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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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thümlichkeit von Clausewitz allgemein recipirter Ansicht nachzuweisen, daß der
Rückzug der russischen Armee in das Innere des Reichs nicht die Folge eines
vorher festgesetzten Plans gewesen, sondern durch die Gewalt der Verhältnisse
Hast wider den Willen der Führer sich von selbst gemacht habe. Zum Beweis
für das Gegentheil weist der Herzog auf Wolzogens in den Denkwürdigkeiten
dieses Generals abgedruckten Operationsplan aus dem Jahre 1809 hin, an
dessen Entwerfung er sich selbst einen großen Antheil beimißt. Wir sehen in
ihm also einen neuen Kandidaten für die Ehre, um die sich schon Phull, Wol¬
zogen und Knesebeck streiten. An einer andern Stelle wird bemerkt, daß "der Ein¬
fluß der mächtigen für und durch den Prinzen Eugen wirkenden Partei" Wolzogen
das Vertrauen errungen, welches seinem strategischen Plane bei dem Kaiser Eingang
verschafft habe. Es ist eine Eigenthümlichkeit der Schreibart des Herzogs, daß
die allgemeinen Sätze, die er aufstellt, sehr häufig durch die Einzelnheiten, mit
denen er die Begebenheiten erläutert, widerlegt werden. So auch hier. Wieder¬
holt ist zwar von der mächtigen Partei und dem Einfluß, den er auf sie und
durch sie auf die erscheinenden Persönlichkeiten hatte, die Rede, aber Alles,
was uns der Herzog über seine Erlebnisse berichtet, widerspricht dem Vorhanden¬
sein eines solchen Einflusses. Der Kaiser Alexander zog ihn nie zu Rathe.
Barktay hielt ihn als einen Anhänger und Freund seines Nebenbuhlers Ben-
ningsen ganz fern von sich, und die Kaiserin Mutter, mit der er in vertrauten
Beziehungen stand, hat doch sicherlich nicht von Petersburg aus Einfluß auf
die Kriegsoperation gehabt, über die Alexander an Ort und Stelle und sofort
unter dem Druck der Ereignisse entscheiden mußte. Nehmen wir aber auch an,
die Kaiserin habe für die Durchführung von Wolzogens Plan im Sinne des
Prinzen gewirkt, so zeigen uns die Ereignisse, daß eben dieser Plan, wie er
M der Denkschrift von 1809 entwickelt ist, gar nicht zur Ausführung gekommen
ist. Nicht darauf war er berechnet, die ungeheuere Ausdehnung des russischen
Reichs gegen den Feind zu benutzen, durch einen, allmäligen Rückzug bis Smo-
lensk oder Moskau sich den eigenen Reserven zu nähern und ihnen Zeit zu ver¬
schaffen sich auszubilden und sich dem Verthcidigungshecrc anzuschließen, das ein¬
dringende Heer aber durch anstrengende und lange Märsche und immer zunehmende
Entfernung von seinen Hülfsmitteln in einen Zustand allmäliger Auszehrung zu
versetzen, bis es auf diese Weise seine ungeheuere Ueberlegenheit verlor und
wan ihm mit wenigstens gleichen Kräften auf dem Schlachtfelde entgegentreten
konnte. Der Plan geht lediglich auf einen Vertheidigungskrieg an der Dura
und am Przipet, gestützt auf die zu befestigenden Punkte: Dünaburg, Drissa,
Borissow und Bobruysk und geführt von zwei Armeen, wovon die ciyc, wenn
angegriffen, stets in die verschanzten Lager zurückweichen, die andere dagegen
die Stelle des Angreifers übernehmen sollte. Außer dem war das Ganze auf die
Voraussetzung gebaut, daß das russische und das französische Heer sich an Zahl


Ättuzbvlen II. ILW. 22

thümlichkeit von Clausewitz allgemein recipirter Ansicht nachzuweisen, daß der
Rückzug der russischen Armee in das Innere des Reichs nicht die Folge eines
vorher festgesetzten Plans gewesen, sondern durch die Gewalt der Verhältnisse
Hast wider den Willen der Führer sich von selbst gemacht habe. Zum Beweis
für das Gegentheil weist der Herzog auf Wolzogens in den Denkwürdigkeiten
dieses Generals abgedruckten Operationsplan aus dem Jahre 1809 hin, an
dessen Entwerfung er sich selbst einen großen Antheil beimißt. Wir sehen in
ihm also einen neuen Kandidaten für die Ehre, um die sich schon Phull, Wol¬
zogen und Knesebeck streiten. An einer andern Stelle wird bemerkt, daß „der Ein¬
fluß der mächtigen für und durch den Prinzen Eugen wirkenden Partei" Wolzogen
das Vertrauen errungen, welches seinem strategischen Plane bei dem Kaiser Eingang
verschafft habe. Es ist eine Eigenthümlichkeit der Schreibart des Herzogs, daß
die allgemeinen Sätze, die er aufstellt, sehr häufig durch die Einzelnheiten, mit
denen er die Begebenheiten erläutert, widerlegt werden. So auch hier. Wieder¬
holt ist zwar von der mächtigen Partei und dem Einfluß, den er auf sie und
durch sie auf die erscheinenden Persönlichkeiten hatte, die Rede, aber Alles,
was uns der Herzog über seine Erlebnisse berichtet, widerspricht dem Vorhanden¬
sein eines solchen Einflusses. Der Kaiser Alexander zog ihn nie zu Rathe.
Barktay hielt ihn als einen Anhänger und Freund seines Nebenbuhlers Ben-
ningsen ganz fern von sich, und die Kaiserin Mutter, mit der er in vertrauten
Beziehungen stand, hat doch sicherlich nicht von Petersburg aus Einfluß auf
die Kriegsoperation gehabt, über die Alexander an Ort und Stelle und sofort
unter dem Druck der Ereignisse entscheiden mußte. Nehmen wir aber auch an,
die Kaiserin habe für die Durchführung von Wolzogens Plan im Sinne des
Prinzen gewirkt, so zeigen uns die Ereignisse, daß eben dieser Plan, wie er
M der Denkschrift von 1809 entwickelt ist, gar nicht zur Ausführung gekommen
ist. Nicht darauf war er berechnet, die ungeheuere Ausdehnung des russischen
Reichs gegen den Feind zu benutzen, durch einen, allmäligen Rückzug bis Smo-
lensk oder Moskau sich den eigenen Reserven zu nähern und ihnen Zeit zu ver¬
schaffen sich auszubilden und sich dem Verthcidigungshecrc anzuschließen, das ein¬
dringende Heer aber durch anstrengende und lange Märsche und immer zunehmende
Entfernung von seinen Hülfsmitteln in einen Zustand allmäliger Auszehrung zu
versetzen, bis es auf diese Weise seine ungeheuere Ueberlegenheit verlor und
wan ihm mit wenigstens gleichen Kräften auf dem Schlachtfelde entgegentreten
konnte. Der Plan geht lediglich auf einen Vertheidigungskrieg an der Dura
und am Przipet, gestützt auf die zu befestigenden Punkte: Dünaburg, Drissa,
Borissow und Bobruysk und geführt von zwei Armeen, wovon die ciyc, wenn
angegriffen, stets in die verschanzten Lager zurückweichen, die andere dagegen
die Stelle des Angreifers übernehmen sollte. Außer dem war das Ganze auf die
Voraussetzung gebaut, daß das russische und das französische Heer sich an Zahl


