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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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London. eiÄVM Street No, 32. Stianä, d. 23. April 1827. -


Lieber Freund!

Draußen schneit es und in meinem Kamin ist kein Feuer, daher ein kühler
Brief. Obendrein verdrießlich und krank. Schon genug gesehen und gehört,
ober noch keine einzige klare Anschauung. London hat all meine Erwartung
übertreffen in Hinsicht seiner Großartigkeit, aber ich habe mich selbst verloren.
Ich habe noch wenig Besuche gemacht - Deine Freunde sah ich noch nicht
-- und das' Theater war bis jetzt meine Hauptresource. -- Ich friere und
leide fürchterlich. -- Ich bin zu krank um etwas thun zu können, doch meine
nächste Arbeit soll die Vorrede meiner Gedichte sein. Hernach gehe ich an die
Veränderung des Ratclifs. -- Ich werde höchstens bis Mitte Juny in Lon¬
don bleiben; alsdann gehe ich auf drei Monate nach einem englischen Seebad.
Ich habe letzteres durchaus nöthig. -- Fürchterlich kostspielig ist das hiesige
Leben, bisher hab ich noch mehr als eine Guinee täglich gebraucht, l'/s Pfund
hab ich für Beköstigung und Trinkgeld noch auf dem Dampfschiff zu bezahlen
gehabt, für meine wenigen Bücher hatte ich fast ein Pfund Zoll zu bezahlen
u. s. w. Bücher selbst sind hier rasend theuer. -- Nichts als Nebel. Kohlen¬
dampf, Porter und Canning. -- Meine Freunde in der Westminsterabtei habe
ich noch nicht besucht. -- Wie wird es mir noch gehn in dieser Welt! Ich
Werde es, trotz meiner bessern Einsicht, nimmermehr lassen können, dumme
Streiche zu machen, d. h. freisinnig zu sprechen. Ich bin begierig von Dir
zu erfahren ob keine Regierung mir mein Buch übelgenommen. Am Ende
will man doch ruhig am Heerde in der Heimath sitzen, und ruhig den Deut¬
schen Anzeiger oder die Hallische Liter. Zeitung lesen und ein deutsches Butter¬
brod essen. -- Es ist hier so fürchterlich feucht und unbehaglich, und kein
Mensch versteht einen, kein Mensch versteht Deutsch. -- Leb Wohl


Dein FreundH. Heine.

London d. 1. Juny 1827.


Lieber Freund!

Meine Schreibsaumsecligleit mußt Du nicht auf Rechnung meiner Ge¬
sinnung schreiben. Bin zu schlechtgestimmt, auch krank und verwirrt um schreiben
ZU können. Von Berlin angenehme Briefe. Die unbekanntesten Menschen voll
Enthusiasmus. Dagegen schreibt mir Varnhagen: "Aufsehn, viel Aufsehn
macht Ihr Buch, und Dümmler und Konsorten nennen es nach ihrem Buch¬
ladenmaaß ein gutes, aber die Leser verstutzen, sie wissen nicht ob sie ihr Ver¬
gnügen nicht heimlich halten und öffentlich ableugnen sollen, selbst die Freunde


London. eiÄVM Street No, 32. Stianä, d. 23. April 1827. -


Lieber Freund!

Draußen schneit es und in meinem Kamin ist kein Feuer, daher ein kühler
Brief. Obendrein verdrießlich und krank. Schon genug gesehen und gehört,
ober noch keine einzige klare Anschauung. London hat all meine Erwartung
übertreffen in Hinsicht seiner Großartigkeit, aber ich habe mich selbst verloren.
Ich habe noch wenig Besuche gemacht - Deine Freunde sah ich noch nicht
— und das' Theater war bis jetzt meine Hauptresource. — Ich friere und
leide fürchterlich. — Ich bin zu krank um etwas thun zu können, doch meine
nächste Arbeit soll die Vorrede meiner Gedichte sein. Hernach gehe ich an die
Veränderung des Ratclifs. — Ich werde höchstens bis Mitte Juny in Lon¬
don bleiben; alsdann gehe ich auf drei Monate nach einem englischen Seebad.
Ich habe letzteres durchaus nöthig. — Fürchterlich kostspielig ist das hiesige
Leben, bisher hab ich noch mehr als eine Guinee täglich gebraucht, l'/s Pfund
hab ich für Beköstigung und Trinkgeld noch auf dem Dampfschiff zu bezahlen
gehabt, für meine wenigen Bücher hatte ich fast ein Pfund Zoll zu bezahlen
u. s. w. Bücher selbst sind hier rasend theuer. — Nichts als Nebel. Kohlen¬
dampf, Porter und Canning. — Meine Freunde in der Westminsterabtei habe
ich noch nicht besucht. — Wie wird es mir noch gehn in dieser Welt! Ich
Werde es, trotz meiner bessern Einsicht, nimmermehr lassen können, dumme
Streiche zu machen, d. h. freisinnig zu sprechen. Ich bin begierig von Dir
zu erfahren ob keine Regierung mir mein Buch übelgenommen. Am Ende
will man doch ruhig am Heerde in der Heimath sitzen, und ruhig den Deut¬
schen Anzeiger oder die Hallische Liter. Zeitung lesen und ein deutsches Butter¬
brod essen. — Es ist hier so fürchterlich feucht und unbehaglich, und kein
Mensch versteht einen, kein Mensch versteht Deutsch. — Leb Wohl


Dein FreundH. Heine.

London d. 1. Juny 1827.


Lieber Freund!

Meine Schreibsaumsecligleit mußt Du nicht auf Rechnung meiner Ge¬
sinnung schreiben. Bin zu schlechtgestimmt, auch krank und verwirrt um schreiben
ZU können. Von Berlin angenehme Briefe. Die unbekanntesten Menschen voll
Enthusiasmus. Dagegen schreibt mir Varnhagen: „Aufsehn, viel Aufsehn
macht Ihr Buch, und Dümmler und Konsorten nennen es nach ihrem Buch¬
ladenmaaß ein gutes, aber die Leser verstutzen, sie wissen nicht ob sie ihr Ver¬
gnügen nicht heimlich halten und öffentlich ableugnen sollen, selbst die Freunde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/193>, abgerufen am 27.09.2024.