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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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thun erschrecklich tugendhaft als ordnungsliebende Gelehrte und Bürger
kurz aus serviler Angst wird Alles getadelt. Wie contrasiirt dagegen der
offne süddeutsche Brief aus Augsburg. Es ist mir nichts neues, daß mir von
dorther viel Anlockendes zukam. Ach! ich bin gefesselt an Norddeutschland.
Ein schöner Gedanke, Liberalenhäuptling in Baiern zu werden. Aber ach, ich
bin krank, ruinirt und gefesselt. Und dennoch muß ich hier mit Gold alle
jene Anschauungen aufwiegen, die ich einsäumte. Tage wo ich ein Paar
Guineen ausgebe. Ich werde nichts über England herausgeben; kein Buch¬
händler bezahlt mir die Kosten. -- Gestern dachte ich ob ich nicht einige Auf¬
sätze über England fürs Morgenblatt schreiben soll -- Aber das ist auch nicht
der Mühe werth. Ich muß mich darin politisch zahmen und die Sachen ver¬
lören ihr Interesse wenn ich sie als Buch wieder abdrucke. Das beste ist ich
gebe gar nichts. Was ich seitdem aufgefaßt kommt dann desto schöner in
späteren Produkten. Ich will so kein Narr sein und gute Bücher schreiben im
Sinne Dümmlers. Ich lebe hier sehr isolirt; ich will es. Dennoch, Gott
weiß wie! haben die hiesigen Blätter unter andern wichtig politischen Nach¬
richten meine Anwesenheit in London angezeigt und bemerkt, daß ich auf dein
Weg nach Frankreich begriffen sei. Ich werde Euch.mündlich viel erzählen.


Leb wohl, behalte mich lieb und schreib bald
Deinem Freund
H. Heine.

Norderney, Norderney. Norderney d. 20. Aug. 1827.


Lieber Freund!

Wie Du siehst, ich bin wieder in Norderney. Ich hörte, daß man hier
sehr ungehalten gegen mich sei, mich todtschlagen wolle u. s. w. -- und ich hatte
nichts eiligeres zu thun als hierher zu kommen. "Nun. dazu gehörte Muth"
-- riefen mir einige alte Bekannte entgegen, als sie mich ankommen sahe"-
Indessen, ich glaube, ich bedarf hier keines Muthes; nur das Kommen
selbst. Die Verachtung aller etwa zu befürchtenden Anfechtungen, dazu ge¬
hörte Muth. Ich habe diesesmal ein Recht zum Prater. Die Post ist >in
.Begriff abzugehen, sonst geschähe es noch weit mehr. Ich kann Dir auch
heute noch nicht recht schreiben. -- England hat mich in finanzieller Hinsicht
zu Grunde gerichtet. Dennoch will ich es nicht wie Walter Scott ma
und ein schlechtes Buch, aber lukratives schreiben. Ich bin der Ritter vom
heiligen Geist.


Dein Freund,
Dein bald Brief von Dir erwartender Freund
H. Heine, voetor <suris, auf Norderney.

thun erschrecklich tugendhaft als ordnungsliebende Gelehrte und Bürger
kurz aus serviler Angst wird Alles getadelt. Wie contrasiirt dagegen der
offne süddeutsche Brief aus Augsburg. Es ist mir nichts neues, daß mir von
dorther viel Anlockendes zukam. Ach! ich bin gefesselt an Norddeutschland.
Ein schöner Gedanke, Liberalenhäuptling in Baiern zu werden. Aber ach, ich
bin krank, ruinirt und gefesselt. Und dennoch muß ich hier mit Gold alle
jene Anschauungen aufwiegen, die ich einsäumte. Tage wo ich ein Paar
Guineen ausgebe. Ich werde nichts über England herausgeben; kein Buch¬
händler bezahlt mir die Kosten. — Gestern dachte ich ob ich nicht einige Auf¬
sätze über England fürs Morgenblatt schreiben soll — Aber das ist auch nicht
der Mühe werth. Ich muß mich darin politisch zahmen und die Sachen ver¬
lören ihr Interesse wenn ich sie als Buch wieder abdrucke. Das beste ist ich
gebe gar nichts. Was ich seitdem aufgefaßt kommt dann desto schöner in
späteren Produkten. Ich will so kein Narr sein und gute Bücher schreiben im
Sinne Dümmlers. Ich lebe hier sehr isolirt; ich will es. Dennoch, Gott
weiß wie! haben die hiesigen Blätter unter andern wichtig politischen Nach¬
richten meine Anwesenheit in London angezeigt und bemerkt, daß ich auf dein
Weg nach Frankreich begriffen sei. Ich werde Euch.mündlich viel erzählen.


Leb wohl, behalte mich lieb und schreib bald
Deinem Freund
H. Heine.

Norderney, Norderney. Norderney d. 20. Aug. 1827.


Lieber Freund!

Wie Du siehst, ich bin wieder in Norderney. Ich hörte, daß man hier
sehr ungehalten gegen mich sei, mich todtschlagen wolle u. s. w. — und ich hatte
nichts eiligeres zu thun als hierher zu kommen. „Nun. dazu gehörte Muth"
— riefen mir einige alte Bekannte entgegen, als sie mich ankommen sahe"-
Indessen, ich glaube, ich bedarf hier keines Muthes; nur das Kommen
selbst. Die Verachtung aller etwa zu befürchtenden Anfechtungen, dazu ge¬
hörte Muth. Ich habe diesesmal ein Recht zum Prater. Die Post ist >in
.Begriff abzugehen, sonst geschähe es noch weit mehr. Ich kann Dir auch
heute noch nicht recht schreiben. — England hat mich in finanzieller Hinsicht
zu Grunde gerichtet. Dennoch will ich es nicht wie Walter Scott ma
und ein schlechtes Buch, aber lukratives schreiben. Ich bin der Ritter vom
heiligen Geist.


Dein Freund,
Dein bald Brief von Dir erwartender Freund
H. Heine, voetor <suris, auf Norderney.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/194>, abgerufen am 27.09.2024.