Ättuzbvlen II. ILW. 22
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[0173] thümlichkeit von Clausewitz allgemein recipirter Ansicht nachzuweisen, daß der Rückzug der russischen Armee in das Innere des Reichs nicht die Folge eines vorher festgesetzten Plans gewesen, sondern durch die Gewalt der Verhältnisse Hast wider den Willen der Führer sich von selbst gemacht habe. Zum Beweis für das Gegentheil weist der Herzog auf Wolzogens in den Denkwürdigkeiten dieses Generals abgedruckten Operationsplan aus dem Jahre 1809 hin, an dessen Entwerfung er sich selbst einen großen Antheil beimißt. Wir sehen in ihm also einen neuen Kandidaten für die Ehre, um die sich schon Phull, Wol¬ zogen und Knesebeck streiten. An einer andern Stelle wird bemerkt, daß „der Ein¬ fluß der mächtigen für und durch den Prinzen Eugen wirkenden Partei" Wolzogen das Vertrauen errungen, welches seinem strategischen Plane bei dem Kaiser Eingang verschafft habe. Es ist eine Eigenthümlichkeit der Schreibart des Herzogs, daß die allgemeinen Sätze, die er aufstellt, sehr häufig durch die Einzelnheiten, mit denen er die Begebenheiten erläutert, widerlegt werden. So auch hier. Wieder¬ holt ist zwar von der mächtigen Partei und dem Einfluß, den er auf sie und durch sie auf die erscheinenden Persönlichkeiten hatte, die Rede, aber Alles, was uns der Herzog über seine Erlebnisse berichtet, widerspricht dem Vorhanden¬ sein eines solchen Einflusses. Der Kaiser Alexander zog ihn nie zu Rathe. Barktay hielt ihn als einen Anhänger und Freund seines Nebenbuhlers Ben- ningsen ganz fern von sich, und die Kaiserin Mutter, mit der er in vertrauten Beziehungen stand, hat doch sicherlich nicht von Petersburg aus Einfluß auf die Kriegsoperation gehabt, über die Alexander an Ort und Stelle und sofort unter dem Druck der Ereignisse entscheiden mußte. Nehmen wir aber auch an, die Kaiserin habe für die Durchführung von Wolzogens Plan im Sinne des Prinzen gewirkt, so zeigen uns die Ereignisse, daß eben dieser Plan, wie er M der Denkschrift von 1809 entwickelt ist, gar nicht zur Ausführung gekommen ist. Nicht darauf war er berechnet, die ungeheuere Ausdehnung des russischen Reichs gegen den Feind zu benutzen, durch einen, allmäligen Rückzug bis Smo- lensk oder Moskau sich den eigenen Reserven zu nähern und ihnen Zeit zu ver¬ schaffen sich auszubilden und sich dem Verthcidigungshecrc anzuschließen, das ein¬ dringende Heer aber durch anstrengende und lange Märsche und immer zunehmende Entfernung von seinen Hülfsmitteln in einen Zustand allmäliger Auszehrung zu versetzen, bis es auf diese Weise seine ungeheuere Ueberlegenheit verlor und wan ihm mit wenigstens gleichen Kräften auf dem Schlachtfelde entgegentreten konnte. Der Plan geht lediglich auf einen Vertheidigungskrieg an der Dura und am Przipet, gestützt auf die zu befestigenden Punkte: Dünaburg, Drissa, Borissow und Bobruysk und geführt von zwei Armeen, wovon die ciyc, wenn angegriffen, stets in die verschanzten Lager zurückweichen, die andere dagegen die Stelle des Angreifers übernehmen sollte. Außer dem war das Ganze auf die Voraussetzung gebaut, daß das russische und das französische Heer sich an Zahl Ättuzbvlen II. ILW. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/173>, abgerufen am 27.09.2024.