhältnissen Rechnung zu tragen. So lange
daher im Allgemeinen die Stimmung liberalisirend ist, so werden auch in
Sachsen die fehlenden Garantien der Freiheit weniger hart empfunden, und
tritt ein allgemeiner Rückschlag ein, nun so bietet das Jahr 18S0 gewisse Bei¬
spiele, wie man sich mit Errungenschaften abfinden kann. Ueberhaupt aber ist
es namentlich für die mittleren Sraaten unendlich wichtig, sich endlich einmal
des Unterschiedes zwischen Zweck und Mittel vollkommen bewußt zu werden;
und liberale Einrichtungen haben in diesen Staaten nur Werth, insofern sie
als Mittel der Einigung der Nation zu Gute kommen, und wiederum der
Werth dieses Mittels nimmt ab mit jeder Quadratmeile Landes, welche der
betreffende Staat weniger zählt. Man erträgt es von Preußen schon schwer
genug, wenn dort die liberalen Parteien ihre ganze Aufmerksamkeit dem
inneren Kampfe um die Aufrechterhaltung der Staatsverfassung zuwenden, und
das deutsche Volk hat es nach und nach zu würdigen gelernt, daß die deutsche
Frage dort vorläufig in Ruhe gelassen wird; weiß es ja doch den ungeheuern
Vortheil zu schätzen, den eine parlamentarische Negierung in Preußen dem deut¬
schen Vaterland bringen muß, und darf es doch überzeugt sein, daß die würdige
Lösung dieser Frage die Lebensaufgabe und Lebensbedingung jeder liberalen
Regierung in Preußen bleiben muß. Anders in den übrigen Staaten. I"
Bayern hat man unter dem Druck der neuen preußischen Aera das Manoeuvre
verstanden, einen gewissen Liberalismus zu poussiren. welcher sich lediglich als
Stütze des Particularismus erwies; dieses Beispiel hat neuerdings in Hannover
Nachahmung gefunden, und Herr v. Reuse würde um diesen Preis gewiß zu
allen liberalen Concessionen die Hand bieten; er würde gewiß selbst die stän¬
dische Vertretung opfern, wenn er gewiß wäre, in der deutschen Frage freie
Hand zu behalten. Hierzu aber hieß es die Hand bieten, wenn man eine


neuen Grundlage die nationale Frage zum Austrage zu bringen, oder mußte
die Partei gleich jetzt eine ganz bestimmte Stellung zur deutschen Frage nehmen?
Der ersteren Auffassung schienen sich namentlich die demokratischen Führer zuzu¬
wenden, während die letztere Ansicht besonders von den Mitgliedern der libe¬
ralen Partei zur Bedingung der Verständigung gemacht zu werden schien. Das
Erstere versprach ohne Zweifel einen nächsten größeren Erfolg, und wenn es
daher nur darauf ankam, liberale Abgeordnete in die zweite Kammer zu bringen,
so verdiente dies unbedingt den Vorzug. Allein darauf kam es doch wohl nicht
an. Sachsen erfreut sich im Ganzen nicht der ungünstigsten innern Ver¬
hältnisse; freilich halten sich fast alle seine inneren Einrichtungen in einer
gewissen liberalen Halbheit, es sind sogar viele der wesentlichsten Bedin¬
gungen gesicherter Freiheit gar nicht vorhanden, allein die gesetzlichen Grund¬
lagen gewinnen ja erst ihren Charakter durch den Geist der Verwaltung, und
in dieser Beziehung weiß Herr v. Beust den Leuten nicht allzu unbequem zu
werden und insbesondere den Verhältnissen Rechnung zu tragen. So lange
daher im Allgemeinen die Stimmung liberalisirend ist, so werden auch in
Sachsen die fehlenden Garantien der Freiheit weniger hart empfunden, und
tritt ein allgemeiner Rückschlag ein, nun so bietet das Jahr 18S0 gewisse Bei¬
spiele, wie man sich mit Errungenschaften abfinden kann. Ueberhaupt aber ist
es namentlich für die mittleren Sraaten unendlich wichtig, sich endlich einmal
des Unterschiedes zwischen Zweck und Mittel vollkommen bewußt zu werden;
und liberale Einrichtungen haben in diesen Staaten nur Werth, insofern sie
als Mittel der Einigung der Nation zu Gute kommen, und wiederum der
Werth dieses Mittels nimmt ab mit jeder Quadratmeile Landes, welche der
betreffende Staat weniger zählt. Man erträgt es von Preußen schon schwer
genug, wenn dort die liberalen Parteien ihre ganze Aufmerksamkeit dem
inneren Kampfe um die Aufrechterhaltung der Staatsverfassung zuwenden, und
das deutsche Volk hat es nach und nach zu würdigen gelernt, daß die deutsche
Frage dort vorläufig in Ruhe gelassen wird; weiß es ja doch den ungeheuern
Vortheil zu schätzen, den eine parlamentarische Negierung in Preußen dem deut¬
schen Vaterland bringen muß, und darf es doch überzeugt sein, daß die würdige
Lösung dieser Frage die Lebensaufgabe und Lebensbedingung jeder liberalen
Regierung in Preußen bleiben muß. Anders in den übrigen Staaten. I"
Bayern hat man unter dem Druck der neuen preußischen Aera das Manoeuvre
verstanden, einen gewissen Liberalismus zu poussiren. welcher sich lediglich als
Stütze des Particularismus erwies; dieses Beispiel hat neuerdings in Hannover
Nachahmung gefunden, und Herr v. Reuse würde um diesen Preis gewiß zu
allen liberalen Concessionen die Hand bieten; er würde gewiß selbst die stän¬
dische Vertretung opfern, wenn er gewiß wäre, in der deutschen Frage freie
Hand zu behalten. Hierzu aber hieß es die Hand bieten, wenn man eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/200>, abgerufen am 20.10.2024.